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Taicang, die deutsche Stadt

Über 180 deutsche Unternehmen haben sich in der Stadt nahe Shanghai angesiedelt.

22.01.2014
© Taicang Investment Promotion Bureau

Deutsche Gründlichkeit gilt für den Maschinenbauer Trumpf auch in China. In der Fabrikhalle ist es sauber, das Licht der Neonröhren spiegelt sich in dem grauen Linoleumboden. An der Wand hängen Diagramme, die anzeigen, wie hoch die Produktivität in diesem Monat und in dieser Woche war. „Das aktualisieren wir jeden Tag“, sagt Peter Hafner, Produktionsdirektor bei Trumpf China. Die Kurve zeigt nach oben, offensichtlich steigt die Produktivität. Hafner hat ein Auge darauf, dass seine Fabrikhalle die Standards einhält, die auch für die Trumpf-Standorte in Deutschland gelten. Dazu gehört ein Produktionsplan, auf dem in rot und grün eingezeichnet wird, an welchen Stellen der Fabrik der Ablauf hakt und wo alles glatt geht. Heute klebt bei der Logistik ein roter Punkt. „Da muss ich gleich mal nachschauen“, sagt Peter Hafner. Hafner mag es nicht, wenn es in seiner Fabrik klemmt oder unaufgeräumt aussieht. Bei Trumpf geht es sehr deutsch zu – und das, obwohl die Fabrik in Taicang, rund 50 Kilometer nördlich der Wirtschaftsmetropole Shanghai in China, steht.

In ganz Taicang geht es ziemlich deutsch zu: Trumpf ist bei weitem nicht das einzige deutsche Unternehmen, das sich hier in der „Taicang Development Area“ angesiedelt hat. Über 180 deutsche Unternehmen sind inzwischen in der 500.000-Einwohner-Stadt in der Jiangsu-Provinz vertreten. Taicang ist deshalb so etwas wie ein deutsches Gewerbegebiet mitten in China, eine kleine deutsche Musterstadt. Die Straßen sind sauber, flache zweistöckige Wohnhäuser mit Holzfassaden erinnern an deutsches Fachwerk. Es gibt deutsche Restaurants, deutsches Weißbier, ein Oktoberfest. Die deutschen Firmen gehen kollegial miteinander um: Viele haben ein sogenanntes Gentlemen‘s Agreement unterzeichnet, wonach es verboten ist, sich untereinander die Mitarbeiter abzuwerben.

Zu verdanken hat die Stadt ihren Erfolg bei den Deutschen dem Herdentrieb der Mittelständler: Nachdem mit Kern Liebers, einem Zulieferer für die Automobil- und Textilindustrie, im Jahr 1993 das erste deutsche Unternehmen in Taicang die Produktion aufnahm, folgten schnell weitere Firmen aus Deutschland, vor allem aus Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Für viele kleinere deutsche Unternehmen war es beruhigend zu wissen, dass man in China deutsche Nachbarn und deutsche Standards erwarten konnte. Es fiel leichter, in die Fremde zu ziehen. Während sich andere Gewerbegebiete in China auf einzelne Branchen spezialisiert haben, setzte Taicang von Anfang an auf die Nationalität als Hauptansiedlungsargument. „Wir versuchen, es den deutschen Unternehmen so einfach wie möglich zu machen“, sagt Da Wenmin, die Leiterin des „Investment Promotion Bureau of Taicang“. Ein großer Teil der Firmen kommt heute aus den Bereichen Maschinenbau, Elektronik und Automobil.

Für die Deutschen ist die Nähe zu Shanghai ein großer Vorteil, den Taicang gegenüber anderen Gewerbegebieten hat. Viele pendeln jeden Tag zwischen Taicang und Shanghai. „Die Lage ist auch für die Chinesen ein Argument“, sagt Christian Blatt, General Manager bei Krones in Taicang. Sein Unternehmen stellt hier Abfüllanlagen für Getränke her. „Die Chinesen finden das sehr gut, dass hier so viele deutsche Firmen auf einem Haufen sind“, sagt Blatt. „Das macht Taicang zu einem sehr attraktiven Standort.“ Auch ihm gefällt die Arbeit in Taicang: Der Draht zu seinen Nachbarn ist kurz, es gibt deutsche Stammtische in den Lokalen und einen sogenannten Round Table, der sich einmal im Monat trifft, um die wirtschaftliche Lage zu besprechen.

Doch auch hier, in ihrem Musterstädtchen, spüren die Deutschen die wachsenden Herausforderungen, die Unternehmen in ganz China zu schaffen machen: Die Gehälter steigen, gleichzeitig wird es schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Christian Blatt ist deshalb inzwischen bereit, seinen Managern deutlich mehr zu zahlen, um sie nach Taicang zu locken. „Wir müssen uns hier unsere eigenen Lösungen stricken“, sagt er. Er rekrutiert im ganzen Land und versucht, Absolventen direkt nach der Schule anzuwerben. Auf Jobmessen sucht Blatt ebenfalls nach geeigneten Mitarbeitern. Seit 2007 hat sich der Umsatz von Krones in Taicang verzehnfacht. Christian Blatt kann es sich also leisten, mehr für seine Mitarbeiterrekrutierung auszugeben. „Wir müssen unseren Mitarbeitern so viel zahlen, dass sie sich ein Appartement und ein Auto kaufen können, damit sie hier heiraten und bleiben“, sagt Blatt.

Peter Hafner bietet seinen Managern bei Trumpf neben dem Gehalt und einem „guten Arbeitsumfeld“ einen Fahrservice an, vier Minibusse verkehren jeden Tag zwischen Taicang und Shanghai. „Es geht um das Gesamtpaket“, sagt Peter Hafner. Daneben versucht Trumpf, Chinesen zu gewinnen, die an deutschen Universitäten studieren, zum Beispiel Maschinenbauer, Techniker und andere Ingenieure. Über die Zukunft machen sich die meisten Deutschen in Taicang trotz der Herausforderungen keine Sorgen. Sie wollen bleiben. Man sei an diesem Standort gut aufgehoben, sagt Krones-Geschäftsführer Christian Blatt.▪

Nina Trentmann