„Emotionen, die viel Fingerspitzengefühl brauchen“
Eine Oper über die Geschichte Deutschlands und Namibias – Regisseurin Kim Mira Meyer erzählt von der deutsch-namibischen Zusammenarbeit.
Die Oper „Chief Hijangua“ wurde 2022 in Windhoek uraufgeführt. Im Herbst 2023 feierte sie ihre Europa-Premiere in Berlin. Kim Mira Meyer hat bei dieser deutsch-namibischen Kooperation Regie geführt, die sich mit den Kulturen und der Geschichte der beiden Länder auseinandersetzt.
Frau Meyer, wie kam es dazu, dass „Chief Hijangua“ die erste namibische Oper wurde?
Es war der Wunsch des Komponisten und Dirigenten Eslon Hindundu, der auch die Geschichte mit dem deutschen Librettisten Nikolaus Frei entwickelt hat. In Namibia gibt es keine Operntradition wie in Europa. Eslon wollte so etwas aber gerne auch in seinem Land haben.
Worum geht es in der Oper?
Ein namibischer Prinz kommt mit den hierarchischen Strukturen in seiner Familie nicht zurecht und ist in eine Frau verliebt, die er nicht heiraten darf. Er läuft weg und gelangt in eine deutsche Mission. Dort lernt er die Sprache, das Schießen, fühlt sich aber auch nicht ganz zuhause. Er kehrt zurück und wird dabei von den Deutschen verfolgt, die sein Dorf einnehmen. Die Oper endet dramatisch. Sie erzählt vom Beginn der Kolonialgeschichte zwischen Deutschland und Namibia.
Was hat Sie motiviert mitzumachen?
Die Freundschaft zu Eslon. Wir lernten uns 2019 bei den Opernfestspielen in Immlingen kennen und wollten ein gemeinsames Projekt machen. Ich habe dafür den Verein Momentbühne gegründet. Gefördert wurden wir unter anderem durch Siemens Arts und das Auswärtige Amt. Nach drei Jahren konnten wir die Uraufführung in Namibia machen. Damit ging ein riesen Traum in Erfüllung. Kurz darauf wussten wir, dass wir es auch im Haus des Rundfunks in Berlin auf die Bühne bringen können, wobei uns die Lotto-Stiftung und der Berliner Senat unterstützt haben.
Vor und hinter der Bühne waren etwa 100 Personen beteiligt. Wie ist das Team zusammengekommen?
Ich habe mich in Deutschland auf die Suche gemacht, Eslon in Namibia und in Südafrika, wo er studiert hat. Wir haben in München, Kapstadt und Windhoek geprobt. Es war ein Marathon. Aber weil alle es so sehr wollten, hat es geklappt. Doch auch Diskussionen gehören zu so einem Projekt dazu. Es war wichtig, immer wieder offen und wertungsfrei über kulturelle Unterschiede zu sprechen. Bei der Arbeit an der Oper standen Emotionen im Raum, die viel Fingerspitzengefühl brauchen – und flache Hierarchien.
Wie sind Sie den historischen Stoff angegangen?
Wir haben im Team entschieden, die Historie zu zitieren, aber unsere eigene künstlerische Welt zu erschaffen. Weil das Thema Kolonialismus so sensibel ist, haben wir kooperativ gearbeitet und alle Bereiche mit deutsch-namibischen Teams besetzt. Wir wollten uns dem Thema aus allen Richtungen annähern.
Was waren die Herausforderungen dabei?
Ich hatte als deutsche Regisseurin oft Angst vor kultureller Aneignung. Mit meinem Co-Regisseur Michael Pulse reiste ich durch Namibia, wir führten Gespräche und sammelten Requisiten. Für das namibische Team war es wichtig, das Land nicht auf die Kolonialgeschichte zu reduzieren. Ich hatte Bedenken, Körbe auf der Bühne zu zeigen, doch Michael wollte so die Kulturen Namibias repräsentieren. Wir haben uns intensiv mit der Geschichte auseinandergesetzt, aber versucht, einen abstrakteren Weg zu finden, um etwa auf den Völkermord einzugehen: Wir konnten eine Installation der namibischen Künstlerin Isabel Katjavivi zeigen, die den Verstorbenen mithilfe von Masken ein Gesicht gibt.
Namibische Sänger haben für die Oper Deutsch gelernt, deutsche Sänger Otjiherero. Auch das klingt nicht einfach.
Es war Teil des Austauschs. Wir haben die Rollen Hautfarben-unabhängig besetzt. Die Sänger haben sich gegenseitig die Sprachen beigebracht. Auch bei der Musik hört man, wie viele Kulturen in der Oper stecken, es gibt Einflüsse aus der Klassik, aber auch namibische Rhythmen.
Wie ist die Oper angekommen?
Die Uraufführung in Namibia war ein großer Erfolg, auch in Deutschland war die Stimmung gut. Wir arbeiten nun an einer Kammerfassung, die wir in beiden Ländern aufführen wollen. In Namibia gibt es keine Hochschule für klassischen Gesang. Wir möchten Strukturen aufbauen, um Künstler zu fördern, damit dort etwas Nachhaltiges entsteht. Wir arbeiten mit der Momentbühne auch schon am nächsten Projekt.
Verraten Sie, worum es geht?
Das neue Projekt heißt „People of Song“. Die Uraufführung soll 2025 in Namibia stattfinden, die Europa-Premiere 2026 in Berlin. Dieses Mal wollen wir uns nicht auf Oper festlegen, vielleicht kreieren wir eine eigene Form. Der Fokus liegt aber wieder auf der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Wir wissen, was in Namibia passiert ist, wollen aber nicht den Zeigefinger erheben, sondern gemeinsam in die Zukunft schauen. Dafür haben wir ein namibisch-deutsches Kollektiv gegründet, das eine Geschichte entwickelt. Wir haben durch „Chief Hijangua“ gelernt: Je mehr man miteinander redet, desto besser.