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Wörter, die leuchten und verbinden

Vom „VERSschmuggel“ und anderen Arten, sich zu vernetzen.

Маттиас Юглер, 02.10.2015

Dass Lyrik lebt, steht spätestens seit der Leipziger Buchmesse 2015 fest. Der Gedichtband „Regentonnenvariationen“ von Jan Wagner gewann vor allen anderen nominierten Romanen den Preis der Buchmesse – und wurde über Nacht zum Bestseller und zum zentralen Gesprächsthema in den Kulturseiten deutschsprachiger Zeitungen. Dieser Erfolg ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Die Lyrikszene in Deutschland ist groß und gut vernetzt – oft auch international. Ein herausragendes Beispiel für diese internationale Vernetzung ist der Übersetzerworkshop VERSschmuggel, ein Projekt der Literaturwerkstatt Berlin, des Goethe-Instituts Moskau und des Goethe-Instituts St. Petersburg im Rahmen des Jahres der deutschen Sprache und Literatur in Russland 2014/2015. Einige der talentiertesten deutschen Dichter haben sich dazu vor Kurzem in Moskau mit ausgewählten russischen Kollegen getroffen.

Nachdem jeder die Texte des oder der Anderen übersetzt hatte, entstanden Fortsetzungen der Gedichte. Dass der Blick über den Tellerrand wichtig ist, weiß der Workshopteilnehmer Iwan Sokolow. Er bearbeitete die Gedichte seiner Kollegin Lea Schneider. „Lea und ich hatten zu Beginn der Arbeit in der Übersetzerwerkstatt so gut wie keine Vorstellung von zeitgenössischer Lyrik im jeweils anderen Land.“ Jetzt sei das zum Glück anders – die Werke seiner deutschen Kollegen und Kolleginnen zu kennen, beflügele auch seine eigene Arbeit.

Lea Schneider, 1989 in Köln geboren, nimmt mit ihren Prosagedichten eine führende Position in der jungen Lyrikszene ein. 2014 debütierte sie mit dem Gedichtband „Invasion Rückwärts“ – und erhielt dafür im selben Jahr den Dresdner Lyrikpreis, den vor ihr unter anderen schon Uwe Tellkamp und Lutz Seiler gewannen. Die Dichterin, stellte kürzlich Kritikerin Jayne-Ann Igel fest, „wechselt ständig zwischen den Ebenen, denen der Realität wie denen ihrer Reflexionen, und so entstehen Bewusstseinsstrudel, die ab und an paradox wie hellsichtig Erscheinendes an die Oberfläche treiben.“ Das kommt an – nicht zuletzt auch bei ihrer wachsenden Leserschaft. Ihre Gedichte wurden zuletzt ins Englische, Chinesische, Russische und Tschechische übersetzt. Lea Schneider schätzt den Austausch über den VERSschmuggel: „Die Zeit in Russland war für mich vor allem eine große Einladung zum Lernen.“

Lea Schneider weiß, wie wichtig es ist, gut mit anderen Lyrikern vernetzt zu sein: „Das hat damit zu tun, dass Lyrik in den letzten Jahrzehnten von den großen Verlagen und etablierten Institutionen fast komplett ignoriert worden ist.“ In dieser entstandenen Lücke sei nun erstaunlich viel Gegenstruktur gewachsen. Eine Vielzahl von jungen Lesereihen, Schreibwerkstätten und Kollektiven habe sich gegründet. In einem der bekanntesten von ihnen, dem Berliner Lyrikkollektiv G13, ist Lea Schneider festes Mitglied. Auch Independent-Verlage seien aus dem Mangel an Öffentlichkeit heraus entstanden. Einer der erfolgreichsten von ihnen ist der Verlag kookbooks in Berlin. Er gilt als feinfühliger Seismograph jüngerer deutscher Lyrik. So ist es kein Zufall, dass kookbooks auch die Gedichte von Steffen Popp veröffentlicht.

Die Liste seiner Auszeichnungen ist lang. Steffen Popp, 1978 in Greifswald geboren, ist einer der erfolgreichsten und spannendsten jungen Lyriker in Deutschland. So bescheinigte Florian Kessler, Lektor beim renommierten Hanser Verlag, seinem jüngsten Gedichtband „Dickicht mit Reden und Augen“ eine „seltsam überschießende, vor möglichen Bedeutungen sprudelnde Schönheit“. Wie viele Lyriker in Deutschland hat Steffen Popp am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert und dort an seinen Texten und denen anderer Autoren gearbeitet. Steffen Popp ist angekommen mit seinen Gedichten. Unter den jüngeren deutschen Dichtern gilt er als derjenige, der das geschafft hat, was viele wollen: regelmäßig veröffentlichen, auf breite Resonanz stoßen. ▪