75 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland
1950 als Provisorium gegründet, entwickelte sich der Verband zur festen Größe: Der Zentralrat vertritt jüdisches Leben, baut Brücken und stärkt die Demokratie.

Der Gründungsort war symbolträchtig: das Frankfurter „Philanthropin“, einst eine der bedeutendsten jüdischen Schulen des Landes. Dort bildeten Repräsentanten jüdischer Gemeinden am 19. Juli 1950 eine neue Interessenvertretung: den Zentralrat der Juden in Deutschland.
Fünf Jahre nach der Schoa sollte ein Dachverband zunächst Ordnung in einer Übergangslage schaffen. Denn anfangs verstanden sich viele Gemeinden noch als „Liquidationsgemeinden“ – viele Mitglieder wollten auswandern, vor allem in die USA und nach Israel. Der Historiker Julius Schoeps bringt diese Ausgangslage auf den Punkt: „Niemand hat in den Anfängen nach 1945 gedacht, dass es je wieder ein jüdisches Leben in Deutschland geben würde.“
Vom Provisorium zur Institution
Mit der Zeit veränderte sich der Auftrag. Aus dem Provisorium wuchs die politische, gesellschaftliche und religiöse Stimme der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik. Heute vereint der Zentralrat unterschiedliche religiöse Strömungen unter einem Dach und vertritt rund 105 Gemeinden mit etwa 100.000 Mitgliedern.
Mit der Wiedervereinigung 1990 wurden die fünf DDR-Verbände aufgenommen, 1999 zog die Verwaltung ins Leo-Baeck-Haus nach Berlin. Auch dies spiegelt die Normalisierung jüdischen Lebens in Deutschland wider – und die Rolle des Zentralrats als Brücke zwischen Gemeinden, Politik und Zivilgesellschaft.
Zu jüngeren Meilensteinen gehören der Staatsvertrag zur Jüdischen Militärseelsorge (2019) und die Ernennung Zsolt Ballas zum ersten Militärbundesrabbiner (2021). In Frankfurt entsteht die Jüdische Akademie, ein Ort für jüdisches Denken und öffentliche Debatten. Richtfest war 2024, die Eröffnung ist für Sommer 2026 geplant.

Auftrag: Schutz, Bildung, Dialog
Zentralrats-Präsident Josef Schuster fasst den Anspruch zusammen: „Wir sind seit 75 Jahren im Einsatz für Demokratie.“ Dies gelte nicht nur für die Jüdinnen und Juden, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.
Zum Jubiläum würdigten zahlreiche namhafte Persönlichkeiten die wichtige Rolle des Verbands. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte den Zentralrat „eine maßgebliche Stimme für Jüdinnen und Juden und ein Garant für demokratische Werte“ – und zeigte sich „zutiefst dankbar“ für die Entscheidung der Gründer, jüdisches Leben in Deutschland wieder aufzubauen. Bundeskanzler Friedrich Merz unterstrich die Verantwortung der Gesellschaft: „Deutschland muss ein Schutzraum sein für Jüdinnen und Juden. Sorgen wir dafür.“ Zudem gelte: „Jüdisches Leben ist ein Teil von uns.“
In der Praxis bedeutet das: Der Zentralrat ist Ansprech- und Verhandlungspartner der Politik, setzt Bildungsprogramme auf, baut Dialogformate aus – und ist zudem Anlaufstelle, wenn jüdisches Leben in Deutschland bedroht ist. Gleichzeitig schafft er Räume, in denen die Vielfalt jüdischer Identität sichtbar wird: es gibt orthodoxe, konservative und liberale Strömungen – im Verband überwiegend als sogenannte „Einheitsgemeinden“ organisiert.