Eine Brücke für die Bildungspartnerschaft
Die Chancen der Türkisch-Deutschen Universität werden deutlich.

Büşra Demirel hat sich von ihrem Vater anspornen lassen, Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Der Geschäftsmann aus Istanbul arbeitet in einem international tätigen Logistikunternehmen und hat daher beruflich immer wieder mit Deutschland zu tun. So hat Büşra unmittelbar mitbekommen, „wie stark die Handelsbeziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind“. In der Schule lernte sie auf Anraten ihrer Familie Deutsch. Und bei der zentralen Aufnahmeprüfung für den Hochschulzugang setzte sie die Türkisch-Deutsche Universität (TDU) auf Platz eins ihrer Prioritätenliste.
Die TDU, an der Deutsch zentrale Unterrichtssprache ist, ist ein Novum in der türkischen Hochschullandschaft und gilt als herausragende Kooperation zwischen der Türkei und Deutschland. Zwar arbeiten beide Länder auf der Wissenschaftsebene schon seit vielen Jahren zusammen, eine gemeinsam betriebene Hochschule gab es aber zuvor nicht.
Mitte September hat die TDU den Lehrbetrieb aufgenommen. Ihre Anfänge liegen mehr als sieben Jahre zurück, 2008 folgte ein Regierungsabkommen zwischen der Türkei und Deutschland, in dem unter anderem die Fakultäten, die Finanzierung und auch die Kooperationen auf universitärer Ebene festgehalten wurden. Angeboten werden an der TDU die Bachelorstudiengänge Betriebswirtschaftslehre, Jura und Mechatronik sowie die Masterstudiengänge Interkulturelles Management und „European and International Affairs“. Die Lehrinhalte der fünf Studiengänge werden mitgestaltet von der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität Berlin sowie den Universitäten Köln, Münster und Passau. Die akademische Verantwortung trägt auf deutscher Seite ein Konsortium aus 29 Universitäten, dessen Geschäfte der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) führt. Türkischen Kritikern der Kooperation entgegnete die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth als Konsortiumspräsidentin, dass die Aufgabe der deutschen Seite nicht darin bestehe, „wie Missionare durchs Land zu gehen, sondern sich mit den Diskussionen im Land zu beschäftigen“.
Die Kooperationspartner teilen sich die Ausgaben. So stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jährlich vier Millionen Euro für die deutsche Beteiligung zur Verfügung. Dabei handelt es sich insbesondere um Beiträge zum akademischen Betrieb, zur Lehre und zur Vermittlung der deutschen Sprache. Durch integrierte Deutschlandaufenthalte werden die Studierenden die Möglichkeit erhalten, die Sprache und das Land besser kennen zu lernen. Weiterhin sind Qualifizierungsmaßnahmen zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern geplant.
Derzeit sind an der TDU neun türkische und neun deutsche Professoren tätig, wobei das deutsche Lehrpersonal zwischen Heimatuniversität und Istanbul pendelt und auf dem TDU-Campus im Istanbuler Stadtteil Beykoz Blockseminare abhält. Zudem sind dort zwei Lektoren und sechs Sprachassistenten aus Deutschland beschäftigt. Die türkische Seite ist wiederum zuständig für die Infrastruktur, also für Grundstückkauf, Bau des Campus und laufende Betriebskosten wie das Universitätspersonal. Mit der Einrichtung einer Türkisch-Deutschen Universität schließe sich eine wesentliche Lücke in der türkischen Universitätslandschaft, erklärte Halil Akkanat, Rektor der TDU, zum Auftakt des Lehrbetriebs.
Gestartet ist sie im Wintersemester 2013/14 mit 124 Studierenden – allerdings mit eingeschränktem Lehrangebot. Denn der Großteil der Erstsemester belegt zunächst Deutschkurse. So auch Büşra Demirel: Zwar hatte die junge Frau bei der zentralen Aufnahmeprüfung die erforderliche Punktzahl erreicht, um sich an der TDU in Betriebswirtschaftslehre einzuschreiben, sie fiel aber – wie auch 93 andere – bei der uni-internen Sprachprüfung durch. Daher haben Büşra und ihre Kommilitonen im ersten Jahr ihres Studiums 24 Stunden in der Woche Deutschunterricht.
„Dieses Prozedere ist ohne das Wissen um das türkische Hochschulsystem nicht zu verstehen“, sagt Professor Izzet Furgaç, Koordinator des deutschen Kooperationspartners. Ausschlaggebend für die Zugangsberechtigung an einer türkischen Hochschule sei die Punktzahl, die in der zentralen Aufnahmeprüfung erreicht werde. Die Kenntnis der Fremdsprache, in der gelehrt wird, spiele keine Rolle. Professor Furgaç ist sich sicher, dass langfristig TDU-Anwärter bessere Deutschkenntnisse vorweisen werden: „Für das Studium an dieser Hochschule werden Schüler gezielt Deutsch lernen.“ Dass sich junge Türken trotz ihrer unzureichenden Deutschkenntnisse für die TDU entschieden haben, drücke bereits die hohe Bedeutung aus, die ihr beigemessen werde.
Über Medienberichte ist Büşra auf die TDU aufmerksam geworden. „Ich habe mich daraufhin ausführlicher über die neue Hochschule informiert“, erklärt die 18-Jährige. Eine Besonderheit der TDU sehen Büşra und andere Studierende darin, dass es sich um eine staatliche türkische Hochschule handelt, deren Angebote sich mit exzellenten privaten Unis messen lassen können – obwohl keine Studiengebühren anfallen. Die in dem Konsortium zusammengeschlossenen 29 deutschen Hochschulen bringen sich wesentlich ein: An den Partner-Universitäten können Studierende der TDU Auslandssemester absolvieren, auch bekommen sie die Möglichkeit zu Studienreisen ins europäische Ausland und zu Praktika bei deutschen Unternehmen. Denn zum Konzept der TDU gehört die intensive Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Industrie.
Immatrikuliert sind an der TDU Studierende aus unterschiedlichen Regionen der Türkei und auch einige Deutsch-Türken. Die Nachkommen von Arbeitsmigranten erfüllen sich den Wunsch, im Herkunftsland ihrer Familien zu leben und gleichzeitig in der ihnen vertrauten Sprache an einer „dem deutschem Standard entsprechenden Uni“ zu studieren, wie es der deutsch-türkische Jurastudent Günhan Küçükizsiz ausdrückt.
Bessere Berufschancen erhofft sich Büşra Demirel vom Studium an der Türkisch-Deutschen Universität. Noch habe sie aber nicht das Gefühl, zu studieren. Das hänge mit dem vorbereitenden Deutschunterricht und der Atmosphäre an der Hochschule zusammen: Es gibt noch nicht allzu viele Studierende, dafür aber viele Bauarbeiten auf dem Campus-Areal. Unterrichtet wird derzeit in Gebäuden, die auf den künftigen Sportanlagen errichtet wurden. Sie werden abgerissen, wenn die Bauarbeiten am eigentlichen Campus abgeschlossen sind. Dann soll die Universität Platz für 5000 Studierende bieten. ▪
Canan Topçu