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„Für uns ideale Voraussetzungen“

Auch wenn Israel für GründerInnen ein gutes Pflaster ist, zieht es viele innovative Israelis nach Berlin. Wir sagen euch, wie es ihnen ergeht.

Klaus Lüber, 01.04.2022
Shir Nissanpur
Shir Nissanpur © Mario Heller

Shir Nissanpur kam durch innovatives Denken zum Erfolg

Als Shir Nissanpur vor acht Jahren seine Heimatstadt Tel Aviv verließ, hatte er zunächst nicht unbedingt Deutschland als Ziel. Klar war nur: Er will weg. Etwas Neues wagen. Wie seine Eltern, die für einige Jahre nach New York zogen, als er noch klein war. „Sie waren genau im selben Alter und haben unglaublich von diesem Schritt profitiert. Also dachte ich: Warum nicht selbst etwas Ähnliches versuchen?“

Die Stadt war so offen, so progressiv. Ich dachte: perfekt, um meine Karriere zu starten.
Shir Nissanpur, Gründer

Ein Angebot auf LinkedIn führte ihn schließlich zum Vorstellungsgespräch nach Berlin. Deutschland kannte Nissanpur vor allem aus der Perspektive seiner jüdischen Großeltern und ihrer Berichte über den Holocaust, selbst war er nie dort gewesen. „Was ich sah, als ich 2014 nach Berlin kam, hat mich dann unglaublich überrascht. Die Stadt war so offen, so progressiv. Ich dachte: perfekt, um meine Karriere zu starten.“

Obwohl dieser Start alles andere als leicht war („oft schlechtes Wetter, miese Wohnung, fremde Sprache“), blieb Nissanpur in der Stadt, arbeitete zunächst in verschiedenen Positionen im Marketing, bis er sich Anfang 2021 entschied, selbst zu gründen. „In Israel lernen wir von Kindheit an, kreativ zu sein und ausgetretene Pfade zu verlassen. Irgendwann war mir klar, dass ich das in Deutschland nur richtig ausleben kann, wenn ich selbst Unternehmer werde.“ Genau darin sieht Nissanpur die großen Chancen für Israelis in der deutschen Start-up-Szene. „Wer erfolgreich sein will, braucht Leute wie uns, die Out-of-the-Box denken.“

Heute ist Nissanpur Mitbegründer von Yoffix, einer Plattform, mit der Unternehmen ihre Büro-Arbeitsplätze managen können. Zusammen mit seinem Mann hat er sich eine Wohnung in Berlin-Mitte gekauft, beide planen, ein Kind zu adoptieren. Für ihn ist Berlin als Lebensmittelpunkt nach wie vor attraktiv, trotzdem könne die Stadt schon weiter sein: „Gerade die deutsche Gründerszene sollte sich noch internationaler aufstellen.“

 

Viktoria Kanar will Teil der nachhaltigen Lösung sein

Viktoria Kanar
Viktoria Kanar © privat

Viktoria Kanars Geschichte mit Deutschland und Berlin ist komplex. Eigentlich war sie schon lange hier, wollte dann aber unbedingt weg und kehrte erst vor Kurzem wieder zurück. Geboren ist Kanar in Russland, ihre Eltern kamen 1990 mit der jüdischen Auswandererwelle nach Deutschland und ließen sich in Berlin nieder. Dort wuchs Kanar auf, studierte Kommunikationsmanagement. Nach ihrem Abschluss 2004 entschied sie sich, nach Tel Aviv umzuziehen. „Zu dieser Zeit wollte ich unbedingt nach Israel“, sagt sie. Dort gründete sie eine PR-Agentur, bemühte sich aber, die Verbindung nach Deutschland und Europa zu halten.

Deutschland ist in Nachhaltigkeitsfragen einfach ganz weit vorne.
Viktoria Kanar, Gründerin

Nach und nach wird die Modebranche zu einem ihrer Haupt-Auftraggeber, sie organisiert Kampagnen für die Tel Aviver Fashion Week. Das läuft gut, nach Deutschland zurückzukehren kann sich Kanar zunächst nicht vorstellen. Bis sie ein Geschäftstermin 2015 nach Berlin-Mitte führt. „Ich ging durch die Stadt und merkte: Um mich herum sprechen ja alle Englisch. Das war ein völlig anderes Berlin als ich es noch kannte. Viel diverser und progressiver.“ Noch interessanter wird die deutsche Hauptstadt, als sich Kanar mit den neuen Herausforderungen ihrer Branche beschäftigt. „Mir wurde immer bewusster, vor welch riesigen Nachhaltigkeitsproblemen die Modeindustrie steht“, sagt sie.

Kanar möchte selbst zur Lösung beitragen, hat eine Gründungsidee und sucht in Israel nach Unterstützern. „Da merkte ich: Das ist in Israel noch überhaupt kein Thema.“ Anders in Deutschland, weshalb sich Kanar 2021 entscheidet, wieder in die Stadt zurückzukehren, in der sie aufgewachsen ist. In Berlin gründet sie ReFresh-Global, ein Recycling-Unternehmen für Textilien. „Bislang werden nur 10 bis 15 Prozent wiederverwertet. Wir haben ein Verfahren entwickelt, das nahezu hundert Prozent der Textilien in recycelbare Rohstoffe verwandelt. Für die Zukunft von ReFresh-Global in Berlin ist Kanar optimistisch. „Deutschland ist in Nachhaltigkeitsfragen einfach ganz weit vorne, was sich wiederum in der Offenheit von Investoren für dieses Thema niederschlägt. Für uns natürlich ideale Voraussetzungen.“

Elad Leschem ist manchmal seiner Zeit voraus

Elad Leschem
Elad Leschem © privat

Elad Leschem kam 2012 für ein Masterstudium an der European School of Management von Israel nach Berlin, „aus ganz und gar persönlichen Gründen“, wie er sagt. „Ich habe einfach nach neuen beruflichen Möglichkeiten gesucht.“ Die Stadt gefällt ihm gut. „Berlin war international, liberal, extrem offen. Man hatte das Gefühl, jeder ist willkommen.“ Nur das Studium langweilt ihn. Noch während seiner Ausbildung entscheidet er sich, Unternehmer zu werden. Insgesamt vier Start-ups hat Leschem bis heute entwickelt, viele unterstützt von renommierten Acceleratorprogrammen der Telekom, Microsoft und IBM. Dabei immer mit einem „Israeli-Mindset“, wie er es nennt: sehr visionär, sehr chancenorientiert. „Israel ist klein, wer dort ein Unternehmen aufbauen will, muss zwangsläufig groß denken und Produkte entwickeln, die im globalen Markt von Anfang an gut ankommen.“

Man hatte das Gefühl, jeder ist willkommen.
Elad Leschem, Gründer

So sehr Leschem die Dynamik des beginnenden Start-up-Hubs Berlin schätzt, er hat es nicht leicht. 2014 gründet er qDatum, einen B2B-Marktplatz für Daten. „Über qDatum sollte jede Firma die Möglichkeit bekommen, eigene Datensätze anzubieten und andere zu kaufen. Eine Art Amazon oder Ebay für Daten, wenn man so will.“ Doch Investoren oder Kunden fand Leschem für seine Idee damals nicht – zu visionär sei sie, bekam er zu hören. Vermutlich war er einfach seiner Zeit zu weit voraus. „Vor zwei Wochen habe ich jemanden in Berlin getroffen, der nun eine Finanzierung für das bekommen hat, was ich 2014 mit qDatum aufgebaut habe.“

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