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Virtuell durch die Geschichte

Kaya Behkalam möchte Orte und ihre Geschichte visuell verbinden. Für den Arabischen Frühling in Kairo ist ihm das schon gelungen.

Kim Berg, 15.10.2019
Kaya Behkalam
Der Künstler Kaya Behkalam lebt in Berlin und Kairo. © Kaya Behkalam

Wie kann man Geschichte erlebbar machen? Diese Frage beschäftigte den Künstler und Filmemacher Kaya Behkalam während seiner Promotion an der Bauhaus Universität Weimar. Von 2011 bis 2016 lehrte er als Gastprofessor an der American University in Kairo „Film und zeitbasierte Medien“. Dort kam er auf die Idee eine App zu entwickeln, die Videos und Bilder des Arabischen Frühlings archiviert und mit dem jeweiligen Ort verknüpft.

Wie funktioniert die App „augmented archive“?

Sie funktioniert im Prinzip wie eine Ausstellung oder ein Film aus vielen verschiedenen Szenen, die sich an unterschiedlichen Orten in Kairo abspielen.

Der User öffnet die App und kann auf einer Karte schauen, an welchen Orten um ihn herum Videos liegen. Die Videos kann er dann im Umkreis von 20 Metern um den markierten Ort herum anschauen. Es gibt zwar auch eine Funktion in der App, mit der User die Videos aus der Ferne anschauen können. Der grundsätzliche Gedanke hinter dem Projekt ist aber, dass die Menschen an die Orte des Geschehens gehen. Nur so gibt es die direkte Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart.

Wie kamen Sie auf die Idee ein Augmented Archiv für den Arabischen Frühling anzulegen?

Die Idee entstand aus der Fragestellung heraus, wie wir mit den Videos umgehen können, die während dem Arabischen Frühling entstanden. Wie hält man diese Bilder lebendig und wie kann man sie in der Rückschau verstehen? Die Videos sind immer noch online und im Grund für jeden verfügbar. Da sie aber nicht mehr aktuell sind, gehen sie in der Menge an Informationen in den sozialen Medien einfach unter.

Ich habe in den Jahren viel mit der Gruppe Mosireen zusammengearbeitet. Die Medienaktivisten haben schon relativ früh angefangen, ähnliche Projekte zu starten. Zum Beispiel Videos der Demonstrationen an den jeweiligen Orten in Kairo auszustrahlen, um auch Menschen zu erreichen, die keinen Internetzugang haben. Das war für mich ein interessanter Ansatz, den ich dann aufgegriffen habe. Danach kam die Idee, die Videos in Form einer App zugänglich zu machen, die den Ortsfaktor mit einbezieht und sie so in einen Kontext einordnet. Ohne Ort schwirren die Videos in irgendwelchen Datenbanken herum und werden oft nur noch durch Zufall angewählt. Aber in dem Moment, wo du den Ort zurückbringst, gibst du den Bildern ihren Kontext und ihre Relevanz zurück.

Kaya Behkalam
Ende 2017 veranstaltete Kaya Behkalam öffentliche Führungen mit der App zu den Schauplätzen des Arabischen Frühlings © Kaya Behkalam

Woher kommen die Daten für das Archiv?

Viele Videos kommen aus dem Archiv „858: An archive of resistance“ von Mosireen. Das ist das größte geordnete Videoarchiv zur ägyptischen Revolution. Es beinhaltet Videos, die von der Gruppe selbst gedreht oder von anderen Menschen eingereicht wurden. Während und auch nach der Revolution hat Mosireen Leute darin ausgebildet, wie man Kameras benutzt und Videos auf die Plattform lädt. So ist das Archiv immer weiter gewachsen.

Zusätzlich habe ich selbst neues Material produziert. Ich habe Interviews mit Archivtheoretikern, Stadtplanern, Politikern und Aktivisten gedreht, die das Videomaterial aus dem Archiv in den geschichtlichen und örtlichen Kontext einordnen.

Als drittes Element beinhaltet die App eine Reihe Videos von jungen ägyptischen Künstlern und Performern. Sie haben sehr abstraktes Material gedreht und ebenfalls Bezug auf die ägyptische Revolution genommen.

Ändert sich die Sichtweise auf eine Geschichte, wenn die Ortserfahrung mit einbezogen wird?
Kaya Behkalam

Welche Probleme haben sich im Laufe des Projektes ergeben?

Es ist relativ schwierig ein Medieninteresse in Ägypten für das Projekt zu generieren. Es gibt dort wenig unabhängige Medien, die kritisch angelegten Projekten offen gegenüberstehen. Wir waren sehr vorsichtig, als das Projekt gelaunched wurde. Die App ist deshalb eher ein Experiment und nicht auf Massentauglichkeit angelegt. Wir testen damit, ob sie eine Form des Gedenkens sein kann, die  den Blick auf die Vergangenheit und die Gegenwart verändert.

Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Ich möchte das Projekt gerne weiter ausbauen. Diese Form der Archivierung oder non-linearer Filmerzählung in einem anderen Kontext auszuprobieren, finde ich spannend. Inwiefern kann eine solche App genutzt werden, um Geschichte und Geschichten anders zu erleben? Ändert sich die Sichtweise auf eine Geschichte, wenn die Ortserfahrung mit einbezogen wird? Das würde ich gerne auch an anderen Orten herausfinden.

Etwas Ähnliches bereiten Sie für Berlin vor. Um welches Thema soll es da gehen?

In Berlin arbeite ich mit einem anderen Filmarchiv zusammen, das die Geschichte der Stadt widerspiegelt. Im Fokus steht der Umgang mit dem „Anderssein“. Also zum Beispiel queere Perspektiven oder Perspektiven von Migranten. Berlin hat seine Andersheit schon immer stark gelebt und das hat sich auch in der Filmgeschichte niedergeschlagen.

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