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Annäherung 
der Handelspartner

Die geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Nordamerika zielen auf große Zukunftschancen.

29.10.2014
© picture-alliance/dpa - Free-Trade

Einige Ziele haben sie schon festgeschrieben: etwa den Erhalt guter Arbeitsbedingungen und den Schutz natürlicher Ressourcen. Bei anderen Themen sind die Unterhändler noch dabei, sich ihre unterschiedlichen Systeme näherzubringen – etwa, wie das funktioniert, wenn Städte und Gemeinden öffentliche Aufträge ausschreiben. „Wir arbeiten daran, die Unterschiede in unseren Denkansätzen zu überbrücken“, heißt es in dem Bericht vom 29. Juli 2014, der die Fortschritte beim Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP („Transatlantic Trade and Investment Partnership“) beschreibt.

Seit Juli 2013 verhandeln die EU und die USA das Abkommen, das den freien Austausch von Gütern und Dienstleistungen zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt erleichtern soll: Zölle sollen wegfallen, Doppelstandards vereinheitlicht und Investitionen erleichtert werden. Es ist ein ehrgeiziges und komplexes Vorhaben – grundsätzlich aber möglich, wie die Gespräche zwischen der EU und Kanada über ein Freihandelsabkommen belegen. Es heißt „Comprehensive Economic and Trade Agreement“, kurz CETA, und Ende September 2014 haben die EU und Kanada den Abschluss der Verhandlungen gefeiert. Das sollte auch den TTIP-Unterhändlern helfen.

Freilich unterscheiden sich Strukturen und vor allem die Dimension des Handels. Die USA sind mit Abstand der wichtigste Handelspartner für Europa: Mehr als 18 Prozent aller EU-Ausfuhren gehen nach Amerika, doppelt so viel wie nach China. Demgegenüber liegt Kanada auf Platz zwölf der EU-Handelspartner. Schon deshalb kann CETA nur bedingt Vorbild für TTIP sein. Außerdem gibt es erheblichen Widerstand gegen die Verhandlungen. Mehr als 240 Organisationen, von der globalisierungskritischen Vereinigung Attac bis zu Bürgerinitiativen, haben sich zu dem Bündnis „Stop TTIP“ zusammengeschlossen und wollen sich als Europäische Bürgerinitiative registrieren lassen. Die EU-Kommission hat dies jedoch im September 2014 abgelehnt – eine Entscheidung, gegen die das Bündnis klagt. „Stop TTIP“ fordert, die Gespräche zu CETA und TTIP abzubrechen. Dahinter steht vor allem die Sorge, dass europäische Errungenschaften wie gesetzliche Gesundheits-, Umwelt- und Sozialstandards zu Gunsten kommerzieller Interessen geschwächt werden könnten. Vorbehalte gibt es indes auf beiden Seiten des Atlantiks: In Deutschland ging etwa das aufgrund seiner Desinfizierungsart umstrittene amerikanische „Chlorhühnchen“ durch die Presse. Amerikaner hingegen fürchten sich vor „lebendem“ Rohmilchkäse aus Frankreich. TTIP könnte ein Anlass sein, unterschiedliche Philosophien auf den Prüfstand zu stellen – und sie notfalls auch aus den Verhandlungen auszuklammern. Dietmar Rieg, Präsident der deutsch-amerikanischen Handelskammer in New York, findet die Diskussion gut: „Das Ziel sollte die Orientierung an den Standards sein, die den besten Schutz gewähren.“

