Wissensbrücke zwischen Münster und Pachuca
Das EU-Programm „ALFA“ fördert die Zusammenarbeit europäischer und lateinamerikanischer Hochschulen. Ein Beispiel aus Mexiko.

Wenn man so will, ist Lydia Raesfeld der personifizierte Wissenstransfer: Vor mehr als zehn Jahren kam die Sozialwissenschaftlerin mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) von Münster an die Universidad Autónoma del Estado de Hidalgo im mexikanischen Pachuca. Dort machte sie Karriere im Management und fördert seither die Kooperation mit ihrer ehemaligen Universität in Deutschland. Sie engagiert sich für engere Beziehungen der mexikanischen Hochschule zu Wirtschaft und Politik und ist zudem Direktorin des technisch-wissenschaftlichen Parks. „Wir haben so viele ausgezeichnete Wissenschaftler hier. Ihnen wird jetzt dabei geholfen, mit der Wirtschaft in Kontakt zu treten.“
Nicht nur in Deutschland und Mexiko engagieren sich Wissenschaftler und Universitäten für den europäisch-lateinamerikanischen Austausch. Wenn im Oktober 2014 in Pachuca die Vertreter von Partner-Hochschulen aus mehreren Ländern beider Regionen zusammenkommen, zeigt das auch den Erfolg des Programms „América Latina – Formación Académica“ (ALFA) der Europäischen Union, mit dessen Förderung viele Kooperationen entstanden und gewachsen sind. „Hier in Pachuca werden sich 30 bis 40 Personen treffen, die mit Hilfe der europäischen Förderung weitreichende Kompetenzen im Technologietransfer erlangt und an ihren Hochschulen erfolgreiche Projekte und Strukturen verankert haben“, sagt Lydia Raesfeld, die das Treffen organisiert. „Damit sind Kapazitäten im Bereich Technologietransfer geschaffen worden, die in Lateinamerika dringend gesucht und benötigt werden.“
„Desarrollo de Programa para Líderes en Transferencia Tecnológica“ (d-PoLiTaTE) nennt sich jenes Projekt unter dem Dach von ALFA, in das Raesfeld eingebunden ist. Seit 2011 wird es von der EU mit rund 900 000 Euro gefördert. Federführend in der Kooperation mit Hochschulen aus Argentinien, Bolivien, Kolumbien, Mexiko, Peru, Spanien und Deutschland ist die Westfälische Wilhelms-Universität Münster (WWU), die seit 1995 mit Unterstützung durch ALFA die Zusammenarbeit mit Lateinamerika vorantreibt. „Damals ging es darum, erste Strukturen an den Partneruniversitäten zu schaffen, um den Transfer von der Forschung in die Wirtschaft zu ermöglichen“, sagt Wilhelm Bauhus, Leiter der Arbeitsstelle Forschungstransfer an der WWU. Das ist gelungen – und mit weiteren ALFA-Projekten konnte die Partnerschaft vertieft werden. „Im Rahmen von d-PoLiTaTE etwa haben wir uns gegenseitig weitergebildet und nun einen Online-Kurs zum Forschungstransfer auf die Beine gestellt, der unser Netzwerk vergrößert und stärkt.“
Der Online-Kurs vermittelt Grundwissen über den Schutz geistigen Eigentums, Patentanmeldungen, Unternehmensgründungen und Wissenschaftsmarketing. „Damit erreichen wir über die Partnerschaft hinaus noch mehr Interessierte, die die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in Lateinamerika und die Internationalisierung ihrer Hochschulen vorantreiben wollen“, sagt Lydia Raesfeld. Forschungstransfer sei in Lateinamerika ein wichtiges politisches Thema. „Man sucht die Expertise aus Deutschland, wo schon seit knapp 30 Jahren Technologie-Parks existieren und immer mehr Transferagenturen entstehen.“
Das Erfolgsprojekt in Mexiko erreicht alle wesentlichen Ziele, mit denen das ALFA-Programm 1994 an den Start ging: Internationale Hochschulnetzwerke sollten unterstützt werden, um langfristig Qualität zu ermöglichen. Auch andere ALFA-Projekte dienen seit Jahren diesen Zielen und dem Austausch von Erfahrungen bei Organisation und Verwaltung von Hochschulen. Da geht es mal um E-Learning, mal um Gleichstellung oder um Netzwerke für Klimaforschung und Umweltmanagement. „ALFA ist aber kein Entwicklungshilfeprojekt“, betont Wilhelm Bauhus. „Wir erleben seit Jahren eine völlig gleichberechtigte Partnerschaft.“
Die WWU Münster profitiert von dem Austausch zum Beispiel durch einen regen Zulauf lateinamerikanischer Studierender und Forscher. „Wir sind sichtbar, weil wir seit Jahrzehnten kooperieren“, sagt Bauhus. „Ohne ALFA hätten wir vermutlich kein Brasilien-Zentrum an unserer Universität. Das Programm hat Kontinuität und eine dynamische Entwicklung auch in Deutschland geschaffen.“
Seit 2014 ist ALFA im neuen europäischen Förderprogramm Erasmus+ aufgegangen. ALFA, im Rahmen dessen die EU in den vergangenen 20 Jahren mehr als 100 Millionen Euro für 1700 Hochschulen bereitgestellt hat, soll in größerem Umfang weitergeführt werden. Mit Erasmus+ wird der Haushalt für Bildungszusammenarbeit auf rund 14,8 Milliarden Euro aufgestockt. Eine der neuen Programmlinien fördert mit erhöhtem Budget unter anderem Wissensallianzen, die Qualifizierung von Personal sowie die Internationalisierung von Hochschulen. Auch für ALFA ist Erasmus+ also ein Plus. ▪
Bettina Mittelstraß