Zum Hauptinhalt springen

Selbstständigkeit als Perspektive

Das Handwerk sucht in allen Bereichen dringend Fachkräfte – Qualifizierte aus dem Ausland haben hier beste Chancen. Vermittlungsangebote unterstützen bei der Suche des passenden Betriebs. 

23.01.2024
Für ausgebildete Fachkräfte kann auch die Selbstständigkeit eine langfristige Perspektive in Deutschland sein.
Für ausgebildete Fachkräfte kann auch die Selbstständigkeit eine langfristige Perspektive in Deutschland sein. © AdobeStock

In der Schreinerei von Martin Kohstall arbeiten Menschen aus vielen verschiedenen Ländern zusammen – aus Togo, Senegal, Syrien, Frankreich, Ghana, Kroatien und Griechenland. Der Schreinermeister übernimmt Aufträge im Innenbau, sein Team ist eine Mischung aus älteren, erfahrenen Schreinern und jungen Auszubildenden oder Gesellen. Einer von ihnen ist Abdulrahim Alshallah, er kam 2018 aus Syrien nach München. In seinem Heimatland hatte er Schreiner gelernt, eine formale Ausbildung wie in Deutschland gibt es dort allerdings nicht. Martin Kohstall hat ihn auch ohne Abschluss angestellt. „Ich brauche nette junge Menschen, die arbeiten wollen“, sagt der Münchner. „Die Nationalität spielt dabei keine Rolle – für mich war die Welt schon immer bunt.“

Wer sich bei ihm bewirbt, macht erst einmal ein Praktikum. „Die Arbeitseinstellung ist entscheidend, Bewerberinnen und Bewerber müssen den Willen haben, etwas zu lernen“, betont Kohstall. „Und es muss menschlich passen.“ Deutschkenntnisse sind für ihn weniger wichtig. Seit 15 Jahren stellt er regelmäßig Fachkräfte aus dem Ausland ein, etwa die Hälfte der 23 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat einen internationalen Hintergrund. „Sie sind unsere Zukunft im Handwerk“, sagt der Schreiner mit Nachdruck. „In Deutschland fehlt schon seit Jahren der Nachwuchs.“ Im Handwerk werden Fachkräfte händeringend gesucht, und zwar in allen Bereichen, wie Stefan Gustav von der Handwerkskammer Koblenz betont. In gewerblich-technischen Berufen ebenso wie in der Lebensmittelherstellung, im Metallhandwerk oder auf dem Bau. „Ich führe viele Telefonate mit Betrieben, die Beziehungen zu einem Land haben und dort Leute kennen, die sie nach Deutschland holen wollen“, sagt Gustav, er ist auf die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen spezialisiert. Aktuell unterstützt er einen Kälteanlagenbauer aus der Region, der einen noch in Iran lebenden Mann als Mechatroniker für Kältetechnik anstellen will. Ob seine beruflichen Fähigkeiten reichen, muss er nach seiner Ankunft bei einer Qualifikationsanalyse nachweisen. 
 

Im Handwerk werden Fachkräfte händeringend gesucht, und zwar in allen Bereichen.
Stefan Gustav, HWK-Berater

Bereits seit einigen Jahren gibt es im deutschen Handwerk deutlich mehr offene Stellen als arbeitslose Handwerkerinnen und Handwerker. Es fehlen vor allem Fachkräfte, die schon eine berufliche Qualifikation und Berufserfahrung mitbringen. Die Handwerkskammern beraten Betriebe bei der Umsetzung von Anträgen und Regularien. Das Angebot gilt für beide Seiten, auch Bewerber und Bewerberinnen erhalten Tipps, wo sie nachfragen können. „Wir wissen, welche Unternehmen auf der Suche sind, die sprechen wir gezielt an“, erklärt HWK-Berater Gustav. „Im besten Fall bringen wir beide Seiten zusammen.“ Für ausgebildete Fachkräfte kann auch die Selbstständigkeit eine langfristige Perspektive in Deutschland sein. „Wir beobachten, dass viele der Spätaussiedler, die in den 1990er-Jahren nach Deutschland kamen, inzwischen selbst Betriebe führen“, so Gustav. „Auch viele 
der 2015 zugewanderten Menschen aus Syrien haben sich sehr gut in den Arbeitsmarkt integriert.“

