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„Aufräumen mit Klischees und Vorurteilen“

Das Parlamentarische Patenschafts-Programm zählt zu den etabliertesten transatlantischen Bildungspartnerschaften.

06.07.2016

So hatte sich Kyle Peerless Deutschland nicht vorgestellt. „Es ist viel bunter und vielfältiger, als sich die meisten Amerikaner das vorstellen“, sagt der 23-jährige Kalifornier. Er ist einer von 150 jungen Deutschen und Amerikanern, die bereits im Beruf stehen und derzeit ein Jahr im jeweils anderen Land verbringen. Peerless findet es „extrem spannend, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken“.

Parlamentarisches Patenschafts-Programm (PPP) heißt das gemeinsame Projekt des Deutschen Bundestags und des US-Kongresses, sein Pendant in den USA „Congress-Bundestag Youth Exchange for Young Professionals“ (CBYX). Es ist der einzige staatlich geförderte Austausch für Handwerker, Techniker, Kaufleute, die den Alltag jenseits des Atlantiks kennenlernen wollen. Sie wohnen in Gastfamilien und arbeiten als Praktikanten in Unternehmen.

Den Maschinenbauer Kyle Peerless führte das Programm in das 14 000-Einwohner-Städtchen Kelsterbach in Hessen. An der Fachhochschule Frankfurt besuchte er Vorlesungen über erneuerbare Energien. Dann hospitierte er beim Mainzer Technologiekonzern Schott. Mitte Juli 2016 endet sein Aufenthalt, aber der junge Mann will wieder kommen: „Mein Traum ist es, als Ingenieur in Deutschland zu arbeiten.“

Als gelebte Völkerverständigung hat das PPP viele Fans. „Die Teilnehmer werden in ihren Rollen als deutsche und amerikanische ‚Junior-Botschafter’ wahrgenommen und räumen durch viele persönliche Begegnungen mit Klischees und Vorurteilen auf“, sagt Theo Fuß, Projektleiter bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die das Programm für junge Berufstätige in Deutschland organisiert. „Dieser Multiplikator-Effekt ist ganz wichtig.“ Ihn zu nutzen, wird den „Junior-Botschaftern“ ans Herz gelegt. Und auch sonst wird von ihnen einiges Engagement verlangt: So müssen sich die Teilnehmer ihre Praktikumsstellen selbst suchen und sich mit mehreren tausend Euro an den Kosten des Aufenthalts beteiligen.

Vor gut einem Jahr plante das US-Außenministerium, seine Zuschüsse drastisch zu kürzen; das hätte mittelfristig wohl das Aus für das Programm bedeutet. Sowohl im amerikanischen Kongress als auch im Deutschen Bundestag jedoch setzten sich Abgeordnete massiv für den Fortbestand ein; selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier intervenierten. Und die Alumni des seit mehr als 30 Jahren laufenden Austauschs sammelten via Online-Petition binnen weniger Wochen mehr als 20 000 Unterschriften.

Die Kürzungen wurden zurückgenommen, der Austausch scheint gesichert. Es gibt Neuerungen wie ein von Experten moderiertes Internetforum, in dem deutsche und amerikanische Teilnehmer ihre Erfahrungen diskutieren – früher hatten sie untereinander viel weniger Kontakt. Zudem wird mehr Wert auf ehrenamtliches Engagement gelegt.

Kyle Peerless half, in einem Flüchtlingsheim in Kelsterbach eine Fahrradwerkstatt aufzubauen. Der Kontakt zu Syrern, Irakern und Eritreern hinterließ bei dem jungen Mann, der im wohlhabenden Küstenort Carmel aufgewachsen ist, einen starken Eindruck – und wird für ihn Anlass sein, zuhause Fragen zu stellen: „Warum will Amerika nur 10 000 syrische Flüchtlinge aufnehmen? Wir sollten mehr tun. Die Europäische Union ist unser wichtigster Partner.“ ▪

Christine Mattauch