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Einladung zum Geschichtenfang

Insidergeschichten aus Berlin und Weihnachten in Jerusalem – mit diesem Stipendium entdecken Journalisten aus Deutschland und Israel, was das andere Land bewegt.

Christina Iglhaut, 30.04.2019
Mit dem IJP-Stipendium eine andere Kultur entdecken.
Mit dem IJP-Stipendium eine andere Kultur entdecken. © IJP

Schon Stunden vor der Mitternachtsmesse bildeten sich Schlangen vor dem Kirchentor der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg in Jerusalem. Als Pater Nikodemus Schnabel am Heiligen Abend die Toren der Kirche öffnet, drängten Hunderte hinein – allerdings keine Christen, sondern Juden. Für eine Reportage in „Haaretz“ über dieses ungewöhnliche Weihnachtsereignis, mischte sich 2017 auch die Reporterin der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ Christine Kensche unter die Besucher. Mit dem Deutsch-Israelischen Journalistenstipendium des Vereins „Internationale Journalisten Programme e.V.“ (IJP) kam sie nach Tel Aviv. Zwei Monate lang arbeitete sie als Reporterin für die englischsprachige Ausgabe der ältesten Tageszeitung Israels. Auch vorher schon bereiste die 37-Jährige das Land. „Ich hatte aber nie das Gefühl, dass ich dort genügend Zeit verbracht habe. Die Kultur, die Geschichte, die Menschen – mich fasziniert vieles an Israel, also bewarb ich mich beim IJP und kam zurück.“

„Unwissenheit schafft Vorurteile“

Durch das Stipendium lernte die Reporterin das Land noch intensiver kennen. Durch die Arbeit bei „Haaretz“ bekam sie einen Einblick in die Arbeitsabläufe und Besonderheiten des israelischen Journalismus. „Der Stil dort ist sehr amerikanisch. Das liegt wohl daran, dass sich die englischsprachige Ausgabe an jüdische Leser im Ausland, vor allem in den USA, richtet. Die Berichterstattung ist stark nachrichtenorientiert, mit vielen Breaking News und schnellen, kurzen Texten. Es wird auch viel mehr zitiert, direkte Zitate ziehen sich über mehrere Sätze“, erklärt Kensche. „Da musste ich mich erst umstellen, aber es war eine sehr spannende und interessante Zeit.“

Das Ernst Cramer und Teddy Kollek Stipendium der IJP richtet sich an jüngere Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland und Israel. Sie sollen sich durch einen zweimonatigen Aufenthalt mit den politischen Themen des jeweils anderen Landes vertraut machen und sich als zukünftige Multiplikatoren für Fragen der deutsch-israelischen Beziehungen sensibilisieren. „Unwissenheit schafft Vorurteile. Jeder deutsche Journalist, der über Israel schreibt – und um dieses Thema kommt man fast nicht herum – sollte deshalb einmal vor Ort gewesen sein“, sagt Kensche.

Christine Kensche schrieb zwei Monate lang für „Haaretz“ in Tel Aviv.
Christine Kensche schrieb zwei Monate lang für „Haaretz“ in Tel Aviv. © Sabine Panossian

Austausch und Netzwerk im Fokus

Das Stipendium ist Teil des Middle East Fellowship der IJP und nach dem Journalisten Ernst Cramer und Jerusalems ehemaligem Bürgermeister Teddy Kollek benannt. „Vor allem der Austausch-Gedanke ist bei diesem Programm wichtig. Es gibt 36 deutsche Korrespondenten in Israel, aber nur eineinhalb israelische Korrespondenten in Deutschland. Mit dem kurzen Aufenthalt wollen wir eine längerfristige Stelle attraktiv machen und ein Netzwerk zwischen Journalisten schaffen“, erklärt der Leiter des Israel-Programms der IJP, Dr. Frank-Dieter Freiling.

Er glaube, beide Seiten könnten davon profitieren und eine neue Sicht auf Themen bekommen, die das jeweils andere Land beschäftigen. „Oft ist die israelische Berichterstattung über Deutschland relativ monoton – genau wie andersrum. Durch den Aufenthalt wird vielen Stipendiaten klar, dass es auf beiden Seiten eine große Bandbreite gibt“, sagt Freiling.

Diese Erfahrung machte auch Liza Rozovsky. Sie ist Reporterin bei „Haaretz“ in Tel Aviv und war 2017 quasi Christine Kensches Austauschpartnerin. Ihren zweimonatigen Aufenthalt verbrachte sie bei der „Welt“ in Berlin. Sie schrieb beispielsweise eine Geschichte über deutsche Eltern, die in In-Vierteln wie Kreuzberg leben, ihre Kinder dort aber nicht zur Schule schicken wollen. „Viele der Themen hätte ich in Israel nie gefunden. Auf solche Geschichten stößt man nur vor Ort und im Gespräch mit Deutschen“, sagt Rozovsky. Die Story hätte aber einen universellen Charakter: „Es ging um Integration und Vorurteile, nicht nur um Berlin. Deshalb wurde der Beitrag auch in „Haaretz“ veröffentlicht.“ Unterschiede im Redaktionsalltag konnte Rozovsky nicht feststellen, auch weil sie viel unterwegs war: „auf Geschichtenfang“. Nur der Newsroom in Berlin sei ein bisschen ruhiger und geordneter gewesen als in Israel, sagt sie mit einem Augenzwinkern.

Redaktionsalltag: Fehlanzeige

Die freie Journalistin und IJP-Alumna Sarah Fantl beobachtete währenddessen in Jerusalem schon ein paar redaktionelle Unterschiede. Sie arbeitete als Reporterin für die „Times of Israel“ in Jerusalem: „Anders als in Deutschland gab es hier eigentlich keinen Redaktionsalltag. Am Sonntag trafen wir uns zur großen Konferenz und besprachen die neuen Geschichten. Danach wurden wir losgeschickt und waren erst einmal auf uns gestellt.“ Die 31-Jährige liebt Israel, musste sich aber immer erst an das kleine „Balagan“ („Chaos“) gewöhnen. „Dafür ist man als Journalist hier immer nah dran. Es wird viel Zeit und Geld in investigative Stories investiert.“ Fantl ging 2017 im Rahmen des IJP-Stipendiums für zwei Monate nach Israel – und blieb dann einfach dort.

Reporterin Sarah Fantl auf „Geschichtenfang“ in Jerusalem.
Reporterin Sarah Fantl auf „Geschichtenfang“ in Jerusalem. © Privat

Deutsch-Israelisches Journalistenstipendium 2019

Zum sechzehnten Mal schreiben die IJP 2019 ein zweimonatiges Reise- und Arbeitsstipendium für jüngere Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland und Israel aus. Mehr Infos zum Programm und zur Bewerbung findet ihr hier: https://www.ijp.org/stipendien/cramer/

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