Rohstoffe aus Europa für Europa
Die Europäische Union fördert gezielt Projekte, die den Kontinent unabhängiger von wichtigen Rohstoffen aus Drittländern machen.

Wer die Ortenau im Südwesten Deutschlands kennt, denkt an den Schwarzwald, an Weinbau und eine wunderschöne Landschaft direkt an der Grenze zu Frankreich. In naher Zukunft könnte der Region eine weitere Bedeutung zukommen: Sie verfügt über ein nennenswertes Vorkommen des Elements Lithium, das für die Herstellung von Batterien wichtig ist.
An einer Förderung des Rohstoffs arbeitet das deutsche Unternehmen Vulcan Energy – als Teil einer ganzen Reihe von Projekten, die die Europäische Union als strategisch bedeutsam identifiziert hat. Die 47 Vorhaben sollen helfen, in der EU die heimische Rohstoffversorgung zu sichern, so EU-Industriekommissar Stéphane Séjourné, der das Ganze einen „Meilenstein für die Souveränität Europas als Industriestandort“ nennt.
Für die angestrebte Energiewende spielt die Elektromobilität eine wichtige Rolle. Auf der Liste stehen deshalb vor allem Vorhaben, die Rohstoffe für Batterien sichern sollen: 22 Projekte haben mit Lithium zu tun, zwölf mit Nickel, dazu kommen Grafit, Kobalt und Mangan. Es geht um den Abbau, das Recycling und die Verarbeitung dieser Rohstoffe – und um hohe Umweltstandards.
„Weißes Gold“ aus Deutschland
Das von Vulcan Energy bereitgestellte Lithium soll der europäischen Auto- und der Batterieindustrie dienen. In der ersten Projektphase „Lionheart“ soll ausreichend Lithium für 500.000 Elektrofahrzeuge, ab der zweiten Projektphase für eine Million Fahrzeuge pro Jahr gewonnen werden. Unternehmenschef Francis Wedin sagt: „Wir wollen als erstes Unternehmen in Europa heimisches Lithium herstellen und als erstes Unternehmen weltweit klimaneutrales Lithiumhydroxid-Monohydrat für Elektrofahrzeugbatterien produzieren.“ Dabei nutzt das Unternehmen die Ressourcen der Landschaft am Oberrhein – es arbeitet mit natürlicher Erdwärme, um Strom zu erzeugen.
Bislang kommen das auch als „weißes Gold“ bezeichnete Lithium und andere wichtige Rohstoffe für die Mobilitätswende überwiegend aus China, Australien und Südamerika. Europa könne Rohstoffe aber nicht länger nur jenseits seiner eigenen Grenzen kaufen, sagt Industriekommissar Séjourné. Diese Auffassung scheinen viele zu teilen. Denn 170 Projektpartner wollten teilnehmen, die EU wählte daraus die 47 als strategisch eingestuften Projekte aus. Neben Deutschland sind Belgien, Frankreich, Italien, Spanien, Estland, Tschechien, Griechenland, Schweden, Finnland, Portugal, Polen und Rumänien beteiligt.
Leichterer Zugang zu Investitionen
Für die erfolgreichen Projekte bedeutet der Zuschlag aus Brüssel einen leichteren Zugang zu Investitionen. Um alle Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen, sind nach Einschätzung der EU 22,5 Milliarden Euro erforderlich – also fast 500 Millionen Euro pro Projekt. Weil sie den Zuschlag erhalten haben, kommen die 47 Projekte nun leichter an Förderungen von staatlichen Stellen.
Unter den ausgewählten Unternehmen ist auch das internationale Unternehmen Northern Graphite mit Sitz in Kanada, das Grafit in Batteriequalität auf den Markt bringen will. In Frankfurt am Main tätige Experten des Unternehmens hatten bei der EU den Vorschlag eingereicht, Grafit aus einem Projekt der Firma in Namibia zu verwenden. Dieses soll in einer Anlage in Frankreich weiterverarbeitet werden. Die EU akzeptierte den Antrag. Schon 2028 sollen nun in Frankreich auf Grundlage der Lieferungen aus Namibia 20.000 Tonnen Material für Batterien hergestellt werden können. Solche großen Mengen werden dringend benötigt: In den Batterien hat das sogenannte Batterieanodenmaterial das größte Gewicht. Jedes E-Auto benötigt etwa 40 bis 80 Kilo.
Recycling als Zukunftsmodell
Die Projektpartner können ihre Vorhaben schnell umsetzen, weil die als strategisch eingestuften Projekte von deutlich schnelleren Genehmigungsverfahren profitieren. Die können in der EU bisher fünf bis zehn Jahre dauern. Künftig sollen es bei vielen Projekten höchstens 15 Monate sein, bei Projekten zur Gewinnung von Rohstoffen – also zum Beispiel Minen – maximal 27 Monate. Dies führt zu Anstrengungen in ganz Europa zur Rohstoffgewinnung, an die bislang kaum zu denken war. So will der britische Rohstoffgigant Anglo American in Finnland ab dem Jahr 2030 große Mengen Kupfer produzieren. Und der belgische Materialkonzern Umicore beantragte erfolgreich gleich zwei Projekte, die mit innovativem Recycling das für Computerchips wichtige Metall Germanium gewinnen sollen.
Bereits bis zum Jahr 2030 sollen in Europa zehn Prozent der Rohstoffe gewonnen werden, die hier gebraucht werden. An recycelten Rohstoffen sollen 25 Prozent bis dahin in Europa wiederverwendet werden – bei den verarbeiteten Rohstoffen ist sogar ein Anteil von 40 Prozent geplant.
Hohe Abhängigkeit von China
„Ganz am Anfang unserer strategisch wichtigsten Lieferketten stehen Rohstoffe“, sagt EU-Kommissar Séjourné zur Bedeutung der Projekte. Um weg von Kohle und Öl zu kommen, seien sie unerlässlich. Die Grundlage dafür ist der sogenannte Critical Raw Materials Act, den die EU 2023 für ihre Rohstoffsicherheit beschlossen hatte.
Dass solche Regelungen dringend nötig sind, zeigt eine kürzlich vom deutschen Industrieverband BDI veröffentlichte Studie. Demnach seien Deutschland und Europa bei bestimmten Rohstoffen zu mehr als 90 Prozent von China abhängig. Auch bei der Verarbeitung der Rohstoffe seien wichtige Kompetenzen an andere Länder verloren gegangen. Die ausgewählten Projekte sollen dies nun ändern.