Partner über den Wolken
Viel Bewegung am Himmel: Auch in der Luftfahrt sind die deutsch-türkischen Beziehungen intensiv.

Flugkapitän Rudolf Mayr weiß, was er seinen Passagieren schuldig ist: Unter der Mittagssonne Istanbuls dreht die voll besetzte Lockheed Super Constellation eine weitere Schleife über dem Flughafen Atatürk. Jeder der insgesamt 70 Verkehrspolitiker, Manager und Journalisten will noch einen Blick aus den Fenstern der viermotorigen Propellermaschine auf die türkische Metropole werfen. Dann geht die „Super Conny“, wie der elegante Flieger mit seinem delfinartigen Rumpf in der Luftfahrtbranche liebevoll genannt wird, in den Sinkflug über. Mit 220 km/h brummt die Lufthansa-Maschine der Piste entgegen, um dann butterweich aufzusetzen. Schließlich rollt sie langsam auf den Standplatz zu, wo eine große Delegation um den türkischen Außenminister und den Verkehrsminister wartet. Sechs Stunden nach dem Start in Frankfurt am Main ist damit der Lufthansa-Jungfernflug in die Türkei geglückt, der Orient-Dienst auf der Strecke München-Frankfurt-Istanbul am 12. September 1956 aufgenommen. Zwei Mal pro Woche fliegt die Linie mit dem Kranich-Wappen in der Folgezeit diese Strecke – als einziger Akteur im deutsch-türkischen Luftverkehr.
Bald 55 Jahre später hat der Kranich zahlreiche Gesellschaft bekommen. Zwar startet zurzeit allein die Lufthansa 73 Mal die Woche von München und Frankfurt aus Richtung Türkei. Gleichwohl sind außer dem europäischen Branchenprimus inzwischen 20 weitere deutsche und türkische Airlines zwischen den beiden Ländern unterwegs: Da ist der Global Player Turkish Airlines, für den Deutschland der wichtigste Auslandsmarkt ist. 2010 feierte der türkische Staatscarrier 50 Jahre Flüge nach Deutschland mit einem schwarz-rot-golden lackierten Airbus A321; Turkish Airlines fliegt heute insgesamt 220 Mal die Woche nach Deutschland. Da gibt es mittelgroße Fluggesellschaften wie Air Berlin und die türkische Pegasus Airlines, die die Nummer zwei in ihren jeweiligen Heimatländern sind. Und dann sieht man auf deutschen und türkischen Flughäfen auch noch Airlines, die kaum jemand kennt: die XL Airways Germany und Hamburg Airways, oder die Atlasjet Airlines und Tailwind Airlines, die alle für deutsche oder türkische Reisekonzerne unterwegs sind. So starteten von Januar bis Oktober 2010 insgesamt 36809 Mal Flieger von Deutschland aus in die Türkei. Und dabei geht es natürlich längst nicht mehr um Heimatflüge der so genannten Gastarbeiter und deren Nachkommen. Inzwischen dreht sich der intensive deutsch-türkische Luftverkehr um viel mehr. Er ist auch Ausdruck der aufstrebenden Wirtschaftsmacht Türkei, deren wichtigster Handelspartner Deutschland ist. Vor allem aber gibt ihm der Tourismus Jahr für Jahr neuen Auftrieb.
Inzwischen rangiert das Urlaubsparadies Türkei hinter Spanien auf Platz zwei in der Beliebtheitsskala der Deutschen. Sie stellten 2010 mit ca. 4,3 Millionen Touristen knapp 16 Prozent der insgesamt 27,5 Millionen Türkei-Reisenden und waren somit die größte Urlauber-Nation des Landes. Immer feiner wird das Luftnetz, das die deutschen und türkischen Airlines spinnen. Und das tun sie auch als Partner. Zum Beispiel Air Berlin und Pegasus Airlines: Seit September 2009 verbindet die beiden schnell wachsenden Unternehmen eine Online-Vertriebspartnerschaft. Auf der Suche nach Kapital hatte Air Berlin im April 2009 die türkische ESAS Holding als größten Aktionär mit an Bord genommen – 16,48 Prozent der Anteile hält die Istanbuler Beteiligungsgesellschaft heute, zu der die Pegasus Airlines gehört. Dank ihr kann Air Berlin 17 weitere Destinationen in der Türkei anbieten. „Diese Kooperation ist erst der Anfang, um unsere Gäste noch besser zu bedienen“, so Ali Sabanci, Pegasus-Vorstandschef. Weiter fortgeschritten ist die Kooperation zwischen dem Frankfurter Flughafen-Betreiber Fraport und dem türkischen Mischkonzern IC Ictas. 2007 gründeten sie die „Fraport IC Ictas Antalya Airport Terminal Investment and Management Inc.“, an der Fraport 51 Prozent der Anteile hält. Inzwischen betreibt das Joint Venture am zweitgrößten Flughafen der Türkei neben den beiden internationalen Terminals auch das Inlandsterminal.
