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„Myanmar ist etwas Besonderes“

Myanmar hat einen eigenen Weg der Entwicklung eingeschlagen. Wohin führt er? Ein Interview mit Monika Staerk, Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Myanmar.

06.07.2016

Frau Staerk, Sie vertreten seit zweieinhalb Jahren die deutsche Wirtschaft in Myanmar. In welchem Maße hat sie Anteil am Aufschwung?

Die Zahl deutscher Investoren ist noch sehr gering. Das kennen wir aber aus anderen asiatischen Ländern in vergleichbaren Entwicklungsphasen. Ein Schwerpunkt deutscher Aktivitäten ist die Zulieferung – von Konsumgütern, Vorprodukten, aber vor allem auch von Industriegütern. Wir haben auch sehr spannende Einkaufsaktivitäten – im Bekleidungssektor, aber auch im Bereich verarbeiteter landwirtschaftlicher Produkte und in ersten Ansätzen bei einfachen Industriegütern. Vor Ort registriert sind gut 40 deutsche Unternehmen, aber die Zahl der deutschen Firmen, die regelmäßig aus anderen asiatischen Standorten anreisen und mit ihren Distributionspartnern Kunden besuchen, ist deutlich höher. Die German Myanmar Business Chamber, die Hand in Hand mit dem Delegiertenbüro arbeitet, hat über 70 Mitglieder.

Können Sie vielleicht ein Beispiel für ein erfolgreiches deutsches Unternehmen nennen?

Ich will kein einzelnes Unternehmen herausstellen, aber auf jeden Fall die langjährigen Pioniere nennen: die Hamburger Reederei Uniteam etwa, die seit Jahrzehnten im Land tätig ist, unter anderem in der Ausbildung von Seeleuten. Nivea ist ebenfalls schon lange in Myanmar präsent und eine führende Marke. Henkel lässt seit 2014 hier für den lokalen Markt Waschmittel produzieren. BMW und Mercedes, seit kurzem auch VW, werden über Partner vor Ort vertrieben. Und die großen Abfüllanlagen und Brauereien im Land laufen mit bewährtem deutschen Equipment. Siemens ist seit Jahren hier – andere DAX-Unternehmen wie BASF, Bayer, ThyssenKrupp haben nachgezogen. Und die großen Namen der deutschen Logistik finden Sie ebenfalls in Myanmar. Die Liste ließe sich fortsetzen.

In welchen Bereichen sehen Sie für deutsche Unternehmen noch Potenzial?

Zum jetzigen Status des Marktes gibt es Potenzial in fast allen Bereichen – am greifbarsten in der Konsumgüterproduktion, bei Druck und Verpackung sowie in der Bauwirtschaft, Infrastruktur und Energie. Aber Geduld ist vonnöten, um im preissensitiven myanmarischen Markt deutsche Qualität und Ressourceneffizienz durchzusetzen.

Wie sind die Rahmenbedingungen, wo besteht noch Reformbedarf?

Ein Problem ist sicher die Beschränkung bei Handel und Distribution, die nur rein lokalen Firmen offenstehen. Deutsche Unternehmen mit Lieferinteressen müssen also mit lokalen Distributionspartnern zusammenarbeiten. Gerade für die erklärungsbedürftigen deutschen Investitionsgüter und insgesamt für anspruchsvollere und hochpreisigere Produkte gibt es schlicht nicht genug davon. Dieser Engpass erschwert den Marktzugang für viele deutsche Unternehmen. Darüber hinaus ist Personal in Myanmar sicher die größte Herausforderung. Sie hören diese Klagen auch in anderen asiatischen Ländern, aber in Myanmar hat die lange Isolation vom Westen besonders dramatische Spuren hinterlassen. Schließlich muss sich die Kundengruppe lokaler Industrieunternehmen noch entwickeln, die in punkto Qualität und Produktivität massiven Nachholbedarf hat und aufgrund des schlechten Zugangs zu Finanzierung nur bedingt in deutsche Maschinen investieren kann. In den Anlagen der ausländischen Investoren im Bereich Öl und Gas und im Konsumgütersegment finden Sie bereits reichlich deutsches Equipment.

Können Sie die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in Zahlen fassen?

Ich könnte es mir einfach machen und sagen, dass Myanmar das am schnellsten wachsende Land in Asien-Pazifik ist. Die internationalen Organisationen gehen für die nächsten Jahre von BIP-Zuwachsraten zwischen 7 und 8,5 Prozent aus. Aber diese Entwicklung vollzieht sich von einem niedrigen Niveau aus. Das BIP pro Kopf hat noch keine 1400 US-$ erreicht – und der Wohlstand ist ungleich verteilt. Beim Bestand an Investitionen macht sich die lange Abschottung vom Westen bemerkbar. Ein Großteil der knapp 64 Milliarden US-$ wurde aus China investiert. Und der Zufluss genehmigter Projekte von gut 9 Milliarden US-$ im letzten Finanzjahr ist auch im regionalen Vergleich sicher bescheiden. Mehr kann das Land aber derzeit gar nicht absorbieren. Es wird auf die Qualität und Nachhaltigkeit des Wachstums ankommen. Ein schneller Boom war nie in Sicht – und ist bei der neuen Regierung auch gar nicht erwünscht.

Auf Ihrer Website bezeichnen Sie Myanmar als „das freundlichste Land in Asien, wenn nicht gar der Welt“. Was macht Myanmar aus?

Die Menschen haben eine natürliche, nicht aufgesetzte Freundlichkeit. Sie sind in der Kommunikation deutlich offener und unkomplizierter als andere Asiaten – und haben geduldige Nachsicht mit ahnungslosen Ausländern. Der Stolz des Landes ist auffallend. Man will nicht die asiatischen Nachbarn kopieren – weder Singapur noch China. Und sich nicht blind den Errungenschaften der westlichen oder globalen Konsumwelt unterwerfen. Die Menschen, viele Menschen, beharren auf ihrer Besonderheit. Wo gibt es das heute noch: Ein Land, das sich den Luxus leistet, anders zu sein? Das hat seinen Preis, was schnelles Wachstum angeht. Aber es hat eine spezifische Qualität. In zehn Jahren werden wir wohl wissen, ob Myanmar eigensinnig einen besonderen Entwicklungspfad gewählt hat oder ob sich die globale Uniformisierung durchgesetzt hat. Es ist ein Privileg, Zeuge dieses einmaligen Experiments sein zu dürfen. ▪

Interview: Martin Orth