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Austausch und Experiment

Junge Medienkünstler werden durch das Programm „EMARE“ vernetzt.

Oliver Heilwagen, 01.10.2015

Kanada ist eine Wiege der modernen Medientheorie. Ihre Basis legte Marshall McLuhan (1911–1980) aus Edmonton quasi im Alleingang an der Universität Toronto. Sein Grundsatz „The medium is the message“ ist bis heute anerkannt: Jedes Medium prägt andere Wahrnehmungsgewohnheiten und bringt neue soziale Organisationsformen hervor. Kanada bot sich somit besonders als Partnerland für das 2007 gegründete „European Media Art Network“ (EMAN) an, die Dachorganisation des „European Media Artists in Residence Exchange“ (EMARE). Das Austauschprogramm wurde 1995 vom „Werkleitz-Zentrum für Medienkunst“ ins Leben gerufen, das seit 2004 in Halle (Saale) ansässig ist. EMARE hat in 20 Jahren mehr als 160 jungen Künstlern einen zweimonatigen Auslandsaufenthalt für neue Erfahrungen und Kontakte ermöglicht.

Freiräume statt feste Formate

Derzeit umfasst das EMAN-Netzwerk vier europäische Partner sowie je drei in Australien und Kanada. 2014/15 wurden 16 Stipendien vergeben, um die sich nicht weniger als 450 Künstler beworben hatten, erläutert EMAN-Projektleiter Peter Zorn: Die Auswahl obliege den Gastgeber-Institutionen, die anschließend ihre Stipendiaten betreuten und dafür sorgten, dass sie ihre Vorhaben ohne Abstriche verwirklichen könnten. Das erkläre die Attraktivität des Programms: „Es gibt immer weniger Freiräume für Künstler, in denen sie ihre Projekte so realisieren können, wie sie wollen. Der kommerzielle Kunstbetrieb wird immer stärker durchformatiert.“

Zwei der 16 EMARE-Stipendiaten der jüngsten Runde kommen aus Deutschland; beide hatten sich um einen Platz in Kanada beworben. Isabell Spengler wurde vom „The Images Festival“ in Toronto angenommen; es hat sich seit 1987 zum größten Experimentalfilm-Festival in Nordamerika entwickelt. Die 43-jährige Spengler unterrichtet seit 2004 an an der Berliner Universität der Künste (UdK) Experimentalfilm.
Für sie war Kanada die erste Wahl, um ihre Video-Installation „Two Days at the Falls“ umzusetzen. Auf zwei 360-Grad-Panorama-Ansichten kontrastiert sie den von ihr gefilmten Anblick der realen Niagara-Fälle mit „kulturellen Bildern“ des Naturschauspiels aus den letzten 150 Jahren, um die Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Imagination deutlich zu machen. Aus historischen Artefakten hatte sie zuvor im Atelier ein dreidimensionales Modell gebaut, doch für bewegte Bilder der echten Wasserfälle war eine Reise dorthin unerlässlich. Von ihren Arbeitsbedingungen vor Ort war die Künstlerin angetan: „Die Trinity Square Video Gallery in Toronto hat mich bei der Postproduktion sehr unterstützt und das fertige Werk in einer Einzelausstellung gezeigt.“ Sie sei auf viel Interesse gestoßen, denn „in Kanada gibt es eine lebhafte Experimentalfilm- und Videokunst-Szene“.

Ähnliche Erfahrungen hat Verena Friedrich gemacht. Die 34-Jährige studierte an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und der Kunsthochschule für Medien in Köln. Sie beschäftigt sich mit neuen Techniken an der Grenze zwischen Kunst und Naturwissenschaften; vor ihrem Auslandsaufenthalt war sie sechs Monate lang „Artist in Residence“ am Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns.

Im April und Mai 2015 war Verena Friedrich zu Gast bei OBORO, einer gemeinnützigen Organisation in Montréal, die seit 1984 diverse Spielarten multimedialer Künste fördert. Dort arbeitete sie am Projekt „The Long Now“; dabei versucht sie, Seifenblasen möglichst lange haltbar zu machen. In diesen schillernden Gebilden sieht die Künstlerin eine Metapher für die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der Existenz. Bei OBORO fühlte sich Friedrich „bestens aufgehoben; ich wurde super betreut“, schwärmt sie und betont: „Montréal hat eine sehr aktive Medien- und Maschinenkunst-Szene“. Die durch die Auslandsaufenthalte von Friedrich und den anderen 16 EMARE-Stipendiaten entstandenen Arbeiten werden vom 9. bis zum 25. Oktober 2015 beim „.move ON“-Festival des Werkleitz-Zentrums in Halle ausgestellt. ▪

moveon.werkleitz.de