Noch weit reichender ist die Zusammenarbeit der Staatscarrier Lufthansa und Turkish Airlines. Zum einen sind die beiden seit 2007 Partner in der „Star Alliance“, dem von der Lufthansa angeführten, größten Luftfahrtbündnis der Welt. Eine Partnerschaft, die den Aufstieg der Turkish Airlines zum Global Player und zur viertgrößten Fluggesellschaft Europas maßgeblich gefördert hat. „Wir haben die Effizienz vom Westen und den Service vom Osten gelernt“, verrät Turkish-Airlines-Vorstandschef Temel Kotil augenzwinkernd. Zum anderen gründeten die zwei Fluggesellschaften schon im Oktober 1989 eine gemeinsame Ferienflugtochter: die SunExpress mit Sitz in Antalya, an der beide jeweils 50 Prozent halten. Damals mit einer einzigen Boeing 737-300 gestartet, ist SunExpress heute Marktführer im deutsch-türkischen Charter-Verkehr: In 25 Maschinen hat sie 2010 fast sieben Millionen Passagiere befördert und dabei mehr als 500 Millionen Euro Umsatz eingeflogen. So erfolgreich ist diese deutsch-türkische Tochter, das sie nun sogar einen Enkel zur Welt bringt: die deutsche SunExpress mit Sitz in Kelsterbach bei Frankfurt. „Das ist unser wichtigstes Investment seit der Gründung von Sun-Express“, wie Vorstandschef Paul Schwaiger betont, der auch den deutschen Ableger führen wird. Dieser wird vom Sommer an mit zusätzlichen drei Maschinen von Frankfurt, Stuttgart, München und Düsseldorf aus zu acht türkischen Städten fliegen. Und im nächsten Winter soll die neue Gesellschaft mit weiteren drei Flugzeugen erstmals Ägypten ansteuern, direkt von Deutschland aus – das geht eben nur, wenn die Airline ihren Hauptsitz in Deutschland hat. Weiterer Vorteil: Als deutsche Airline kann SunExpress auf attraktivere Start- und Landezeiten hoffen, als sie sie bislang in Deutschland erhält.
Angesichts des heute schon von starker Konkurrenz geprägten deutsch-türkischen Flugmarktes löst diese Expansion bei den Wettbewerbern alles andere als Begeisterung aus. Zwar geht der Deutsche Reiseverband davon aus, dass das Reiseland Türkei dank seines guten Preis-Leistungs-Verhältnisses im deutschen Quellmarkt auch in diesem Jahr kräftig wachsen wird: um rund sechs Prozent. Zugleich werden die Flugzeug-Kapazitäten aber um fast 20 Prozent steigen. Auch die Condor, Tochter des deutsch-britischen Touristikers Thomas Cook, erhöht zum Sommer die Zahl ihrer Türkei-Flüge; zudem hat Cook im September vom Hamburger Unternehmer Vural Öger, dem Pionier des deutsch-türkischen Reisegeschäfts, dessen Öger Tours übernommen.
Tatsächlich herrscht auf dem deutsch-türkischen Fliegermarkt seit Jahren ein ständiges Kommen und Gehen. Viele kleine Airlines versuchen ihr Glück und scheitern dabei auch oft. Den Kunden kann das nur recht sein: Sie profitieren von den Kampfpreisen neuer Wettbewerber. Paul Schwaiger macht der kommende Winter trotzdem kein Kopfzerbrechen. Wie andere Türkei-Kenner sieht er, dass das Land sich zur Ganzjahres-Destination entwickelt: mit verstärktem Kultur-, Sport- und Gesundheitstourismus. „Für erfahrene und geschickte Luftfahrtunternehmen ist da noch viel Platz“, meint Schwaiger zuversichtlich.