„In vernetzten Haushalten leben“
Sahin Albayrak bringt mit seinem DAI-Labor kluge Leute aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammen.

Herr Professor Albayrak, Sie entwickeln Technologien, die den Alltag der Menschen verändern werden. Wie werden wir in Zukunft leben?
Wir werden in vernetzten Haushalten leben. Jeder Gegenstand wird mit Sensoren ausgestattet und in der Lage sein, mit anderen Geräten über einen Computer zu kommunizieren. Im DAI-Labor wollen wir das innovative Potenzial dieser Entwicklung nutzen. Wir konzipieren eine neue Generation von intelligenten Systemen, die sich an den Nutzer und seine Bedürfnisse anpassen. Solche Systeme bezeichnet man als Smart Systems. In unserer Versuchswohnung im DAI-Labor sind alle Haushaltsgeräte vom Fernseher über den Herd bis zum Toaster über eine Steuerungseinheit miteinander vernetzt. Sie können mit einem Blick sehen, welches Gerät gerade eingeschaltet ist und wie viel Energie verbraucht wird.
Was sind die Schwerpunkte Ihrer Forschungsarbeit?
Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen. Energie wird sich mit dem Atom-ausstieg verteuern; gleichzeitig wird der Bedarf steigen, weil wir viele computergesteuerte Systeme nutzen. Wir entwickeln Lösungen für eine effiziente und nachhaltige Energienutzung. Intelligente Systeme unterstützen uns zudem aktiv in Bezug auf Ernährung oder Bewegung. Ein Programm schlägt mir zum Beispiel in der Küche vor, mit welchen Bioprodukten ich kochen kann oder klärt mich über den Barcode-Scanner auf, welche Inhaltsstoffe in den Lebensmitteln sind.
Welche Lebensbereiche sind besonders betroffen?
Ein Aspekt ist die Medienversorgung. Wir alle haben Smartphones, Fernseher, Computer, Notebooks oder Kameras – und überall sind Informationen gespeichert. Wir müssen diese Informationen zusammenführen und Systeme anbieten, die Nachrichten aufbereiten und strukturieren, damit wir nicht in der Informationsflut versinken. Immer wichtiger wird auch das Thema Sicherheit. Wir wollen ja, dass unsere Gesundheitsdaten nicht in falsche Hände geraten. Deshalb müssen sie verschlüsselt werden. Und wir müssen die Geräte vor Viren schützen. Auch Protecting wird wichtiger, also der Schutz vor Einbruch, Wasserschaden oder Brand.
Wie werden die Nutzer eingebunden?
Wir machen viele Studien und laden Leute ein, die Geräte in unserer vernetzten Laborwohnung zu nutzen. Es werden künftig mehr solcher Versuchswohnungen in Deutschland etabliert, wo die Menschen einige Monate wohnen. Dann fragen wir nach ihren Erfahrungen: Manche Konzepte waren vor allem für ältere Leute zu kompliziert. Deshalb setzen wir nun auch auf andere Interaktionsformen, die statt mit Touchscreens über Sprache und Gestik funktionieren.
Und welche Anregungen kommen von jungen Leuten?
Einige Lösungen, die in unserem vernetzten Haushalt entstanden sind, basieren auf Anregungen von hochbegabten Berliner Schülern. Ein zwölfjähriger Schüler hat den Kochassistenten in unserer Versuchsküche angeregt, der Rezepte vorschlägt, die ihm selbst schmecken und nicht nur seinen Eltern.
Informatik ist dennoch für viele nicht die erste Studienwahl. Wie begeistern Sie Schüler für das Fach?
Wichtig ist, dass Bild zu korrigieren, Informatik sei nicht attraktiv. Ich mache jedem deutlich, wie interdisziplinär und teamorientiert das Studium ist. Außerdem wird mit den neuesten Technologien gearbeitet. Für die Informatik spricht auch der gesellschaftliche Aspekt – es werden ja Lösungen für die Zukunft entwickelt.
Sie selbst sind in den Achtzigerjahren aus der Türkei zum Studium nach Deutschland gekommen. Warum haben Sie sich für die Informatik entschieden?
