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„Wir sind in der heißen Phase“

Die EU und Japan verhandeln ein ambitioniertes Freihandelsabkommen. Ein Interview mit Timo Hammarén, Head of the Trade Section bei der Delegation der Europäischen Union in Japan.

22.12.2014
© Deutsche Industrie- und Handelskammer in Japan - Timo Hammaren

Herr Hammarén, in Deutschland herrschte lange Zeit Skepsis, ob das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan zustande kommt. Gibt es inzwischen Fortschritte?

Ja. In den meisten Bereichen, die bislang Teil der Verhandlungen waren, gibt es solide Fortschritte wie die Zwischenbilanz nach einem Jahr im Sommer 2014 gezeigt hat. Zum Vergleich: Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Korea wurde in einer Rekordgeschwindigkeit von drei Jahren verhandelt. Wir wollen nun den Abschluss bis Ende 2015 schaffen. Das ist das Ziel von Premierminister Abe. In den vorherigen Runden haben wir Vorschläge zu Zöllen auf Waren sowie zu Investitionen und Dienstleistungen ausgetauscht. In Kürze folgt das öffentliche Beschaffungswesen. Japan hat bereits zugestimmt, die Mehrheit der von uns identifizierten nichttarifären Handelshemmnisse im Automobilsektor in das Abkommen aufzunehmen. Bei Lebensmitteln arbeitet Japan an der Bestimmung einer Gruppe von Zusatzstoffen, die international weit verbreitet, absolut unbedenklich und in der EU und weltweit erlaubt sind – in Japan aber nicht akzeptiert werden. In den meisten Fällen sind wir uns ebenfalls einig. Jetzt sind wir dabei, Japan eine zweite und endgültige Liste zu den nichttarifäre Handelshemmnissen vorzulegen. Mit anderen Worten: Wir sind in der „heißen Phase“ der Verhandlungen und wollen Ergebnisse erzielen.

Können Sie einige Beispiele nennen?

Importierte Fahrzeuge müssen in Japan extra zugelassen werden – egal ob sie bereits in der EU eine Zulassung erhalten haben. Das betrifft auch Teile. Wir möchten, dass Japan EU-Standards ohne weitere Tests akzeptiert, beruhend auf Gegenseitigkeit. Die „Kei-Car“-Steuer ist ein weiteres Beispiel. Dort hatten wir bereits einige positive Entwicklungen in Form einer Reduktion dieser Begünstigung für japanische Kleinwagen. Darüber hinaus waren Rindfleischprodukte aus der EU wegen BSE in Japan lange verboten. Nun wird Rind aus Frankreich, den Niederlanden, Irland und Polen wieder zugelassen. Bei der Medizintechnik streben wir eine gegenseitige Anerkennung klinischer Tests an. Für ausländische Unternehmen sind die Zulassungsprozesse in Japan sehr kostspielig und zeitaufwendig, ohne dass man weiß, ob sie am Ende erfolgreich sind. Auch hier haben wir bereits ein paar gute Resultate erzielt.

Wie wird sich das Abkommen auf die Handelsbilanz zwischen auswirken?

Japan war in den frühen 1990er-Jahren der drittgrößte Handelspartner der EU. Jetzt liegt es auf Platz 7. Zu einem großen Teil hängt das mit der Entwicklung in Schwellenländern zusammen – die naturgemäß einen zunehmenden Anteil am EU-Handel ausmachen. Aber wir sehen großes Potenzial für Japan, durch das Abkommen diesen Trend umzukehren. Wir schätzen, dass die Exporte aus der EU nach Japan um rund 30 Prozent steigen warden, die aus Japan in die EU um circa 20 Prozent.

Welche Sektoren würden am stärksten profitieren?

Wir denken, das werden landwirtschaftliche Produkte, Pharma und Medizintechnik sowie der Dienstleistungssektor sein; also IT, Consulting, Recht, Immobilien, Personal und Marketing und PR. Allgemein werden KMU stark profitieren, denn sie leiden unter den bestehenden nichttarifären Handelshemmnissen am meisten.

Welche Sektoren müssen mit Nachteilen rechnen?

In der Automobil- und Schienenverkehrsindustrie gibt es Bedenken. Japan ist daran interessiert, seine Züge in Europa zu verkaufen. Wir wollen das gleiche in Japan erreichen. Natürlich bestehen wir deswegen nicht darauf, Japans Shinkansen durch europäische Züge zu ersetzen. Aber es gibt sicher Potenzial im städtischen Verkehr, bei Lokal- oder Regionalzügen, bei Komponenten und bei Verkehrsmanagementsystemen, wo europäische Unternehmen Weltspitze sind. Einige sind in Japan bereits erfolgreich bei Komponenten. Doch der Marktzugang ist begrenzt. Obwohl es ein Abkommen gibt, dass die größten japanischen Unternehmen aus dem Bereich zu Offenheit, Transparenz und Nichtdiskriminierung im Auftragswesen verpflichtet, fällt bei ihnen fast alles unter die sogenannte „Operational safety clause“: Alles, was sicherheitsrelevant ist, muss nicht einer öffentlichen Ausschreibung unterliegen. Uns ist Sicherheit wichtig. Aber wir möchten, dass diese Sicherheitsklausel nicht länger als versteckter Protektionismus fungiert. Sollte das Ergebnis der Verhandlungen sein, dass Japan seine Züge in Europa verkauft und uns ein relevanter Zugang zum japanischen Markt verschlossen bleibt, werden wir zu keiner Übereinstimmung kommen. Zugang muss gegenseitig und gleichwertig sein.

Was sind die kritischsten Punkte für Japan?

Die EU-Zölle in Höhe von 10 Prozent auf Pkw sowie einige Zölle auf High-End Elektronikartikel. Zudem sind für Japan seine „fünf heiligen Sektoren“, also Reis, Weizen, Rind und Schwein, Milchprodukte und Zucker, unantastbar. Selbst der Import von verarbeiteten Produkten kann problematisch sein, sofern sie Elemente dieser fünf Produktgruppen beinhalten. Das werden wir nicht akzeptieren. In der Vergangenheit zählten allerdings auch Lederwaren zu den Produktgruppen, bei denen Japan nie zu Zugeständnissen bereit war. Das hat sich geändert. Für uns ist das wichtig – die EU exportiert jährlich Lederwaren im Wert von mehr als 1 Milliarde Euro, mit einem überragenden Handelsbilanzüberschuss gegenüber Japan.

Wie sieht es im Dienstleistungssektor aus?

Dienstleistungen und Investitionen sind ein entscheidender Teil des Abkommens. Japans Importe sind weit unter ihrem Potenzial. Mit einem ehrgeizigen Abkommen könnte unseren Modellrechnungen zufolge der Export aus der EU nach Japan um 22 Prozent ansteigen. Bei Investitionen wollen wir besseren Marktzugang und effektive Nichtdiskriminierung vor und nach der Gründung in Japan erreichen. Derzeit gelten die FDI-Flüsse nach Japan als sehr niedrig, verglichen mit anderen Industrienationen.

Wird es Überwachungsmechanismen als Teil des Abkommens geben?

Es wird einen Schlichtungsmechanismus geben, als letzte Instanz. Grundsätzlich sollen aber Arbeitsgruppen und Komitees in regelmäßigen Treffen sicherstellen, dass das Abkommen ordentlich umgesetzt wird. ▪

Interview: Patrick Bessler