Kleine Betriebe scheinen Fachkräften aus dem Ausland besonders positiv gegenüberzustehen, das zeigt eine Analyse aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Sie beschäftigen auch häufiger Geflüchtete – vor allem, wenn sie bereits Erfahrungen mit ausländischen Arbeitskräften gemacht haben. Die Suche nach neuen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen läuft bei ihnen überdurchschnittlich häufig über die eigenen Angestellten oder andere persönliche Kontakte. Auch regionale Gründe spielen eine Rolle: Dort, wo der Personalmangel besonders groß ist, werden Zugewanderte häufiger eingestellt. 

Der bürokratische Aufwand halte sich bei der Einstellung von Auszubildenden aus dem Ausland in Grenzen, sagt Schreinermeister Martin Kohstall. Wer neu ins Land kommt, braucht eine Aufenthaltsgenehmigung, und wenn die verlängert werden muss, muss man sich dann eben auch mal selbst mit drum kümmern.“ 

Als Schreiner hat man einfach eine gute Zukunft.
Adel Hammamy, Schreiner aus Syrien

Auch die Prüfungen an der Berufsschule hält er für keine allzu große Hürde. In Deutschland gibt es die sogenannte Duale Ausbildung: Auszubildende, kurz „Azubis“, verbringen einen oder zwei Tage in der Woche an einer Berufsschule und lernen dort die theoretischen Grundlagen ihres Berufs. Im Betrieb können sie ihr neues Wissen dann auch gleich praktisch umsetzen. Die Prüfungen sind für Nicht-Muttersprachler, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, natürlich schwieriger. Aber auch hier, findet der Schreinermeister, hängt es sehr davon ab, wie die Schule und die Lehrkräfte damit umgehen.

„Der Großteil der internationalen Auszubildenden schafft die Prüfungen“, sagt Kerstin Brandt, Beraterin in dem  „Integrationsprojekt Handwerkliche Ausbildung für Flüchtlinge und Asylbewerber“ (IHAFA). Das vom niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung geförderte Projekt vermittelt Zugewanderte in handwerkliche Ausbildungsberufe und begleitet sie bis zum Berufsabschluss. „Deutschkenntnisse sind wichtig“, betont Brandt. „In der Verständigung mit den Kollegen und Kolleginnen auf dem Bau oder in der Werkstatt ebenso wie in der Berufsschule.“ Das Projekt IHAFA unterstützt Auszubildende, wenn beispielsweise ihre Sprachkenntnisse im Joballtag oder für die Prüfungen nicht reichen. Über Nachhilfeprogramme oder Berufssprachkurse, die auch berufsbegleitend absolviert werden können.

Auch Adel Hammamy hat es geschafft. Der Syrer war erst seit drei Jahren in Deutschland, als er Azubi bei Martin Kohstall wurde. „Durchs Fernsehen und viel Lesen habe ich damals versucht, die Sprache besser zu lernen“, erzählt der 35-Jährige. Inzwischen arbeitet er seit 16 Jahren als Geselle in dem Münchner Betrieb. Die gute Laune, mit der Hammamy durch die Werkstatt läuft, wirkt ansteckend. Im Handwerk arbeite man immer im Team zusammen, sagt er, das gefalle ihm. Außerdem lerne man so am besten Deutsch. Er ist froh, dass er sich durch die nicht immer ganz leichte Berufsschulzeit durchgebissen hat: „Als Schreiner hat man einfach eine gute Zukunft.“