Strategien gegen Wassermangel
Das EU-Projekt Waterbiotech verbessert das Wassermanagement in Nordafrika.

Jougar im nordtunesischen Dorsale-Gebirge: Das Dorf lebt seit vielen Generationen von der Landwirtschaft, weitläufige Plantagen bedecken die umliegenden Hänge. Kein Epizentrum rasender Modernisierung. Seit ein paar Jahren jedoch verfügt die Gemeinde über eine hocheffiziente Einrichtung zur Klärung kommunaler Abwässer. Auf den ersten Blick ist die Anlage allerdings kaum zu erkennen. Statt auf Beton zu stoßen, streift das Auge des Betrachters über sattes Grün. Neben dichtem Papyrus wächst meterhohes Pfahlrohr, eine mediterrane Schilf-Spezies. Das Ensemble ist ein künstliches Feuchtbiotop, auch bekannt als Pflanzenkläranlage, erklärt der deutsche Ingenieur Gerhard Schories. Die Erbauer haben die unterschiedlichen Reinigungsstufen terrassenartig in der Landschaft angeordnet. Eine ideale Lösung, wie Schories anmerkt. „Da braucht man keine zusätzliche Pumpenenergie.“
Die Wirkung von künstlichen Feuchtbiotopen beruht in erster Linie auf den im Wurzelraum siedelnden Mikroorganismen. Sie zersetzen die organische Schmutzfracht von Abwässern über ihren Stoffwechsel. Die Pflanzen sind zudem in der Lage, diverse Schadstoffe zu binden. Krankheitskeime werden bei einer ausreichend langen Verweildauer des Wassers ebenfalls eliminiert. Das am Ende des Klärprozesses abfließende Nass lässt sich dann problemlos zu Bewässerungszwecken einsetzen.
Gerhard Schories, der als Leiter des Umweltinstituts am Forschungszentrum ttz Bremerhaven tätig ist, hat die Anlage von Jougar zusammen mit Kollegen besucht, und hält sie für eine von mehreren vielversprechenden Möglichkeiten zur Verbesserung von Wassermanagement. Denn die Probleme wachsen. Immer mehr Weltregionen leiden unter Wassermangel – mit gravierenden Folgen für Umwelt, Landwirtschaft und die Gesundheit der Menschen. Viele der betroffenen Gebiete liegen auf dem afrikanischen Kontinent. In dessen Norden, in den Wüstenzonen, ist Wasser seit jeher ein knappes Gut, doch der Klimawandel droht diese Situation weiter zu verschärfen. Anderswo führt vor allem das rapide Bevölkerungswachstum zu Schwierigkeiten. Es herrscht dringender Handlungsbedarf.
Die Europäische Union hat diese Herausforderung angenommen. Im August 2011 startete sie unter Federführung des ttz Bremerhaven das Projekt Waterbiotech. Das auf 30 Monate ausgelegte und mit knapp einer Million Euro Fördermittel ausgestattete Vorhaben wurde im Januar 2014 mit einer Abschlusskonferenz in Marrakesch erfolgreich abgeschlossen. Neben deutschen, österreichischen, italienischen, spanischen, britischen und französischen Experten waren Fachleute aus Tunesien, Ägypten, Algerien, Marokko, Senegal, Ghana, Burkina Faso und Saudi-Arabien an Waterbiotech beteiligt. Gemeinsam hat man sich zum Ziel gesetzt, zunächst den genauen Bedarf zu ermitteln und bereits angewendete Technologien zu erfassen, erklärt Projektleiter Gerhard Schories. Auch sollte das schon vorhandene Wissen zwischen den beteiligten Partnern ausgetauscht werden. „Es gibt lokal sehr viel Know-How“, sagt Schories. Wie in Jougar eben. Oft jedoch seien solche Fachkenntnisse in Nachbarländern nicht vorhanden. Hier hat Waterbiotech ebenfalls neue Wege aufgezeigt.
Die Einteilung der Projektregionen erfolgte nach Wasserverfügbarkeit, nicht nach Wasservorkommen, betont Schories. Ein wesentlicher Unterschied. Auch in feuchten Gebieten kann es schwer sein, die lokale Bevölkerung mit ausreichenden Mengen an sauberem Trinkwasser zu versorgen – vor allem dann, wenn die dortigen Siedlungen nicht über sanitäre Vorkehrungen verfügen. Nicht oder schlecht aufbereitete Abwässer können bekanntlich gefährliche Krankheitskeime wie zum Beispiel Cholera-Erreger enthalten und diese in Flüssen und Seen verbreiten. Für die in unterentwickelten Landstrichen lebenden Menschen ist dies eine häufig unterschätzte Bedrohung.
Die Klärung von Schmutzwasser mit biotechnologischen Mitteln hat viel Potenzial. Während künstliche Feuchtbiotope vor allem für den dezentralen Einsatz im ländlichen Raum geeignet sind, bieten große Belebtschlamm-Anlagen in Ballungsräumen die besten Perspektiven. Auch ihre Reinigungsleistung basiert auf der Aktivität von Mikroorganismen, hauptsächlich von Bakterien. Das Ergebnis lässt sich allerdings durch die Kombination mit Kunststoff-Membranfiltern noch deutlich verbessern. Die Anwendung solcher Systeme hat die ttz Bremerhaven im Waterbiotech-Vorläuferprojekt „Puratreat“ zusammen mit anderen europäischen und nordafrikanischen Partnern zum Beispiel im Klärwerk der tunesischen Küstenstadt Sfax getestet. Mit Erfolg. Die Technik funktioniert jetzt zuverlässig und kann keimfreies Wasser produzieren, welches zum Beispiel für den landwirtschaftlichen Einsatz geeignet ist, berichtet Schories. Ein enormer Fortschritt.
Die Anwendung von Biotechnologien stößt in Wüstengebieten auch auf Schwierigkeiten. Bei Pflanzenkläranlagen, betont Gerhard Schories, muss unter anderem die starke Verdunstung berücksichtigt werden. Sie führt mitunter zu inakzeptabel hohen Wasserverlusten. Die Hitze kann ebenfalls Probleme verursachen, wie der Ingenieur erläutert. „Im Sommer liegen die Abwassertemperaturen in Nordafrika über 30° C. Das kann für biologische Systeme dann schon kritisch sein.“ Betroffen sei vor allem der Nitrifikationsprozess für die Beseitigung von Ammoniak. Ein extremer Grad an Sauberkeit ist gleichwohl nicht immer erwünscht. Falls die geklärten Abwässer in der Landwirtschaft eingesetzt werden, können Restkonzentrationen an Stickstoff- und Phosphorverbindungen gezielt den Düngemittelbedarf senken. Das spart den Bauern Kosten.
Es gilt genau zu erkennen, welche Technologie für welche Situation optimal geeignet ist, erklärt Gerhard Schories. Um solche Entscheidungsprozesse zu unterstützen, wurden im Rahmen von Waterbiotech spezielle Leitfäden und Software erarbeitet. Folgeprojekte sind geplant. Die Entwicklung von neuen Verfahren wird zudem den Innovations-Standort Europa stärken und weltweit wettbewerbsfähiger machen, meint Schories. So profitieren alle Beteiligten.