Pioniere eines neuen Zeitalters
„Deutschlands digitale Köpfe“ – 9 von 39 Persönlichkeiten, die von der „Gesellschaft für Informatik“ ausgezeichnet wurden.

Sie prägen Universitäten und Unternehmenszentralen, wirken in Kreativbüros und in der Politik – und vor allem gestalten sie eine Welt im Umbruch. „Deutschlands digitale Köpfe“ sind in den verschiedensten Bereichen tätig. Die „Gesellschaft für Informatik“ hat 39 von ihnen als Persönlichkeiten ausgezeichnet, „die mit ihren inspirierenden Projekten, Ideen und Visionen Deutschlands digitale Exzellenz repräsentieren“. Und das an so unterschiedlichen Orten wie der Weltstadt Berlin oder der 14 000-Einwohner-Gemeinde Wennigsen in Niedersachsen.
In Wennigsen ist Christoph Meineke Bürgermeister; er gilt als „Deutschlands erster Netzpolitiker“. Auch mithilfe der damals noch neuen sozialen Medien gewann er seinen Wahlkampf. Heute setzt er digitale Technik für die direkte Beteiligung der Bürger ein. Die Neugestaltung eines alten Wohnquartiers konnten die Bewohner webbasiert mitprägen; beim Projekt „Klimaversprechen“ wurde die kommunale CO2-Reduktion online erfasst. Das Beispiel Wennigsen hat längst Vorbildcharakter und zeigt, dass der digitale Wandel in Deutschland kein Eliten-Projekt ist, sondern viele Lebensbereiche erfasst hat. Dennoch: Ohne Vordenker, die globale Zusammenhänge analysieren und beeinflussen können, fehlen der digitalen Gesellschaft tragfähige Visionen.
Eine dieser Vordenkerinnen ist Anja Feldmann, die an der Technischen Universität Berlin Informatik lehrt. Ihre Forschungsarbeit verfeinerte unter anderem Methoden zum Senden aktualisierter Websites, die in sämtlichen Browsern und Servern Eingang fanden. Die Professorin ist auch Praktikerin und hat die heutige Schnelligkeit des „World Wide Web“ wesentlich beeinflusst. Das schafft neue Medienmöglichkeiten, von denen Macher wie Christoph Krachten profitieren. Krachten leitet Mediakraft Networks, den größten Online-TV-Sender im deutschsprachigen Raum. Er erreicht mit seinen Netzwerken rund 16 Millionen Zuschauer. In einem Interview sagte Krachten unlängst: „Es gibt eine Demokratisierung der Medien. Jeder hat die Chance, Inhalte zu produzieren, jeder kann sein Publikum finden.“ Das klingt nach Aufbruch. Und nach einer Zukunft, die täglich neu gedacht und entwickelt wird. „Deutschlands digitale Köpfe“ arbeiten an ihr. ▪
„Deutschlands digitale Köpfe“: www.gi.de/digitale-koepfe.html
Die Vordenkerin
„Sind nicht viele Seiten des Internets auch als ein öffentlicher Raum zu begreifen? Dieser Raum braucht klare Grenzen in Bezug auf die Privatsphäre, aber er birgt auch neue Chancen“: In diesem Zitat von Mercedes Bunz steckt der große Elan der Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, die Möglichkeiten des digitalen Wandels zu erschließen – und ihre aufgeklärte Wachheit gegenüber blindem Optimismus.
Für Bunz ist der Zugang zu Wissen ein entscheidender Zukunftsfaktor, mit dem sie sich auch als Direktorin des „Hybrid Publishing Lab“ an der Lüneburger Leuphana Universität auseinandersetzt. Die ganz konkreten Folgen der Digitalisierung hat sie unter anderem als Medien- Redakteurin des Londoner „Guardian“ kennengelernt.
Der Dolmetscher
„Unternehmensberater“ können sich nicht viele 20-Jährige nennen. Philipp Riederle schon. Vor sieben Jahren hat er einen bis heute erfolgreichen Technik-Podcast gestartet. Mittlerweile hält der Abiturient jede Woche Vorträge vor Managern und Organisationen, die eine ihnen noch neue Welt verstehen wollen.
Die erstaunliche Autorität des jungen Mannes bringt die „Berliner Morgenpost“ auf den Punkt: „Er könnte einer sein, den Soziologen in 150 Jahren gerne zitieren werden, wenn sie versuchen zu erklären, was damals eigentlich passiert war.“
Die Medien-Managerin
Das Zitat über ihre digitale Sucht nimmt man Katharina Borchert sofort ab. Die gute Nachricht: Ihre Abhängigkeit von den sozialen Medien nutzt die Juristin, um den digitalen Wandel im Journalismus mitzugestalten. Schon Mitte der 1990er-Jahre schrieb sie über Internetthemen; ihr Blog „Lyssas Lounge“ war ein bekanntes deutschsprachiges Blog.
Heute ist Borchert Geschäftsführerin des Leitmediums „Spiegel Online“. Oder, so nennt sie das Weltwirtschaftsforum: ein „Young Global Leader“.
Die Pädagogin
Von dieser Frau kann jeder etwas lernen, sogar Roboter. Sabina Jeschke setzt sich an der deutschen Spitzenuniversität RWTH Aachen für eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ein. Die Professorin für Informatik im Maschinenbau forscht an Robotersystemen, die flexibel mit ihrer Umgebung interagieren. Schon vor Jahren besuchten 1600 Studierende eine einzige, „klassische“ Lehrveranstaltung der hervorragenden Pädagogin, die auch die Chancen von „Massive Open Online Courses“ betont.
Der Multi-Unternehmer
Einen wie ihn vermutet man eher im Silicon Valley: Oliver Samwer ist ein ruheloser Firmenentwickler, immer auf der Suche nach Trends der digitalen Zukunft. Von Berlin aus verfolgt er mit seinen Brüdern Marc und Alexander ehrgeizige Pläne: „In 40 Jahren soll im Wikipedia-Eintrag über uns zu lesen sein, dass niemand weltweit so viele Internetunternehmen so systematisch gebaut hat wie wir.“ Samwer provoziert und polarisiert. Aber: Er hat das digitale Unternehmertum in Deutschland aus der Taufe gehoben und prägt längst internationale Märkte.
Samwers Firmen-Inkubator Rocket Internet hat 70 Online-Unternehmen im Portfolio, die in über 100 Ländern aktiv sind – vom Modehändler bis zum Taxivermittler. Oliver Samwer blickt mit Respekt auf die amerikanische Gründerkultur – und schätzt den Standort Deutschland: „Wir haben viele junge, hungrige Leute.“
Die Produktentwicklerin
Der Kunde als Partner – nicht bloß im klassischen Kaufgeschäft, sondern schon in der kreativen Produktentwicklung. Wie soll die Wärmeisolierung einer Outdoor- Jacke aussehen? Worauf legen japanische Kunden bei einem Hochdruckreiniger Wert? Welche Farben werden von Frauen aktuell beim Nagellack bevorzugt? Nur drei Fragen, denen Catharina van Deldens Unternehmen innosabi mit innovativem Crowdsourcing nachgeht. Mit spezieller Software bündelt innosabi Konsumentenwünsche und begleitet Firmen bis zur Entwicklung des marktreifen Produkts.
„Die Bedeutung von Innovation wird inzwischen wieder stärker wahrgenommen und ist im oberen Management angekommen“, sagt die IT-Unternehmerin. Dafür macht sie sich stark – auch als Präsidiumsmitglied des Branchenverbands Bitkom.