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Zweifelnde Fußballnation

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar wird in Deutschland überschattet von Diskussionen über Menschenrechte und Ärger über die Fifa.

24.11.2022
Fans protestieren bei einem Bundesligaspiel in Dortmund.
Fans protestieren bei einem Bundesligaspiel in Dortmund. © picture alliance/dpa

Deutschland nennt sich selbst, wenn es um Sport geht, eine Fußballnation. Der Deutsche Fußball-Bund ist der größte Verband der Welt mit mehr als 7 Millionen Mitgliedern, 2,2 Millionen organisierten Spielerinnen und Spielern in mehr als 24.000 Vereinen. Fußball ist die beliebteste Sportart im Fernsehen, zumal wenn die Nationalmannschaften bei einer Weltmeisterschaft spielen. Doch dieses Mal, bei der Weltmeisterschaft der Männer in Katar, sieht das anders aus – jedenfalls zu Beginn der WM. Eine Umfrage unter Fans ergab, dass mehr als die Hälfte der Befragten vorhatte, „gar kein Spiel“ während des Turniers anzusehen. Auch wenn sich solche Zahlen im Laufe des Turniers und sicher auch abhängig vom Erfolg der deutschen Mannschaft verändern mögen, so etwas hat es in Deutschland noch nicht gegeben.

In einer weiteren Umfrage fanden es zwei Drittel eher oder klar falsch, dass die WM in Katar ausgetragen wird. Das deckt sich mit dem sichtbaren und lautstarken Protest vieler Fans in deutschen Stadien während der Bundesligaspiele vor der WM.

Menschrechtsdebatte überschattet Sport

Diese Stimmung hat viele Gründe, die am meisten diskutierten sind sicher die Menschenrechtslage, vor allem die Unterdrückung der LGBTQI+-Community und das gesetzliche Verbot der Homosexualität in Katar. Hinzu kommen die über lange Jahre fatalen Lebensbedingungen der Arbeiter auf den WM-Baustellen, die sich laut internationaler Arbeitsorganisation ILO allerdings zuletzt auch wegen des internationalen Drucks deutlich verbessert haben. Aber auch der ungewohnte Zeitpunkt im deutschen Winter ohne die beliebten sommerlichen Fanfeste und Public-Viewing-Events, der Überdruss am skandalgeschüttelten Weltfußballverband Fifa und die unsichere Weltlage, Energiekrise und Inflation tragen zur Zurückhaltung bei.

Außenministerin Annalena Baerbock spricht aus, was wahrscheinlich die meisten Menschen in Deutschland denken, wenn sie einerseits die überragende Bedeutung der Menschrechte unterstreicht und andererseits Verständnis für die Situation der Sportler äußert. „Unsere Welt basiert auf Menschenrechten und deswegen sind Menschenrechte unteilbar. Das gilt für Klimakonferenzen genauso wie für große Sportereignisse“, sagte die ehemalige Leistungssportlerin. Zugleich gelte, „dass Sportlerinnen und Sportler, wenn sie an solchen Ereignissen teilnehmen, nicht dafür bestraft werden dürfen, wenn politisch andere Dinge falsch laufen“, fügte die Ministerin hinzu. „Und deswegen drücke ich natürlich, und zwar nicht nur dem deutschen Team, sondern allen, die Daumen“, denn: „Ich bin ein großer Fußballfan.“ Auch das hat sie mit vielen Deutschen gemeinsam.

Nationaltorwart Neuer trägt die One-Love-Binde bei einem Testspiel.
Nationaltorwart Neuer trägt die One-Love-Binde bei einem Testspiel. © picture alliance/dpa

Unbeliebter Weltverband Fifa

Mitmachen und protestieren ist auch die Haltung des DFB. Das Flugzeug, in dem die Nationalmannschaft zur Vorbereitung in den benachbarten Oman flog, zierte die Botschaft „Diversity Wins“ („Vielfalt siegt“). Allerdings scheiterte der DFB mit sechs anderen europäischen Verbänden am Widerstand der Fifa und verzichtete darauf, seinen Mannschaftskapitän eine Armbinde mit dem Aufdruck „One Love“ tragen zu lassen. Den an sich unverfänglichen Spruch hatte die Fifa verboten und nicht nur mit Geldstrafen gedroht, sondern laut DFB mit „massiven“ Konsequenzen. Nationalspieler Leon Goretzka sagt dazu: „Wir als Mannschaft begrüßen jedes Zeichen für Vielfalt und gegen Diskriminierung. Wir wollen keine Gräben, sondern Brücken bauen. Symbole wie unsere Kapitänsbinde sollten genau diese Zeichen setzen und zum Dialog beitragen.“ Das ohnehin schlechte Ansehen der Fifa in Deutschland ist dadurch vollends ruiniert worden. So schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ von „Methoden wie in einem Gangsterfilm“, und einer der größten deutschen Handelskonzerne hat seine Werbung mit dem DFB umgehend eingestellt. Zwar steht auch die Vergabe der Fußball-WM 2006 nach Deutschland unter Korruptionsverdacht, aber die Vergabe der Weltmeisterschaften nach Russland 2018 und Katar 2022 hat auch diese damals traurige „Normalität“ der Korruption noch einmal unterboten.

Sonderlackierung für den Flug der Nationalmannschaft nach Oman.
Sonderlackierung für den Flug der Nationalmannschaft nach Oman. © picture alliance/dpa

DFB unterstützt Nepal

Immerhin hat sich der DFB seither einem durchaus schmerzhaften und oft chaotischen Akt der Selbstreinigung unterzogen – und er tritt entschieden für die Rechte von Minderheiten und ausgebeuteten Arbeitskräften ein. DFB-Präsident Bernd Neuendorf präsentierte in Katar ein Projekt, bei dem in den kommenden fünf Jahren jeweils 200.000 Euro aus der Stiftung der Nationalmannschaft einem SOS-Kinderdorf für Waisen in Nepal zugutekommen. Aus dem Land kommen viele Arbeiter nach Katar. Es gehe darum, eine neue Generation an Arbeitsmigranten zu verhindern und daher sollten die Verhältnisse der Menschen im Herkunftsland verbessert werden, sagte Neuendorf.

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