Ich wollte erst Bauingenieur werden. Als ich noch als Schüler in der Türkei war, überlegte ich mir, dass ich dann Bauherr werden könnte und viel Geld verdienen würde. Dann habe ich mein Interesse an Mathematik und Elektrotechnik entdeckt. Mein Bruder riet mir zur Informatik, doch als ich nach Deutschland kam, wusste ich noch nicht so ganz, was das für ein Studium ist. Ich habe dann erst in Darmstadt mein Studienkolleg gemacht und bin dann an die Technische Universität Berlin gegangen.
Wie sind Sie zu den praktisch orientierten Systemlösungen gekommen?
Bei früheren Forschungen haben mich viele Leute gefragt, was das mit der Realität zu tun hat. Daraufhin habe ich versucht, eine reale Umgebung zu schaffen, in der ich meine Lösungen zeigen und testen kann. Wir brauchen heute keine kleinen Puzzlestücke mehr in der Technik, wir brauchen Leute, die große Systemlösungen bieten. Ich habe immer Sachen in Frage gestellt. Das tue ich heute noch. Wenn ich Sachen sehe, überlege ich, wie ich sie besser machen kann. Und meistens fällt mir auch etwas ein.
Sie sind gut vernetzt – welche Rolle spielen Kontakte zur Industrie?
Das DAI sieht sich als Mittler zwischen universitärer Forschung und industrieller Verwertung, so wie in unserem Innovationszentrum Connected Living. Dort sind mehr als 45 Unternehmen Mitglied. Ihnen geht es darum Produkte für die Gesellschaft der Zukunft anzubieten – für eine Gesellschaft also, die zunehmend älter wird und in großen Städten leben wird. Wir entwickeln dazu die passenden Technologien und stellen Werkzeuge zur Verfügung.
Ihr neuestes Projekt auf internationaler Ebene ist eine deutsch-türkische Forschungseinrichtung, das German-Turkish Advanced Research Center. Was ist geplant?
Wir schaffen eine Plattform, auf der Forscher und Unternehmer aus beiden Nationen zusammenarbeiten. Ziel ist, dass wir Produkte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie entwickeln und erproben. Und dabei das Beste aus beiden Nationen verbinden: deutsches Know-how in der Technik und die türkische Offenheit für Innovationen.
Wie funktioniert das konkret?
Es wird ein Institut mit zwei Standorten sein – einer in Berlin und einer in Istanbul. Das Vorhaben wird von der deutschen und der türkischen Regierung unterstützt. Und auch Unternehmen aus beiden Ländern arbeiten an Inhalten und Fragestellungen mit. Unsere Intention ist: Wir wollen Smart Cities entwickeln – ob das im Bereich Gesundheit, Energie, Transport oder Energieeffizienz ist – Lösungen für große Städte, die mit den Herausforderungen der Zukunft fertig werden müssen.
Das DAI-Labor ist mit 130 Mitarbeitern aus vielen Nationen schon jetzt international aufgestellt. Was bedeutet das für Sie?
Es geht um zwei Visionen: Ich will mit den besten Köpfen kooperieren, deshalb hole ich hochbegabte Schüler und Studenten an das Institut. Das Zweite ist: Ich möchte mit Menschen aus vielen Kulturen zusammenarbeiten, denn die Vielfalt der Kulturen ist eine positive Bereicherung für mich.
Interview: Kerstin Schneider
Weltweit führend
Vor zwanzig Jahren gründete der Informatiker Sahin Albayrak das Distributed Artificial Intelligence-Labor (DAI-Labor) an der Technischen Universität (TU) Berlin, in dem innovative Technologien für vernetzte Haushalte entwickelt werden. Das DAI-Labor hat heute 130 Mitarbeiter und gilt als eines der weltweit führenden Forschungsinstitute auf diesem Fachgebiet. Seit 2003 hat Prof. Dr.-Ing. Sahin Albayrak den „Lehrstuhl für Agententechnologien in betrieblichen Anwendungen und der Telekommunikation“ an der TU Berlin inne, außerdem ist er seit 2011 Ehrendoktor der Istanbuler Bahçesehir-Universität. Sein neuestes Projekt ist die Gründung der türkisch-deutschen Forschungseinrichtung German-Turkish Advanced ICT Research Center, die jüngst auf der CeBIT Bilisim Eurasia vorgestellt wurde. www.dai-labor.de