Zum Hauptinhalt springen

Deutsch-Russischer Museumsdialog

Auch die große Cranach-Schau im Moskauer Puschkin-Museum zeigt, was der Deutsch-Russische Museumsdialog bereits erreicht hat.

Оливер Хайльваген, 19.04.2016

Eine Vergangenheit, die nicht vergehen will: Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vermissen Museen in Deutschland und Russland immer noch zahlreiche Kunstwerke aus ihren früheren Beständen. Und das, obwohl die Sowjetunion schon in den Jahren 1955 und 1958 rund 1,5 Millionen Objekte an die damalige DDR zurückgegeben hatte, darunter weltberühmte Meisterwerke wie Raffaels „Sixtinische Madonna“, das Prunkstück der Dresdener Gemäldegalerie, und Friese des antiken Pergamonaltars, Herzstück des nach ihm benannten Museums in Berlin. Allerdings kehrte damals nicht alles zurück. Rund eine Million Kunstobjekte blieben vor allem in Moskau und Leningrad, darunter der Schatz von Troja und der Goldfund aus Eberswalde, tausende Gemälde aus den preußischen Schlössern und fast der gesamte Bestand der Ostasiatischen Kunstsammlung in Berlin.

Dennoch werden die Kriegsverluste deutscher Museen auf etwa eine Million Objekte, die Verluste russischer Einrichtungen auf 1,1 Millionen geschätzt – von antiken Münzen bis zu großformatigen Gemälden. Ihr Verbleib ist unklar: ob sie beim Transport verloren gingen, bis heute in Depots und Privatsammlungen schlummern oder unrettbar zerstört wurden. Um solche Fragen zu klären, wurde 2005 der „Deutsch-Russische Museumsdialog“ (DRMD) ins Leben gerufen. „Er ist gegründet worden, um das Kapitel Beutekunst zu erforschen“, erläutert die Leiterin Britta Kaiser-Schuster: „Dabei kümmern wir uns vor allem um Museen auf beiden Seiten, die zuvor noch nicht miteinander in Kontakt waren.“

Das umfangreichste DRMD-Forschungsprojekt behandelt die „Kriegsverluste deutscher Museen“. Seit 2008 haben Wissenschaftler Archivmaterial über Trophäen-Brigaden der Roten Armee ausgewertet. Diese Einheiten konfiszierten in den ersten Nachkriegsmonaten systematisch Kunstwerke, um sie in die Sowjetunion zu transportieren – als Kompensation für Kulturgüter, die von den Nationalsozialisten geraubt oder zerstört worden waren. Dazu hat der DRMD eine Datenbank über 100 000 Objekte aufgebaut. Im Gegenzug untersuchte von 2012 bis 2014 das Projekt „Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“ deutsche Besatzung, Raub und Zerstörung, aber auch den Wiederaufbau der Museen: anhand von Fallstudien über vier Zarenschlösser bei St. Petersburg und die beiden Museumsstädte Nowgorod und Pskow.

Die russische Duma hat alle noch im Land befindlichen Objekte aus deutschen Museen 1998 zu Staatseigentum erklärt. Rückgaben sind danach nur noch in ganz wenigen Ausnahmefällen möglich. Nach Ansicht der Bundesregierung ist dieser Beschluss völkerrechtswidrig. Daher leihen russische Museen „kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter“, so die offizielle Bezeichnung, nicht nach Deutschland für Ausstellungen aus. Für sie „müsste Deutschland eine Rückgabegarantie erteilen, was einer Anerkennung der russischen Rechtsposition gleich käme. Dazu wird es aufgrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen nicht kommen“, erklärte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 2015 gegenüber der Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“: „Insofern ist es wichtig, die Objekte zumindest in Russland zu zeigen und das Schicksal der Sammlungen aufzuklären.“ Dem pflichtete Marina Loschak bei: „Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die in unsere Sammlung gelangten Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, so die seit 2013 amtierende Direktorin des Puschkin-Museums für Bildende Künste. „Das Wichtigste bleibt, dass die Werke wissenschaftlich bearbeitet und gesehen werden können.“ Für solche Kooperation auf Fachebene gibt es zahlreiche positive Beispiele. So bereiten das Puschkin-Museum und die Petersburger Eremitage gemeinsam mit dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte eine große Archäologie-Ausstellung über die Eisenzeit in Europa vor – es wäre die dritte derartige Epochen-Schau nach denjenigen über die Merowinger 2007 und die Bronzezeit 2013. Zudem plant die Berliner Antikensammlung mit der Eremitage und dem Moskauer Historischen Museum eine Sonderschau über antike Vasen.

