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„Die Chemie muss umdenken“

Professor Müfit Bahadir von der TU Braunschweig über nachhaltige Forschung und Energie-Alternativen.

25.03.2014
© Ali Müfit Bahadir - Sampling of soil and wheat

Herr Professor Bahadir, in Ihrer Forschungsarbeit steht Nachhaltigkeit im Vordergrund. Erleben Sie, dass das Thema durch die Diskussion um die Energiewende an Aufmerksamkeit gewonnen hat?
Mein Eindruck ist, dass finanzielle Aspekte und einzelne, spektakuläre Ereignisse die öffentliche Diskussion um die Energiewende bestimmen. Der für Nachhaltigkeit wesentliche Ressourcenschutz kommt demgegenüber eher zu kurz. In der Diskussion spielen unmittelbar auftretende Naturkatastrophen wie unlängst die Überschwemmungen in England eine wesentlich größere Rolle als verzögert auftretende Pänomene wie etwa Dürren. Dabei ist die schleichende Ausbreitung von Trockengebieten ein besonders gravierendes Problem, was wir weltweit auch an den damit verbundenen politischen Unruhen sehen.

Welche Chancen können nachwachsende Rohstoffe bieten? Sie forschen unter anderem zu Biodiesel.
Biodiesel wird in der bisher erforschten Form das Problem der Ölverknappung nicht lösen, zumal seine Klimabilanz auch nicht neutral ist. Und aus Weizen Kraftstoff statt Brot zu machen, ist angesichts des Hungers in der Welt ethisch nicht zu vermitteln. Die Losung darf nicht lauten „food versus fuel“. Die Forschung rund um Biodiesel ist aber wichtig, da wir grundsätzlich auf nachwachsende Rohstoffe angewiesen sind – das Öl dagegen wird in absehbarer Zeit verschwinden. Die Chemie muss umdenken.

Wie fördern Sie dieses Umdenken?
In einem Gemeinschaftsprojekt sechs deutscher Universitäten haben wir beispielsweise ein Praktikumsbuch für Nachhaltigkeit in der Chemie erstellt. Damit es möglichst weit verbreitet wird, haben wir es in zehn Sprachen übersetzen lassen, auch ins Türkische, und stellen es online kostenfrei zur Verfügung (www.oc-praktikum.de/nop). Die Internet-Statistik zeigt, dass das Buch international gefragt ist. Wir machen den Studierenden der Chemie so bewusst, dass Erdöl nicht der einzige Weg ist und dass Naturstoffe besser als bisher in der Produktion eingesetzt werden können. Ein konkretes Beispiel für eine ökologische Stoffnutzung bietet beispielsweise Glyzerin, bisher vor allem ein Abfallprodukt der Biodiesel-Herstellung. Dabei kann Glyzerin sehr gut als Schmierstoff eingesetzt werden.

Sie setzen sich auch international für nachhaltige Lösungsansätze ein. Welche  Projekte würden Sie hervorheben?
Im Rahmen des „Exceed“-Förderprogramms des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ist an der Technischen Universität Braunschweig eines von fünf Exzellenzzentren angesiedelt. Unser Thema ist die nachhaltige Wasserwirtschaft; 35 Universitäten und Forschungszentren aus 18 Ländern und 4 Kontinenten forschen gemeinsam. Das Schonen der Wasserressourcen bringen wir auf diesem Weg auch auf die politische Agenda. In Zusammenarbeit mit der Braunschweiger Stadtentwässerung betreiben wir beispielsweise Abwasserrecycling für die Landwirtschaft; unsere Erfahrungen geben wir auch an Wissenschaftler in Konya in der Türkei weiter, wo wir gemeinsam die Verwendung von Abwasser in der Landwirtschaft untersuchen. Für mich als Umweltchemiker ist die Frage zentral, wie wir das Wasser von Schadstoffen wie Schwermetallen und Benzol reinhalten können. In eine ganz ähnliche Richtung geht übrigens unser Projekt „EMPOWER Tunisia“ im Rahmen der deutsch-arabischen Transformationspartnerschaft.

Sie stehen im intensiven Austausch mit den Universitäten der anatolischen Stadt Konya. Beobachten Sie in der Türkei ein ökologisches Umdenken?
Ja, das wird auch sehr stark durch den EU-Beitrittsprozess gefördert. Unter anderem wird immer mehr über die Windkraft diskutiert. Die flache, dünn besiedelte Landschaft Anatoliens bietet hierfür gute Voraussetzungen. Photovoltaik und Windkraft spielen auch in der türkischen Forschungslandschaft zunehmnend eine wichtige Rolle. Und als Herausgeber der Fachzeitschrift „CLEAN – Soil, Air, Water“ erreichen mich mittlerweile sehr viele Artikel aus der Türkei zu diesen Themen. ▪

Interview: Johannes Göbel

Prof. Dr. Ali Müfit Bahadir leitet das Institut für Ökologische und Nachhaltige Chemie der Technischen Universität Braunschweig. Der 1947 in Istanbul geborene Wissenschaftler zählt zu den international gefragtesten Experten seines Fachgebiets. .