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„Ausbildung stärkt die Bindung an den Betrieb“

Warum das deutsche Modell der dualen Ausbildung auch für die USA und Kanada interessant, dort aber nicht unumstritten ist, erläutert Expertin Silvia Annen.

Josefine JanertInterview: Josefine Janert, 13.05.2025
Praxisnah erfolgreich: das deutsche Modell der dualen Ausbildung
Praxisnah erfolgreich: das deutsche Modell der dualen Ausbildung © AdobeStock

Frau Professorin Annen, deutsche Unternehmen brachten die duale Ausbildung in den 1970er-Jahren nach Nordamerika. Welchen Vorteil hat sie für die Wirtschaft?

Wer die duale Ausbildung durchläuft, erwirbt ein standardisiertes Set an Kenntnissen und berufspraktischen Fähigkeiten. Darauf können sich Unternehmen verlassen. Die Berufsbildung ist in Deutschland einheitlich geregelt. Das bedeutet: Ausbildungsordnungen gelten überall im Land. Dafür arbeiten viele Institutionen und Unternehmen zusammen. In Kanada gibt es das Red-Seal-Programm – 56 anerkannte Berufe vom Koch bis zur Industriemechanikerin. Das Programm vermittelt einheitliche Qualifikationen, und der Abschluss wird landesweit anerkannt. Für andere Berufe herrschen in den einzelnen kanadischen Provinzen unterschiedliche Standards. So ist es auch in den USA. Es kann daher sein, dass die Standards beispielsweise für den Beruf Maurer in New York abweichen von denen in Texas. 

Silvia Annen, Wirtschaftspädagogin an der Universität Bamberg
Silvia Annen, Wirtschaftspädagogin an der Universität Bamberg © BIBB

Wie bekannt ist die duale Ausbildung heute in Nordamerika?

Als Wissenschaftlerin tausche ich mich viel mit anderen Forschenden aus, die sich mit Bildung beschäftigen. Ich nehme wahr, dass etliche von ihnen die deutsche duale Ausbildung kennen und schätzen. Bei den Unternehmen ist das etwas anders, auch vor dem Hintergrund, dass sich viele Schulabgänger in den USA und Kanada für ein Studium entscheiden. Es gibt in Nordamerika auch einige skeptische Stimmen zur dualen Ausbildung. Als vor einigen Jahren eine große kanadische Handelskette eine deutsche kaufte, fragte man sich: Wozu braucht denn das Verkaufspersonal eine zwei- oder dreijährige Ausbildung? Es herrschte die Meinung vor, dass es die nötigen Fähigkeiten in einigen Monaten durch „training on the job“ erwerben könnte. Andere Unternehmen haben die umfassende Qualifizierung, die die duale Ausbildung vermittelt, allerdings schon schätzen gelernt. Gerade im gewerblich-technischen Bereich findet man komplexe Arbeitsprozesse. Ein kurzes Anlernen genügt in vielen Berufen wie zum Beispiel in der Elektrotechnik oder Umwelttechnologie einfach nicht.

Ist ein Hochschulstudium nicht bestens geeignet für solche Tätigkeiten?

In manchen Fällen sicherlich. Allerdings vermitteln viele Hochschulen in Nordamerika ein sehr breites, oft wenig praxisorientiertes, theoretisches Wissen. Vieles davon können Absolventinnen und Absolventen in ihrem späteren Berufsleben kaum anwenden. Ein weiterer Nachteil ist, dass sie insbesondere in den USA aufgrund der hohen Studiengebühren oft Schulden anhäufen. Auszubildende in Deutschland verdienen hingegen schon während der Ausbildung ein Gehalt, das ihnen auf Grundlage des Berufsbildungsgesetzes garantiert ist und wofür es keiner individuellen Verhandlung mit dem Arbeitgeber bedarf.

Durch die duale Ausbildung lernen Auszubildende die Unternehmenskultur frühzeitig kennen.
Silvia Annen, Professorin für Wirtschaftspädagogik

2019 hatten Sie Gelegenheit, vor dem US-Kongress über die duale Ausbildung in Deutschland zu sprechen.

Die Frage „Was hat das Unternehmen davon, dass es junge Menschen ausbildet?“ wurde in diesem Kontext intensiv diskutiert. Meine Antwort: Studierende verbringen in der Regel erst einmal viele Jahre an der Hochschule. Anschließend absolvieren sie im Unternehmen in der Regel zunächst Trainee- und Onboarding-Programme, in denen sie eingearbeitet werden. Auszubildende kommen ins Unternehmen, wenn sie noch recht jung sind. Sie sind nicht erst am Ende ihrer Ausbildung produktiv, sondern schon währenddessen. Sie bringen sich in Projekte ein. Sie lernen die Unternehmenskultur frühzeitig kennen und entwickeln eine Bindung an den Betrieb. Aufgrund dieser Vorteile haben viele Unternehmen in Deutschland eine hohe Bereitschaft für das Angebot dualer Ausbildungsplätze.

Unter Präsident Trump ändert sich in den USA zurzeit vieles. Welchen Stellenwert wird die duale Ausbildung Ihrer Einschätzung nach in den nächsten Jahren in den USA haben?

Einerseits nehme ich unter der neuen Trump-Regierung die Tendenz wahr, die Verantwortung für Bildung und Ausbildung wieder stärker in die Hand der einzelnen Bundesstaaten zu geben und die Unternehmen selbst entscheiden zu lassen, was sie während der Ausbildung vermitteln. Viele Anhänger der Republikaner haben grundsätzlich eher Vorbehalte gegenüber staatlicher Regulierung. Gleichzeitig stand schon die letzte Trump-Regierung unter enormem Druck, der Wirtschaft gute Rahmenbedingungen zu bieten und dem auch in den USA bestehenden Problem des Fachkräftemangels zu begegnen. Hier sehe ich großes Potenzial für die duale Ausbildung nach deutschem Muster, da sie jungen Menschen innerhalb von drei Jahren die Chance bietet, sich in einem einheitlichen System zu hochqualifizierten Fachkräften zu entwickeln.

Prof. Dr. Silvia Annen ist Expertin für den internationalen Vergleich unterschiedlicher Ausbildungswege. Die Professorin für Wirtschaftspädagogik an der Universität Bamberg arbeitete zuvor unter anderem als Projektleiterin für Forschung und Entwicklung am Bonner Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) sowie als Gastwissenschaftlerin am Ontario Institute for Studies in Education der Universität Toronto.