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Eine stabile 
Bildungspartnerschaft

Die deutsch-russischen akademischen Beziehungen beinhalten eine Fülle aktiver Bildungspartnerschaften.

07.07.2016

Es ist ein klares Bekenntnis zur deutsch-russischen Bildungskooperation. Im Beisein der Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Sergej Lawrow unterzeichneten Margret Wintermantel, die Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), und der Vorsitzende der „Assoziation der führenden Universitäten Russlands“ (ALU) Nikolaj Kropatschew im März 2016 eine Absichtserklärung, künftig Nachwuchswissenschaftler, Doktoranden und Masterstudierende auszutauschen. „Abram Joffe“ heißt das Stipendienprogramm, das möglicherweise noch 2016 starten kann und für das Minister Lawrow lobende Worte fand. „Unseres Erachtens ist das eine sehr nützliche zukunftsorientierte Initiative, die wir aktiv unterstützen“, erklärte er.

Das Stipendienprogramm fällt in eine Zeit, in der das Hochschulsystem Russlands grundlegend umgestaltet wird. Die Zahl der Hochschulen wird deutlich reduziert, viele Bildungseinrichtungen fusionieren, der Staat fördert den Wettbewerb kräftig und investiert viel Geld in leistungsfähige Hochschulen. Das wirkt sich auch auf die Kooperation mit Deutschland aus, wie Peter Hiller beobachtet hat, der seit März die DAAD-Außenstelle in Moskau leitet. „Das russische Wissenschaftsministerium hat den Hochschulen auferlegt, sich stärker international zu positionieren“, sagt er. Das bedeute beispielsweise, dass Wissenschaftler mehr international publizieren und kooperieren müssen; die Hochschulen sollen mehr Studierende ins Ausland schicken und ausländische Studierende aufnehmen. Von diesem Wandel profitieren deutsche Hochschulen: „Die Nachfrage nach Kooperationen hat von russischer Seite nochmals zugenommen“, berichtet Hiller. Deutschland sei mit Abstand der wichtigste Partner für Russlands Hochschulen. Rund 11 000 Studierende seien in Deutschland eingeschrieben, so viele wie sonst nirgendwo. Und noch zwei weitere Belege führt der DAAD-Vertreter an: 2015 startete an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität in Moskau das erste von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte deutsch-russische Internationale Graduiertenkolleg in den Geisteswissenschaften. Und: Mit keinem anderen Land in der Welt hat Deutschland so viele germanistische Institutspartnerschaften wie mit Russland – insgesamt sind es acht.

Das Interesse an Russland hält auch von deutscher Seite an. Mitte Juni 2016 zählte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) 900 deutsch-russische Kooperationen. Deren Bandbreite ist enorm: Große deutsche Universitäten wie die Freie Universität (FU) Berlin haben in Moskau ein Verbindungsbüro aufgebaut, um so zur Anlaufstelle für Forscher und Studierende aus ganz Russland zu werden. Die Universität Halle-Wittenberg und die Nördliche Föderale Universität Archangelsk unterzeichneten 2015 einen Vertrag, um in den Geisteswissenschaften enger zusammenzuarbeiten. Und auch Fachhochschulen bauen die Beziehungen aus: Im Mai 2016 vereinbarte die Hochschule Bochum mit der Kasaner Föderalen Universität, den Studierendenaustausch insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften zu stärken.

Als ein Leuchtturm der binationalen Zusammenarbeit gilt seit 2014 das GRIAT (German-Russian Institute of Avanced Technologies). Das an der Nationalen Tupolew-Universität in Kasan angesiedelte GRIAT konzentriert sich als deutsch-russische Hochschule auf den Austausch in den Ingenieurwissenschaften. Von deutscher Seite sind insbesondere die Technische Universität (TU) Ilmenau und die Universität Magdeburg eingebunden. Gründe für diese staatenübergreifende Erfolgsgeschichte gibt es nach Meinung des GRIAT-Projektleiters Frank March von der TU Ilmenau mehrere. „Wir kooperieren mit einem Industrieland, folglich ist das Interesse der Wirtschaft groß“, sagt er. Im März 2016 erklärte Siemens Russland, künftig vier Stipendien pro Jahr an GRIAT-Studierende vergeben zu wollen. „Trotz der wirtschaftspolitisch nicht einfachen Lage lassen wir uns nicht beirren und setzen unsere wissenschaftliche Kooperation fort“, sagt March. Die Hartnäckigkeit spricht sich herum. Zum kommenden Wintersemester will sich die TU Kaiserslautern am GRIAT mit dem Studiengang „Embedded Computing Systems“ beteiligen. Zudem, so March, liefen Gespräche im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik mit der TU Braunschweig und in der Informatik mit der Universität des Saarlandes. Insgesamt 14 Studiengänge, derzeit sind es sechs, will das GRIAT in den kommenden Jahren in sein Angebot aufnehmen. Und auch deutsch-russische Doppelpromotionen sind vorgesehen.

Mit guten Nachrichten konnte erst kürzlich auch die TU München aufwarten. Sie bekam von der Europäischen Union grünes Licht für einen Erasmus-Antrag, der in den kommenden anderthalb Jahren den Austausch von Studierenden und Dozenten mit der Universität und der Polytechnischen Universität in St. Petersburg sowie der Lomonossow-Universität in Moskau stärken wird. Über 50 Kooperationen quer durch alle Fakultäten mit russischen Partnern kann die Münchener Universität schon heute aufweisen. „Traditionell starke Beziehungen gibt es vor allem in der Physik und in den Life Sciences“, sagt Ulrich Marsch, Sprecher des TU-Präsidenten. Befürchtungen, dass die Kooperationen mit Russland in der politischen Krise Schaden nehmen würden, hätten sich nicht bewahrheitet. „Anfangs gab es etwas Verunsicherung, doch weder die Kontakte zwischen den Instituten noch der Studierendenaustausch haben gelitten“, sagt Marsch.

Die guten Beziehungen zur TU München kann der Rektor der Polytechnischen Universität St. Petersburg nur bekräftigen. „Die TU München ist für uns zur Referenzuniversität geworden, an der sich die Polytechnische Universität in ihrer Entwicklungsstrategie orientiert“, sagt Andrey Rudskoy. Sehr erfreulich sei, dass neben Forschung und Lehre auch neue Formen der Zusammenarbeit entstünden. So trat etwa der Münchener Universitätschor im Mai 2016 im Weißen Saal der Polytechnischeng Universität auf, nachdem der Jugendchor der Petersburger im Jahr davor das Münchener Publikum begeisterte. „Das Konzert war ein voller Erfolg“, erinnert sich Rektor Rudskoy. ▪

Benjamin Haerdle