Trotz der Vorbehalte stehen die Chancen dafür, dass ein Abkommen gelingt, wohl nicht so schlecht. Der Handelsbeauftragte der US-Regierung, Michael Froman, soll sich optimistisch geäußert haben, TTIP noch in dieser Wahlperiode abschließen zu können. In Deutschland scheint sich auch bei manchen Skeptikern die Einsicht durchzusetzen, dass ein gut verhandeltes Abkommen mehr Vor- als Nachteile bietet – auch als Vorbild für künftige Verträge, etwa mit Asien. Erst kürzlich änderte der Deutsche Gewerkschaftsbund seine ablehnende Haltung gegenüber TTIP in vorsichtige Zustimmung. Das Abkommen könne „dazu beitragen, faire und nachhaltige Handelsregeln global voranzutreiben“, heißt es in einem Positionspapier. Andere EU-Länder haben ohnehin weniger Vorbehalte; viele betrachten TTIP als wichtiges Instrument, um die Konjunktur zu fördern. Die Erwartung ist berechtigt: Das Bruttoinlandsprodukt der EU würde durch die Handelserleichterungen um 120 Milliarden Euro im Jahr wachsen; das der USA um 90 Milliarden, wie eine Studie des Londoner Centre of Economic Policy Research (CEPR) errechnet. Viele Ökonomen sind überzeugt: Freihandel nützt nicht nur den Unternehmen, sondern der gesamten Wirtschaft – den Arbeitnehmern, weil durch die zusätzliche wirtschaftliche Dynamik Arbeitsplätze entstehen und den Verbrauchern, weil die Preise sinken. Das Anti-TTIP-Bündnis befürchtet allerdings, dass die wahren Nutznießer andere sind. In einem Aufruf heißt es: „In Wirklichkeit sind die Profiteure nicht die Bürger, sondern große Konzerne.“ Unternehmen erhoffen sich von TTIP in der Tat Erleichterungen. „Warum braucht der Rückspiegel eines Traktors in Europa eine andere Krümmung als in Amerika?“, fragt der deutsche Chef des amerikanischen Landmaschinenherstellers AGCO, Martin Richenhagen. Sein Unternehmen, in Deutschland mit der Tochter Fendt vertreten, würde durch das Freihandelsabkommen viele Millionen Dollar sparen – schon weil bei neuen Maschinen nicht mehr so viele Teile doppelt entwickelt werden müssten. Wenn aber Schlepper und Mähdrescher für die Landwirte günstiger sind, kann auch das Gemüse beim Händler billiger werden.

Nicht nur Großunternehmen, auch Mittelständler sind diesseits und jenseits des Atlantiks präsent. Wie die exportstarken deutschen Maschinenbauer: Sie haben durch den Wegfall von Zöllen und Bürokratie die größten Vorteile zu erwarten – und wohl auch bei einem in Deutschland heftig umstrittenen Thema, dem Investorenschutz. Dabei geht es darum, dass Unternehmen internationale Schiedsgerichte anrufen können, wenn sie glauben, dass ein Staat Zusagen nicht einhält, die Grundlage für eine Investitionsentscheidung waren. Die Regelung, bereits seit den 1950er-Jahren Bestandteil vieler Handelsabkommen, kann Unternehmen eine kostspielige Klage durch die Instanzen ersparen. TTIP-Gegner hingegen befürchten eine Aushöhlung des Rechtsstaats, wenn Probleme nicht auf dem ordentlichen Gerichtsweg geklärt werden. Fraglich ist, inwieweit der Investorenschutz überhaupt notwendig ist. „Wir brauchen den Freihandel“, formulierte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bereits im Frühjahr 2014. „Aber wir brauchen keine Regelungen zum Investorenschutz, die unsere Gerichtsbarkeit aushebeln. Schiedsverfahren mögen dort sinnvoll sein, wo es keinen funktionierenden Rechtsstaat gibt – in der EU und in den USA ist das aber ganz sicher nicht der Fall.“

Über den Stand der Freihandelsgespräche informiert die EU-Kommission auf ihrer Website. Eines allerdings wird weiter zur Diskussion stehen: Die Offenlegung des Verhandlungsmandats, die sich insbesondere TTIP-Skeptiker wünschen. Sämtliche Mitgliedsstaaten müssten zustimmen. Viele sehen aber gar nicht ein, auf politischer Ebene etwas zu tun, was einem Privatmann schon bei einem Autokauf nicht einfiele: dem Verhandlungspartner die eigene Strategie zu offenbaren. ▪

Christine Mattauch