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Schmerzhafte Heimat Libanon

Emily Nasrallah erzählt in ihren Werken von Migration, Emanzipationsversuchen und dem Schrecken des libanesischen Bürgerkriegs. Sie hat die Goethe-Medaille 2017 erhalten.

25.08.2017
Corniche in Beirut: ein beliebter Treffpunkt
Die Corniche in Beirut ist ein beliebter Treffpunkt © dpa

Emily Nasrallah hinterfragt Konventionen der libanesischen Gesellschaft – und gibt sich dabei nicht mit einfachen Antworten zufrieden. 1931 in einem Dorf im Südlibanon geboren, bewegt sie sich in ihren Werken im Spanungsfeld von urbaner Freiheit und dörflicher Tradition, von Emanzipation und passivem Verharren sowie von Emigration und Entwurzelung angesichts des libanesischen Bürgerkriegs. Mit ihren Romanen, Essays, Kinderbüchern und Erzählbänden gehört Emily Nasrallah zu den bekanntesten Schriftstellerinnen der arabischen Welt; ihr Debütroman „Touyour Ayloul“ („Septembervögel“) aus dem Jahr 1962 wurde mit drei arabischen Literaturpreisen prämiert. Er gilt heute als Klassiker der arabischen Literatur und gehört im Libanon zur Schullektüre.

Goethe-Medaille 2017: Preisträgerin Emily Nasrallah
Emily Nasrallah erhält die Goethe-Medaille 2017 © إملي نصر الله

Am 28. August zeichnete das Goethe-Institut Emily Nasrallah mit der Goethe-Medaille 2017 aus. Die Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille wählte neben Emily Nasrallah die indische Verlegerin Urvashi Butalia und die russische Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa als Preisträgerinnen aus, weil sie „mutig Stellung beziehen zu Tabuthemen in ihren Gesellschaften – von Gewalt gegen Frauen bis zur Erinnerungspolitik“.

Frau Nasrallah, Ihre Themen sind aktueller denn je. Warum setzen Sie sich literarisch mit Migration auseinander?

Diesem Thema fühle ich mich persönlich tief verbunden. Ganze Generationen von jungen Menschen haben mein Heimatdorf Kfeir al Zait verlassen, um außerhalb des Landes Arbeit zu finden. Im Libanon hatten sie dazu keine Chance, die wirtschaftliche Situation war prekär. Auch meine Großeltern, meine Eltern und meine Brüder emigrierten deshalb ins Ausland. Der Entschluss gerade meiner Brüder, nach Kanada auszuwandern, hat mich damals schwer getroffen. Er motivierte mich zu meinem ersten Roman „Septembervögel“.

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Von 1975 an zwangen der libanesische Bürgerkrieg und später dann der Libanon-Feldzug der israelischen Armee zahlreiche Menschen zur Emigration. Wieso blieben Sie trotz der jahrelangen Kämpfe in Beirut?

Was Emigration betrifft, so denke ich, dass ich unter einem Komplex leide, der sich durch die Erfahrungen meiner Kindheit ausgebildet hat: dass Familien nur durch Briefe miteinander in Kontakt bleiben. Das hat mich damals sehr bewegt und macht mich heute noch betroffen. Auch in meinen Werken spreche ich mich gegen Emigration aus. Erst im Jahr 1988 und nur für fünf Jahre ging ich gemeinsam mit meinem Mann und meinen Kindern nach Ägypten. Unser Haus im Libanon war mehrfach abgebrannt; zahlreiche meiner Manuskripte dem Feuer zum Opfer gefallen.

Ich habe selbst unter striktem Konservatismus gelitten, daher begann ich später darüber zu schreiben.
Emily Nasrallah , libanesische Schriftstellerin

In Ihrem Kinderbuch „Yawmiyyat Hirr“ („Kater Ziku lebt gefährlich“, 1998) schildern Sie aus der Perspektive einer Katze die Schrecken des Bürgerkriegs. Warum ist es Ihnen wichtig, ein junges Publikum anzusprechen?

Ich möchte libanesische Kinder und Jugendliche mit interessanten Geschichten dazu animieren, Bücher in ihrer Muttersprache zu lesen. Arabisch ist eine schwierige Sprache, besonders für Anfänger. Die Geschichte um Kater Ziku hat zudem einen wahren Hintergrund, über den ich berichten musste. Ich wollte zeigen, wie furchtbar es für Kinder sein kann, ihr Haustier zu verlieren.

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In Ihren Werken beschäftigen Sie sich immer wieder mit Lebensmodellen und Ausbruchsversuchen von Frauen. Sie selbst gingen mit 21 Jahren nach Beirut und studierten dort an der American University Erziehungswissenschaften. Gegen welche Widerstände hatten Sie damals zu kämpfen?

Dass ich meine Schulbildung fortsetzen konnte, hatte ich einem in den USA lebenden Onkel zu verdanken. In ländlichen Gebieten waren die Regeln sehr streng. Mädchen war es nicht erlaubt, eine höhere Schule besuchen. Anders in den Städten, deren weiterführende Schulen und Universitäten auch Frauen offenstanden. Ein weiteres Problem war die Finanzierung – darum musste ich mich selbst kümmern. Deshalb begann ich in Beirut als Lehrerin und Journalistin zu arbeiten. Ich hatte selbst unter dem strikten Konservatismus gelitten, daher begann ich später darüber zu schreiben: über Frauen, die nach freier Entfaltung streben, die sich aber aufgrund ihrer Erziehung nicht ohne Weiteres von den traditionellen Zwängen lösen können. Meine eigenen Erfahrungen prägen meine literarische Arbeit.

Was bedeutet Ihnen die Ehrung durch die Goethe-Medaille?

Die Auszeichnung ist äußerst wichtig für mich. Als ich vor etwa zehn Jahren einmal zu einer der Verleihungen nach Weimar reiste, hätte ich mir nicht träumen lassen, selbst einmal die Goethe-Medaille zu erhalten. Die Deutschen schätzen und honorieren meine Arbeit – dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Besonders verpflichtet fühle ich mich den Übersetzern. Sie haben meine Bücher dem deutschen Publikum zugänglich gemacht.

Interview: Christina Pfänder

© www.deutschland.de