Zum Hauptinhalt springen

Klimaforscher wollen hoch hinaus

Jürgen Kesselmeier vom Max-Planck-Institut für Chemie über einen neuen, 325 Meter hohen Messturm im Amazonasgebiet.

22.12.2014
© MPI - Jürgen Kesselmeier

Der „Amazonian Tall Tower Observatory“ (ATTO) wird mit 325 Metern höher sein als der Eiffelturm. Was möchten Sie damit messen?

Im Kern geht es um die Austauschprozesse zwischen der Biosphäre und der Atmosphäre im größten Regenwaldgebiet der Welt. Es gibt dort zwar schon Messtürme, aber sie erreichen maximal 80 Meter. In diesen Höhen können wir lediglich lokale Austauschprozesse untersuchen. Mit „ATTO“ kommen wir aus der unteren Atmosphärenschicht heraus und erfassen die Langstreckentransporte verschiedener Gase. Wir wollen etwa wissen, wie sich die Luft vom Atlantik während des langen Transports über dem Amazonasgebiet verändert.

Wie genau funktioniert der Turm?

Über Pumpen wird Luft aus einigen Metern Höhe eingesaugt und durch Rohrleitungen herunter in den klimatisierten Raum transportiert, in dem unsere Messgeräte stehen. Später werden wir vielleicht zusätzliche Instrumente oben am Turm installieren, da einige chemische Radikale an den Wänden der Rohre reagieren und unten nicht gemessen werden können. Doch bei vielen Spurengasen funktioniert die gegenwärtige Methode sehr gut. Neben ATTO befinden sich ein zweiter begehbarer Turm, der etwa 80 Meter hoch ist, sowie ein Messmast von ähnlicher Höhe, an denen wir Proben ziehen. Neben der simultanen Beobachtung der unteren und oberen Luftschichten möchten wir damit die Bewegungen der Spurengase sozusagen dreidimensional erfassen – sowohl, wie sie sich zwischen der Biosphäre des Waldes und der Atmosphäre bewegen als auch innerhalb des Waldes.

Sie möchten mehr darüber erfahren, wie der Regenwald das Weltklima beeinflusst. Was wissen Sie schon?

Für das Weltklima spielt das Gebiet eine entscheidende Rolle. Der Regenwald bindet viel Kohlenstoff in Form von organischem Material. Durch die starken Verdunstungen des Waldgebiets bilden sich zudem viele Wolken. Sie blockieren die Sonnenstrahlung und verhindern, dass die Region austrocknet. Außerdem nimmt der Regenwald Wasser auf, das über die Luft vom Atlantik transportiert wird, und führt es über Flüsse in den Ozean zurück. Es gibt allerdings eine Reihe von offenen Fragen. Wir müssen zum Beispiel besser verstehen, wie sich Aerosolpartikel in der Atmosphäre bilden oder wieso dort relativ viel Sulfat vorhanden ist, von dem wir nicht wissen, woher es kommt. Wir verstehen die Physik und Chemie der Atmosphäre noch nicht gut genug, um die dortigen Reaktionen vorhersagen zu können. Wir können nur erahnen, was passiert, wenn dieses ganze System nicht mehr funktioniert.

Der Aufbau des Turms ist ein deutsch-brasilianisches Gemeinschaftsprojekt. Was waren die Herausforderungen?

Der Aufbau war nicht leicht zu bewerkstelligen. Das fing mit der Suche nach einem geeigneten Standort an. Er sollte weit genug von der Metropole Manaus entfernt sein, da die Emissionen dort sehr hoch sind. Zudem sollte die Stelle gut erreichbar sein, aber nicht so gut, dass sie zum Touristenziel wird. Wir entschieden uns für einen Ort, der 150 Kilometer von Manaus liegt und nur mit Booten zu erreichen ist. Die Stahlkomponenten für den Turm mussten über den Fluss Uatumã transportiert werden. Durch El Niño war das Wetter schwer vorhersehbar und die Arbeiten mussten häufig unterbrochen werden. Beide Partner haben viel Energie in das Projekt gesteckt, haben ständig neu geplant, verglichen, nachgearbeitet.

Wer finanziert das Projekt?

Für den Aufbau des Turms sind rund 8,4 Millionen Euro vorgesehen. 50 Prozent kommen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, die andere Hälfte von der brasilianischen Seite. Der Turm soll 20 bis 30 Jahre in Betrieb sein. Er muss nicht aufwendig unterhalten werden. Wir hoffen, dass es verschiedene internationale Forschungsprogramme geben wird, um das Projekt in den kommenden Jahren zu nähren.

Wie verläuft die Zusammenarbeit in der Forschung?

Sie ist nicht starr geregelt, sondern hängt von der jeweiligen Expertise ab. Es gibt eine Arbeitsgruppe des Nationalen Instituts für Amazonasforschung (INPA) in Manaus, das sich mit Transportprozessen in der Atmosphäre auskennt. Forscher der Universität São Paulo beschäftigen sich mit Atmosphärenchemie, Biomassenverbrennung und Aerosolproduktion. Eine Gruppe der staatlichen Universität Manaus untersucht reaktive Spurengase. Diese Expertisen treffen sich hervorragend mit denen der Max-Planck-Institute für Chemie in Mainz und für Biogeochemie in Jena. Es wird also Messungen durch unterschiedliche Experten mit unterschiedlichen Instrumenten zu ähnlichen Fragestellungen geben, sodass wir immer wieder vergleichen können. Außerdem sind interdisziplinäre Projekte zu Vegetation, Böden und Biodiversität geplant.

Das Max-Planck-Institut betreibt einen ähnlichen Turm in Sibirien. Werden die Forschungen zusammengeführt?

Der Turm „ZOTTO“ wird vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und dem Sukachev Forstinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften betreut. Dort messen wir ebenfalls Treibhausgase und andere Spurengase sowie Aerosole in der Atmosphäre nach einem lange kontinental beeinflussten Transport. Natürlich laufen die Erkenntnisse zusammen.

Werden Sie Ihre Messdaten öffentlich zur Verfügung stellen?

Die meisten Ergebnisse werden nach einem Jahr öffentlich gemacht. Mit der Sperrfrist möchten wir unsere Doktoranden schützen, die übrigens von beiden Seiten des Atlantiks kommen und zusammenarbeiten werden. Da wir aber in Verbundprojekten forschen, stehen die Daten von Anfang an sehr vielen Kollegen zur Verfügung. Danach werden Wissenschaftler weltweit von ihnen profitieren. ▪

Interview: Boris Hänßler