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„Ich hatte einen Traum“

Wie die in Berlin lebende japanische Künstlerin Chiharu Shiota die Kunstwelt verzaubert.

01.02.2019
Installation „Beyond Time“ von Chiharu Shiota
Installation „Beyond Time“ von Chiharu Shiota © dpa

Frau Shiota, Ihr Markenzeichen sind netzartige Installationen aus Wollfäden. Wie kamen Sie auf dieses Material?
Ursprünglich habe ich Malerei studiert. Doch darin fand ich nicht die erhoffte Erfüllung. Ich entschied mich, für ein Jahr an die Canberra School of Art in Australien zu gehen. Dort hatte ich nachts einen  ungewöhnlichen Traum. Ich war Teil eines dreidimensionalen Gemäldes und konnte nicht atmen, weil ich mit Farbe übergossen wurde. Dieser Traum war meine Inspiration für die Performance „Becoming Painting“. Danach wusste ich, dass ich Kunst mit Hilfe meines Körpers schaffen muss. Zurück in Deutschland fühlte ich mich sehr unruhig. Als ich eines Tages in meinem Schlafzimmer saß, begann ich schwarze Wolle um mich herum zu spinnen und das gab mir die Idee für die Installation „During Sleep“. Ich begann, mit Wolle Räume zu kreieren, die verschiedene Bedeutungen haben. Mit der schwarzen Wolle will ich den Nachthimmel oder den Kosmos rekonstruieren, mit der roten Wolle visualisiere ich menschliche Verbindungen und Beziehungen.

Chiharu Shiota vor ihrer Installation “Lost Words”
Chiharu Shiota vor ihrer Installation “Lost Words” © dpa

Häufig umspinnen Sie auch Alltagsgegenstände in Ihren Installationen. Welche Bedeutung hat das für Sie?
Ich glaube, dass die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, einen besonderen Bezug zu uns haben. Als ich auf einem Flohmarkt in Berlin einen alten Koffer kaufte, habe ich darin eine Zeitschrift von 1947 gefunden und spürte die Anwesenheit des früheren Besitzers. Auch wenn wir unser Bett verlassen, hinterlassen wir einen bestimmten Abdruck, der völlig anders ist als der eines anderen Menschen. Diese Aspekte finde ich faszinierend und möchte sie mit meinen Installation veranschaulichen. 
 

Die Linien, die ich mit Garn kreiere, sind wie Pinselstriche in einem Gemälde.
Chiharu Shiota

Vor 100 Jahren entstand das „Bauhaus“. In der Weberei entdeckten Frauen, wie Fäden ihre eigene Form finden. Was verbindet Sie mit der Kunstschule?
Das Bauhaus hat einen großen Einfluss auf die Kunst gehabt und das Prinzip der Kunstschulen revolutioniert, aber ich habe keine besondere Beziehung zum Bauhaus. Meine Kunst wird zwar oft mit Handarbeit und Weiblichkeit verbunden, aber die Linien, die ich mit Garn kreiere, sind wie Pinselstriche in einem Gemälde. Anstatt mit Pinsel und Leinwand arbeite ich mit Garn im Raum.

Installation “Uncertain Journey” von Chiharu Shiota
Installation “Uncertain Journey” von Chiharu Shiota © dpa

Ab 21. März 2019 stellen Sie im Berliner Gropius Bau gemeinsam mit Berliner Künstlern aus. Was bedeutet Ihnen das?
Ich habe schon viele beeindruckende Ausstellungen im Gropius Bau gesehen und bin sehr glücklich darüber, nun auch dort ausstellen zu dürfen. Obwohl ich schon so lange in Berlin lebe, habe ich selten Ausstellungen in der Hauptstadt. Es freut mich besonders, wenn ich in Berlin ausstellen darf. Für den Gropius Bau kreiere ich im Atrium eine Fadeninstallation. Ich verknüpfe mit den Fäden die Geschichte des Gropius Baus mit dem gegenwärtigen Berlin.

Welchen Einfluss hat Berlin auf Ihre Kunst?
Berlin hatte schon immer einen großen Einfluss auf mich. Als ich nach Berlin gezogen bin, war vieles noch unentdeckt, vieles war in Bewegung und ich ließ mich sehr von der Stadt inspirieren, wie zum Beispiel für meine Installation „Inside-Outside“. Acht Jahre nach dem Mauerfall war Berlin eine riesige Baustelle, einige Gebäude wurden abgerissen, andere renoviert. Ich begann über mehrere Monate Fenster von ehemaligen Gebäuden im Osten zu sammeln. Ich habe das Gefühl, dass Fenster das Innere und das Äußere trennen und vice versa. Manchmal vermischen sich diese Bereiche und ich weiß nicht mehr, auf welcher Seite ich mich befinde. Dieses Gefühl habe ich auch, seitdem ich Japan verlassen habe.

Interview: Martin Orth

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