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„Beeindruckende Tapferkeit“

Die deutsche Autorin Ira Peter, ehemalige Stadtschreiberin in Odessa, über die russischen Angriffe auf die Stadt und ihre familiäre Verbindung mit der Ukraine.

Johannes_GöbelInterview: Johannes Göbel, 08.08.2023
Ira Peter: „In Odessa Freunde gefunden.“
Ira Peter: „In Odessa Freunde gefunden.“ © Edwin Bill

Frau Peter, von Juni bis Oktober 2021 waren Sie als Stipendiatin des Deutschen Kulturforums östliches Europa Stadtschreiberin in Odessa. Wie blicken Sie auf die verheerenden russischen Angriffe, von denen die Stadt besonders betroffen ist?

Ich habe durch das Stipendium in Odessa zahlreiche Bekannte und Freunde gefunden. Seit dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 bange ich mit ihnen und allen Menschen in der Ukraine. Mich beeindruckt ihre Tapferkeit und ihr Kampfgeist. Mit Odessa wird nicht allein eine ukrainische Stadt angegriffen, sondern ein multikultureller Mikrokosmos. Auch für Russinnen und Russen hat das lange Zeit friedliche Zusammenleben unterschiedlichster Kulturen in der Stadt eine besondere Bedeutung, das wurde mir in den vergangenen Jahren durch viele Begegnungen deutlich.

Sie wurden 1983 im kasachischen Zelinograd, dem heutigen Astana, geboren und kamen 1992 im Alter von neun Jahren nach Deutschland. Was verbindet Sie über Ihre Tätigkeit als Stadtschreiberin hinaus mit der Ukraine?

Meine Großeltern, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits, lebten als Wolhyniendeutsche im Nordwesten der heutigen Ukraine. 1936 wurden sie nach Kasachstan deportiert. Meine Eltern haben sich der Ukraine nicht besonders verbunden gefühlt, aber für meine Großeltern war das immer ihre Heimat. Ich selbst habe 2018 damit begonnen, eine persönliche Verbindung zur Ukraine aufzubauen, war seitdem immer wieder im Land und habe unter anderem Medienworkshops für junge ukrainische Journalistinnen und Journalisten organisiert.

In Wolhynien traf Ira Peter während ihres Stipendiums auch Verwandte.
In Wolhynien traf Ira Peter während ihres Stipendiums auch Verwandte. © privat

Zugleich informieren Sie durch Ihre Medienarbeit in Deutschland schon seit Längerem über die Ukraine. Warum ist Ihnen das wichtig?

Die Ukraine mit ihrer sehr reichen Kultur und Geschichte sucht seit Langem den Austausch mit anderen europäischen Ländern, und wir vertun einfach wertvolle Chancen, wenn wir das ignorieren. Leider war das Interesse an der Ukraine vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 viel zu gering; das habe ich auch bei meiner Medienarbeit gemerkt. Wir dürfen aber nicht immer erst Interesse zeigen, wenn ein Konflikt eskaliert. Das gilt für zahlreiche postsowjetische Staaten. Im vergangenen Jahr konnte ich zum Beispiel für mehrere Wochen nach Armenien und Georgien reisen und dort journalistisch arbeiten. Wir können in diesen Ländern positive Entwicklungen unterstützen, wenn wir uns für den Austausch interessieren, etwa die Stärkung von Demokratie und Meinungsfreiheit.

In Deutschland senden Sie gemeinsam mit Edwin Warkentin den Podcast „Steppenkinder“, ein Projekt des Kulturreferates für Russlanddeutsche in Detmold. Es zeigt die Geschichte der Aussiedler aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion und informiert auch grundsätzlich zu Themen wie Identität, Erinnerungskultur und Migrations- oder Integrationserfahrungen.

Uns geht es darum, Vorurteile abzubauen und Ausgrenzungen entgegenzuwirken. Immer noch fühlen sich viele Russlanddeutsche in Deutschland benachteiligt und abgehängt. Das hilft leider viel zu oft rechtspopulistischen Politikern. Demgegenüber wollen wir mit unserem Podcast auch in Deutschland die Demokratie stärken. Unsere Zielgruppen sind neben den Russlanddeutschen selbst auch andere Menschen mit Migrationsgeschichte, etwa mit Wurzeln in Polen und der Türkei. Wir alle müssen uns mehr füreinander interessieren und näher zusammenrücken.

„Steppenkinder“ Edwin Warkentin und Ira Peter: Menschen verbinden
„Steppenkinder“ Edwin Warkentin und Ira Peter: Menschen verbinden © Steppenkinder

Arbeiten Sie somit auch gegen Propaganda der russischen Regierung?

Ja, denn Putin und seine Politik spielen mit Blick auf Deutschland ganz bewusst mit den eben erwähnten Kränkungen von Russlanddeutschen, versuchen etwa, mit Fake News, manipulativen Videos oder Memes die Stimmung unter den Menschen zu beeinflussen. Ohne Zweifel sind in Deutschland in der Vergangenheit auch Fehler gemacht worden, etwa bei der schleppenden Anerkennung von Berufsabschlüssen. Meine Mutter zum Beispiel ist Betriebswissenschaftlerin, konnte in Deutschland aber nicht entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten. Zugleich gilt, dass unsere Familie und zahlreiche andere in Deutschland wunderbar aufgenommen und vielfältig unterstützt wurden. Mit dem Podcast „Steppenkinder“ wollen wir nicht zuletzt das Selbstbewusstsein der Russlanddeutschen stärken und sie ermutigen, sich mit anderen auszutauschen.