„Die Stadt als Museum“
Deutscher Architekt gewinnt Wettbewerb in Tel Aviv: So könnte die architektonische Zukunft der Weißen Stadt aussehen.
Tel Aviv: die „Weiße Stadt“. Rund 2.000 Bauten, die nach der Machtergreifung der Nazis von geflüchteten deutschen Juden im Bauhaus-Stil in der Innenstadt errichtet wurden, gehören seit 2003 zum Weltkulturerbe der Unesco. Zwischen den „form-follows-function“-Bauwerken sprießen aber seit Jahren auch moderne Hochhäuser aus dem Boden. Genau diese Mischung aus alt und neu macht die Architektur der Stadt so interessant – und kompliziert. Denn immer mehr Menschen ziehen in die Stadt, das fordert innovative Lösungen. Um diese zu finden, hat die Stadt einen internationalen Wettbewerb unter dem Motto „Layer 2.0” abgehalten. Architekten aus der ganzen Welt konnten Ideen für fünf denkmalgeschützte Häuser einreichen, die um zusätzliche zweieinhalb Stockwerke erweitert werden sollen. Die Bewerberinnen und Bewerber sollten den Charme der Vergangenheit und gleichzeitig die Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel und Zusammenleben auf engem Raum – zusammendenken.
Sharon Golan Yoran, Organisatorin des Wettbewerbs und Direktorin des Denkmalschutz- und Architekturzentrum Liebling-Haus in Tel Aviv, erklärt bei einem Stadtspaziergang mit ihrem Hund und Dauerhupen im Hintergrund – auch typisch für Tel Aviv –, was den Aufbau der Stadt so besonders macht: „Mit den breiteren Verkehrs- und Einkaufsstraßen und den kleineren Wohnstraßen hat der schottische Stadtplaner eine gewisse Intimität kreiert, die durch die vielen Grünflächen beinahe wie eine Gartenstadt wirkt, obwohl wir uns inmitten einer lebhaften Metropole befinden”, sagt Yoran. „Wir schätzen die Originalbauten, aber wir schauen auch in die Zukunft. Denkmal darf nicht nur historisches Erbe sein, sondern muss sich auch an die Lebensbedingungen unserer Zeit anpassen, wie zum Beispiel Nachhaltigkeit und Gentrifizierung”.
Die vermeintlich einfachste Lösung wäre, Wolkenkratzer in die Höhe zu ziehen und so Wohnraum in dem Einwanderungsland Land zu schaffen, – was auch für viele Hausbesitzer, die immer wieder gegen den Denkmalschutz klagen, lukrative Anreize bietet. Doch das Herz der Stadt würde laut Yoran darunter leiden: „Auch wenn viele Häuser in der Weißen Stadt renoviert werden müssen, muss der Flair danach stimmig sein. Zwischen den Häusern ist genug Platz für eine frische Meeresbrise, es gibt viel grün, es ist allgemein sehr lebenswert.“
Das Leben der Stadt ins Haus holen
Eine echte Herausforderung für die über hundert Architekten, die aus der ganzen Welt ihre Entwürfe eingereicht haben. Einer von ihnen ist der Berliner Architekt Lion Schreiber, der über mehrere Wochen hinweg an seinem Entwurf gearbeitet hat: „Vor allen Dingen die Auseinandersetzung mit brennenden Fragen unserer Zeit wie Verdichtung, Schaffung von Wohnraum, Nachhaltigkeit und der Umgang mit unserem architektonischen Erbe, hat mich am Wettbewerb gereizt. Darüber hinaus habe ich ein Faible für die Bauhaus-Architektur, die ich auf mehreren Reisen nach Israel bereits besichtigten durfte.”
Der Entwurf von Lion Schreiber, der von einer hochkarätigen Jury aus deutschen und israelischen Architekten mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde, zeigt eine Betonkonstruktion, die von Säulen getragen wird und die Aufstockung gewissermaßen über dem Bestandshaus „schweben“ lässt. So entstehen schattige Hofflächen für Cafés und Shops. Das Leben der Stadt wird quasi ins Haus geholt und ermutigt die Bewohnerinnen und Bewohner, sich zu treffen und unterstützt so einen gesellschaftlichen Austausch – was in einer multikulturellen Welt für ein friedliches Zusammenleben essenziell ist.
Und wieso baut man nicht einfach im Stil des Originalhauses oben an? Sharon Golan Yaron hält das für keine gute Idee: „Die Stadt ist wie ein offenes Museum. Durch einen solchen Anbau würden klassische Bauhaus-Proportionen verloren gehen. Bei unserem Ansatz sind die Grenzen zwischen neu und alt für jeden sichtbar.“
Die Partnerschaft zwischen Deutschland und Israel soll in diesem Bereich zukünftig auch weiter ausgebaut werden: „Layer 2.0 betrifft ja nicht nur Israel, sondern ist ein globales Phänomen. Mehr Menschen auf weniger Wohnraum unterzubringen”, so Initiatorin Yaron. Von Deutschland könne man lernen, die Objekte besser zu pflegen: „In Israel werden die Häuser vernachlässigt, jeder kümmert sich nur um sein eigenes kleines Reich. Das ändert sich langsam und die Menschen wertschätzen den Gedanken des Teilens mehr.”
Im September werden die Gewinner des Ideen-Wettbewerbs aus Südkorea, Deutschland und Israel im Liebling-Haus in Tel Aviv zusammen kommen und ihre Arbeiten vorstellen – und um die Zukunft der Weißen Stadt mit all ihren Facetten zu gestalten.