Als Beispiel für deutsch-russische Forschungskooperationen nennt DRMD-Leiterin Britta Kaiser-Schuster fünf Renaissance-Plastiken von Donatello. Sie gehörten einst dem Berliner Bode-Museum. Vor Ende des Zweiten Weltkriegs hatte man sie mit vielen anderen Kunstwerken im Berliner Flakbunker Friedrichshain eingelagert, der im Mai 1945 ausbrannte. Doch fünf Donatello-Skulpturen waren aus den Flammen gerettet und nach Moskau geschickt worden, fanden DRMD-Mitarbeiter heraus: Aufgrund dieses Hinweises wurden sie im Depot des Puschkin-Museums gefunden. Nun soll ein deutsch-russisches Expertenteam die stark beschädigten Werke restaurieren.

Auch in der aktuellen, bis Mitte Mai 2016 im Puschkin-Museum und anschließend in der Petersburger Eremitage laufenden Ausstellung „Die Cranachs. Zwischen Renaissance und Manierismus“ zeigt sich, wie fruchtbar der Austausch ist. Das Ausstellungsprojekt ist in Zusammenarbeit mit der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha und mit Unterstützung des Auswärtigen Amts vorbereitet worden. Die Forschungsergebnisse des Deutsch-Russischen Museumsdialogs bildeten die Grundlage für den Aufbau der Beziehungen zwischen der Stiftung Schloss Friedenstein und dem Puschkin-Museum. Dort sind nun unter anderem neun wertvolle Leihgaben der Gothaer Cranach-Sammlung zu sehen. 17 der gezeigten Werke stammen aus kriegsbedingt nach Russland gekommenen Beständen. Sie fehlten bei der großen Gothaer Cranach-Ausstellung 2015, doch als Gegengabe wird das Puschkin-Museum 2017 hochkarätige Bilder französischer Klassizisten wie Lorrain, Poussin und David nach Gotha ausleihen. ▪

DIALOG DER BIBLIOTHEKEN

Anschließend an die guten Erfahrungen des Deutsch-Russischen Museumsdialogs begann im September 2009 der Deutsch-Russische Bibliotheksdialog, eine Initiative von Bibliotheken beider Länder. Sie soll den fachlichen Austausch unterstützen und zur Aufklärung über den Verbleib von kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern beitragen. Die Staatsbibliothek zu Berlin koordiniert die Beteiligung der deutschen Bibliotheken, federführend auf russischer Seite ist die Allrussische Staatliche M.-I.-Rudomino-Bibliothek für ausländische Literatur. Alle eineinhalb Jahre trifft sich ein Fachgremium abwechselnd in Deutschland und in Russland zu gemeinsamen Beratungen. Ende 2015 luden das Auswärtige Amt und das Goethe-Institut zudem Bibliotheksvertreter aus 18 Ländern, unter ihnen auch Jeanna Rudenko von der Rudomino-Bibliothek, zu einer Informationsreise nach Deutschland ein; Stationen waren unter anderem die Deutsche Nationalbibliothek und die Bibliothek des Auswärtigen Amts. „Bibliotheken sind nicht zuletzt auch Orte der Begegnung und des Meinungsaustauschs“, sagt Jeanna Rudenko. „Die Reise war eine unschätzbare Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen.“