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Ringen um Qualität

Was bedeuten die Reformen in Russland für die Zusammenarbeit mit Deutschland?

26.03.2015

Nicht viele deutsche Hochschulen haben in Moskau ein eigenes Büro. Eine der Ausnahmen ist die Freie Universität (FU) Berlin. Das Verbindungsbüro ist Ausdruck einer intensiven Zusammenarbeit, die die FU mit Russlands Hochschulen wie der Staatlichen Universität St. Petersburg, dem Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen und weiteren Partnern seit vielen Jahren pflegt. Mit der Moskauer Wirtschaftsuniversität Higher School of Economics (HSE) schreibt sie nun ein weiteres Kapitel der binationalen Zusammenarbeit. „Wir wollen mit der HSE enger im Bereich der Doktorandenausbildung zusammenarbeiten und auf Interdisziplinarität mit einem sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt setzen“, sagt Tobias Stüdemann, der das Verbindungsbüro der FU Berlin leitet. Die HSE darf sich seit 2009 Nationale Forschungsuniversität nennen und bekommt dadurch mehr staatliche Fördergelder. „Damit könnten nun ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um die Doktorandenausbildung gemeinsam zu finanzieren“, sagt Stüdemann.

Der Titel der Nationalen Forschungsuniversität ist Teil einer umfassenden Reform, mit der Russlands Regierung die Wissenschaftslandschaft grundlegend umgestaltet. So sollen von 630 staatlichen Hochschulen 30 als leistungsschwach und ineffizient deklarierte Hochschulen aufgelöst oder fusioniert werden; etwa 130 der rund 500 nicht-staatlichen Hochschulen und mehr als 300 der 1200 Hochschulfilialen sollen geschlossen werden. Parallel dazu will die Regierung die Hochschulen fit machen für die internationale Spitzenforschung. Sie hat dafür 45 so genannte führende Universitäten identifiziert, zu denen neben den Nationalen Forschungsuniversitäten die beiden Staatlichen Universitäten St. Petersburg und Moskau sowie zehn Föderale Universitäten zählen. „Die führenden Universitäten werden finanziell so ausgestattet, dass ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gesichert ist“, sagt Gregor Berghorn, Leiter des Moskauer DAAD-Büros. Sie dürfen autonomer agieren und können beispielsweise internationale Forscher und Dozenten für die eigene Hochschule anwerben. Aus dem Kreis der führenden Universitäten bekommen die besten 15, die sich in einem Wettbewerb ähnlich der deutschen Exzellenzinitiative durchsetzen konnten, jährlich bis zu 700 Millionen Rubel – so sollen es bis zum Jahr 2020 fünf von ihnen unter die besten 100 internationalen Forschungseinrichtungen schaffen, lautet die ehrgeizige Vorgabe der Regierung. Der Erwartungsdruck ist hoch. „Die Einrichtungen müssen mehr international publizieren, mehr internationale Kooperationen anschieben und mehr ausländische Lehrkräfte und Wissenschaftler ins Land holen“, sagt Berghorn.

Die Reformanstrengungen sieht Dr. Jörn Achterberg, der das Moskauer Büro der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) leitet, positiv. „Der Wettbewerb beruht auf dem Qualitätsprinzip“, sagt er. Wer gute Forschung mache, werde belohnt. So bekommen zum Beispiel die Föderalen Universitäten und die Nationalen Forschungsuniversitäten jeweils bis zu fünf Milliarden Rubel für fünf Jahre. „Die führenden Universitäten bilden nun eine Art Champions League und eignen sich bestens für internationale Kooperationen“, urteilt er. Weil dies die Qualität der Forschung steigere, mache das die russischen Universitäten attraktiver.

Zugute kommt den Top-Universitäten, dass parallel die Struktur der Akademie der Wissenschaften radikal verändert wird. Denn die Universitäten können nun gute Forscher von der Akademie abwerben, der wiederum schwere Zeiten bevorstehen. In der Kritik stand die traditionsreiche Akademie schon länger: Die Forscher publizierten zu wenig Hochkarätiges, es gebe zu viel Personal und die Führungskräfte seien überaltert, so die Vorwürfe. Nun läuft eine Reformmaschinerie, die die Akademie in eine moderne Wissenschaftlergesellschaft umwandeln soll, grob vergleichbar mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Deutschland. Die Akademie der Wissenschaften, also die der Naturwissenschaften, wird mit den Akademien der Medizin und der Landwirtschaft zusammengelegt, die Akademien der pädagogischen, künstlerischen und Architekturwissenschaften fusionieren. Die Föderale Agentur Wissenschaftlicher Organisationen (FANO) verwaltet die Liegenschaften der Akademien.

Parallel dazu werden die rund 450 Institute der Akademie der Wissenschaften evaluiert und anschließend entweder aufgelöst, mit einer anderen staatlichen Behörde verschmolzen – oder sie bekommen die Erlaubnis, weiter forschen zu dürfen. Die Folge ist für den DFG-Bürochef Achterberg ein „gewaltiger Paradigmenwechsel“: „Einst waren die Akademien fast ausschließlich für die Forschung zuständig, die Hochschulen alleine für die Lehre“, sagt Achterberg. Jetzt gelte an den führenden Universitäten das Humboldtsche Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre.

Mehr als 880 Kooperationen von Deutschlands Hochschulen mit Russlands Forschungseinrichtungen zählt derzeit die Hochschulrektorenkonferenz. Und auch wenn momentan die Ukraine-Krise die deutsch-russischen Beziehungen belastet, bieten sich durch die Reformen für Deutschlands Wissenschaftler gute Perspektiven. „Die führenden Universitäten Russlands sind aufgeschlossener und noch interessierter an einer Zusammenarbeit, weil sie sich mehr öffnen müssen“, sagt Gregor Berghorn vom DAAD. Zudem hätten sie ihr Forschungsprofil geschärft und verfügten durch die staatliche Unterstützung nun auch über Geld, um Kooperationen mit Partnern im Ausland mit Leben zu füllen. Auch Tobias Stüdemann von der Freien Universität Berlin sieht die Entwicklung positiv: „Die russischen Elite-Universitäten müssen ihre internationale Anschlussfähigkeit beweisen“, sagt er. Davon könne Deutschland nur profitieren. An der FU Berlin, sagt Stüdemann, sei das Interesse unter den Professoren an einer Kooperation deutlich gestiegen. ▪

Benjamin Haerdle