Die neue Dimension des Journalismus
Mit Virtual Reality macht die Journalistin Julia Leeb Nachrichten erlebbar. Sie „beamt“ ihre Zuschauer in den Dschungel oder mitten in ein Flüchtlingslager.
Als Journalistin und Fotokünstlerin reist Julia Leeb vor allem in Kriegsgebiete und Staaten in politischen Umbruchsituationen, in Länder, die von Diktaturen und Gewalt geprägt sind. Ihre Arbeit führte sie schon nach Syrien, Afghanistan, Nordkorea und Libyen. Mit Virtual-Reality-Technik, kurz VR, vermittelt sie Zuschauern den Eindruck, mitten im Geschehen zu sein. Sie gibt Einblicke in Situationen, die sonst schwer vorstellbar sind.
Wer vor dem Interview eine kurze Einführung zu Virtual Reality braucht, kann sich hier ein VR-Erklärvideo anschauen, am besten auf dem Smartphone.
Frau Leeb, was möchten Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?
Durch Artikel und Reportagen gebe ich Menschen eine Stimme, die sie sonst nicht hätten. Mit VR/360° kann ich die „toten Winkel“ unserer Welt nicht nur beleuchten, sondern auch erlebbar machen. Mein langfristiges Ziel ist es, eine Datenbank über isolierte Gesellschaften aufzubauen. Dazu gehört auch eine VR-Enzyklopädie.
Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen VR/360°und klassischer Fotografie?
VR/360° unterscheidet sich vor allem durch den Erlebnischarakter und das Informationsreservoir. Es eröffnen sich neue Dimensionen der Berichterstattung. Bisher wurden Inhalte präsentiert und nicht erlebt. Zum anderen birgt der 360°-Raum gewaltige Informationsmengen, die gerade in Kriegsgebieten der Aufklärung dienen. Mich interessierte an Kriegsfotografien immer, was außerhalb des Bildausschnitts geschieht. VR/360° ist die Antwort.
Welche logistischen Herausforderungen müssen Sie für VR/360° meistern?
Die Datenmenge ist groß und die Postproduktion noch aufwändiger als bei herkömmlichen Filmen. Meine erste VR-Produktion habe ich 2015 bei einem Warlord im kongolesischen Dschungel umgesetzt. Weil es keinen Strom gab, mussten wir eine Autobatterie ausbauen und tagelang in den Dschungel schleppen. Heute ist die Technik schon weit fortgeschritten.
Beim Drehen erlebe ich zum Teil absurde Situationen. Oft möchte ich nicht mitgefilmt werden. Dann muss ich den Raum oder die Szenerie schnell verlassen, was in Krisengebieten natürlich auf große Skepsis stößt. Wer stellt schon seine Kameras mitten ins Geschehen und läuft weg? Einmal haben sich Marktverkäufer versteckt, weil sie meine Kamera für eine Bombe hielten.
Was ist Ihr neustes Projekt?
Für „Brave New Realities“ bin ich zu isolierten Orten gereist. Ich ermögliche den Nutzern, sich in ein südsudanesisches Flüchtlingslager, nach Weißrussland oder zu den Nubiern in den Sudan zu „beamen“ und sich selbst ein Bild vor Ort zu machen. Sie können sich mit einem ehemaligen Sektenmitglied der Colonia Dignidad in Chile an einen Tisch setzen oder in Transnistrien auf einen Markt gehen – alles in einer Mischform aus künstlich generierter VR-Welt und 360°-Dokumentarfilm.