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Was wollen wir bewahren?

Kulturerhalt in Ost- und Westdeutschland: Die US-Wissenschaftlerin Jennifer Allen forscht als Gast der American Academy in Berlin.

07.06.2019
Jennifer Allen: Wertvolle Kontakte geknüpft
Jennifer Allen: Wertvolle Kontakte geknüpft © Annette Hornischer/American Academy in Berlin

Frau Dr. Allen, wann haben Sie entschieden, sich auf die jüngere Geschichte Deutschlands zu spezialisieren?
Als Studentin haben mich zahlreiche Fachrichtungen interessiert; Geschichte war nur eine davon. In Vorbereitung meiner Bachelorarbeit habe ich aber einen besonders beeindruckenden Kurs über die jüngere deutsche Geschichte belegt. In diese Richtung wollte ich weiterstudieren.

Warum haben Sie sich um ein Stipendium der American Academy in Berlin beworben?
Ein großer Vorteil der American Academy ist, dass sie Wissenschaftler aus zahlreichen unterschiedlichen Themenfeldern zusammenführt. Sie werden darin unterstützt, frei von anderen Verpflichtungen an ihren jeweiligen Forschungsprojekten zu arbeiten. Zudem ist die American Academy hervorragend darin, Wissenschaftler beim Netzwerken in Deutschland zu helfen. Das hat mir als relativ junger Wissenschaftlerin Kontakte ermöglicht, die ich ansonsten in meiner Laufbahn nicht so früh hätte knüpfen können.

Was ist Ihr Forschungsprojekt an der American Academy?
Ich untersuche die unterschiedlichen Vorstellungen in Ost- und Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, was es angesichts einer Katastrophe zu bewahren gilt. Infolge des Zweiten Weltkriegs sahen viele Länder die Notwendigkeit, sich auf Leitlinien gegen die Zerstörung wichtiger Kulturgüter zu verständigen. 1954 bündelten sie ihre Ideen in der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten. Die westdeutsche Bundesrepublik hat die Konvention direkt unterzeichnet. Diese nennt zwar einige Grundsätze, was zu schützen ist, die Art und Weise des Kulturgutschutzes ist den einzelnen Staaten aber freigestellt.

Was wollte die westdeutsche Bundesrepublik erhalten?
Die Bundesrepublik konzentrierte sich auf die wichtigsten Objekte der deutschen Kulturgeschichte. Eine Gruppe von Wissenschaftlern, Archivaren und Regierungsvertretern begann mit Mikrofilmaufnahmen von Dingen wie den Bauplänen des Kölner Doms, dem „Westfälischen Frieden“ oder dem Grundgesetz. Die Sammlung sollte ein neutrales Archiv sein; zu ihr zählten Objekte des Stolzes und der Schande wie auch alles dazwischen. Mit der Zeit wuchs die Sammlung und wurde schließlich in eine stillgelegte Silbermine an der deutsch-französischen Grenze verlegt. Heute enthält dieser „Zentrale Bergungsort“ knapp eine Billion Bilder.

Gab es ein vergleichbares Projekt in der ostdeutschen DDR?
Die DDR hat die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut 1974 unterzeichnet, zwanzig Jahre nach der Bundesrepublik. Es folgten ähnliche Initiativen zum Kulturgutschutz wie in Westdeutschland, allerdings waren sie deutlich kleiner. Durch meine Forschung habe ich entdeckt, dass die DDR auch einen total gegensätzlichen, seinerzeit relevanten Ansatz zum Kulturerhalt hatte, nämlich in der Form von Saat- und Genbanken. Während des Zweiten Weltkriegs hatten deutsche Wissenschaftler ein landwirtschaftliches Forschungsinstitut in der ostdeutschen Stadt Gatersleben gegründet. Diese Einrichtung existiert heute noch als Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK). Eines der erfolgreichsten Projekte seiner Geschichte war der Aufbau einer Saatbank zum Erhalt der landwirtschaftlichen Biodiversität Zentraleuropas.

Was haben der ost- und der westdeutsche Ansatz zum Kulturerhalt gemeinsam?
Beide stehen sowohl für Zukunftsvisionen als auch für eine Haltung, was es angesichts drohender Katastrophen zu bewahren gilt. Der ost- und der westdeutsche Ansatz haben sich entwickelt, während sich der Kalte Krieg zuspitzte. Und natürlich stand Deutschland im Mittelpunkt des Kalten Kriegs. So geben beide Projekte auch eine Antwort auf die Frage des Umgangs mit der Bedrohung durch Atomwaffen.

Was hat sich nach der deutschen Wiedervereinigung verändert?
Dieser Frage gehe ich mit meinem Forschungsprojekt an der American Academy nach. Ich möchte herausfinden, wie der ostdeutsche Einsatz für Biodiversität und der westdeutsche Einsatz für kulturelles Erbe im wiedervereinigten Deutschland zusammengefunden haben. Ein besonders interessanter aktueller Aspekt ist, dass eine der weltweit bekanntesten Saatbanken, das Svalbard Global Seed Vault in Norwegen, zum Teil von der deutschen NGO Crop Trust gefördert wird.

Interview: Nicholas Czichi-Welzer

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