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Eine ganz neues Interesse an Deutschland

Ein Interview mit Manfred Hoffmann, Leiter de Auslandshandelskammer in Japan, über Trends und Entwicklungen nach „Fukushima“.

18.03.2013
© picture-alliance/dpa

Herr Hoffmann, am 11. März jährte sich die Dreifachkatastrophe von Fukushima zum zweiten Mal. Was hat sich seither in Japan verändert?

Auch wenn sich äußerlich das Gefühl einstellen mag, man wäre hierzulande wieder zur Tagesordnung übergegangen, beschäftigt das Thema „Fukushima“ und seine Auswirkungen die Menschen weiterhin sehr. Das gilt uneingeschränkt auch für die Wirtschaft. Die japanische Wirtschaft hatte damals schnell und diszipliniert reagiert und steht größtenteils wieder auf dem Niveau von vor der Katastrophe. Dabei sind japanischen Unternehmen zwei Dinge klar geworden: Erstens müssen sie ihren Energiebedarf sicherstellen und auf Umwelttechnologien setzen. Und zweitens müssen sie ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und dazu globaler denken und agieren als in der Vergangenheit. Beides wird nun umgesetzt. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind wichtige Weichen gestellt worden. Regelmäßig werden neue Großprojekte wie Solar- und Windparks angekündigt. Mit Blick auf Globalisierung konnten wir im letzten Jahr stark erhöhte Aktivitäten japanischer Unternehmen in der Welt beobachten – auch in Europa.

Wie hat die deutsche Wirtschaft vor zwei Jahren reagiert?

Natürlich hatten auch deutsche Unternehmen mit den Auswirkungen der Katastrophe zu kämpfen. Aber die allermeisten konnten schon sehr bald wieder zu Normalbetrieb zurückkehren. Uns ist kein Unternehmen bekannt, dass sich aufgrund des 11. März aus Japan hätte zurückziehen müssen. Im Gegenteil: Sicher hat die Katastrophe auch bei vielen deutschen Unternehmen dazu geführt, Ziele und Strategien zu überdenken, und wir können heute feststellen, dass viele vor allem im letzten Jahr gute Ergebnisse zu verzeichnen hatten. Trotzdem hat „Fukushima“ den Stellenwert Japans für deutsche Unternehmen weiter verringert. Diese Bewertung wird der Bedeutung des Landes jedoch in keiner Weise gerecht, zumal sich gerade auf Drittmärkten großes Potenzial für japanische und deutsche Kooperationen bietet. Wir hören immer wieder von deutschen Unternehmen, dass sie teils sogar mehr mit japanischen Partnern in Drittländern mehr umsetzen als hierzulande. Präsenz in Japan ist dafur allerdings eine Voraussetzung

Hat sich das Leben der deutschen Community in Japan wieder normalisiert?

Alles in allem ja. Es gab natürlich unmittelbar nach „Fukushima“ einige Rückwanderungen, vor allem von Familien mit Kindern, die verständlicherweise kein Risiko eingehen wollten. Seither haben aber auch viele andere ihren Weg neu nach Japan gefunden. Allerdings hat „Fukushima“ einen Trend verstärkt, der bereits vorher zu beobachten war: Es werden vergleichsweise mehr Führungspositionen nicht mehr mit Deutschen, sondern mit Japanern und Personal aus Drittländern besetzt. Zusammengefasst: Die Deutschen in Japan haben die Entwicklungen der letzten zwei Jahre besonnen analysiert, notwendige Maßnahmen ergriffen und verantwortungsvoll gehandelt – und tun dies auch weiterhin.

Birgt die Diskussion um die japanische Energiepolitik neue Geschäftschancen für deutsche Unternehmen?

Die Stärken und Schwächen deutscher und japanischer Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien ergänzen sich in vielen Punkten. So besteht in Deutschland etwa großes Know-how bei Windanlagen, wo japanische Unternehmen noch Nachholbedarf haben. Auch beim Thema Biomasse/Biogas kann Japan viel von Deutschland lernen und weiß das auch. Gleiches gilt für den Bereich Smart Communities. Noch ein weiter Weg wird es für energiesparende Technologien und Materialien etwa im Bereich der Gebäudeisolation sein. Hier könnte viel gehen, es fehlt allerdings noch am Bewusstsein in Japan. Darüber hinaus bieten sich Chancen für Kooperationen in den Bereichen Smart Grid und beim Auf- und Ausbau der Infrastruktur für die Elektromobilität, bei Batterien und neuen Materialien – wobei die Situation bezüglich des Know-hows hier eher umgekehrt ist.

Haben sich schon Projekte konkretisiert?

Ein aktuelles Beispiel für deutsch-japanische Kooperation ist das gerade im Januar neu gegründete deutsch-japanische Unternehmen juwi Shizen Energy Inc., das eigenen Angaben zufolge bis 2017 bis zu ein Gigawatt durch erneuerbare Energien in Japan ans Netz bringen will. Dass sich solche Projekte entwickeln, setzt voraus, dass sich die deutsche Seite bewegt und interessierte Unternehmen jetzt vor Ort gehen, um sich bereits ins Gespräch zubringen.

Man könnte vermuten, dass durch „Fukushima“, die Anti-Atombewegung, die Gründung einer grünen Partei und die Energiewende das Interesse der Japaner an Deutschland aufgrund einer ähnlichen Entwicklung gestiegen ist. Was beobachten Sie?

Wir haben ein drastisches Anwachsen des Interesses japanischer Unternehmen, Verbände und Regierungsstellen an deutschen politischen, organisatorischen oder technologischen Lösungsansätzen auf Regierungs- wie Unternehmensseite beobachtet. Deutschland steht für Japan in allen Aspekten, die mit erneuerbaren Energien und der Energiewende zu tun haben, im Fokus. Zu dem in letzter Zeit merklich gestiegenen Interesse trägt noch ein weiteres Phänomen bei: Deutsche Mittelständler sind global überdurchschnittlich stark aufgestellt. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Globalisierungsbewusstseins hat dies Deutschland ebenfalls stark ins Blickfeld japanischer Unternehmen und Verbände gerückt. In diesen beiden Themen, Energie und Globalisierung, wird Deutschland in den japanischen Medien teils zu einem Vorreiter stilisiert. Oben drauf kommt das Interesse an Deutschland als einem Land, das in Europa eine wichtige Rolle spielt und sich in Zeiten der Krise verhältnismäßig gut hält.

Interview: Martin Orth