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Gesichter und 
Geschichten

Ihre Kreativität und ihr Engagement machen Deutschland reicher: Vier Frauen und Männer mit afrikanischen Wurzeln, die in Deutschland leben und arbeiten

06.10.2016

Yvette Mutumba

Manche ihrer Sätze wirken wie ein Paukenschlag. „Es gibt keine afrikanische Kunst“ ist einer davon. Die promovierte Kunsthistorikerin Yvette Mutumba leistet seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit. Ihr wichtigstes Anliegen: Menschen aus westlichen Kulturen zu zeigen, dass Afrika auf eine vielfältige und komplexe Kunstgeschichte zurückblickt. Anders als viele Menschen vielleicht meinten, beziehe sich diese Kunstgeschichte nicht auf traditionelle Holzskulpturen, sondern zum Beispiel auf zeitgenössische Kunst. Mutumba verbrachte prägende Momente ihrer frühen Kindheit im Kongo und studierte später an der Freien Universität Berlin Kunstgeschichte. Heute arbeitet sie als Forschungskustodin für Afrika am Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main. Und sie verhilft den Werken zeitgenössischer Künstler mit afrikanischem Bezug zu neuer Sichtbarkeit. 2013 gründete sie „Contemporary And“ (C&). Die Online-Plattform wirft einen umfassenden Blick auf die Kulturproduktion auf dem afrikanischen Kontinent. Mit ihrer Arbeit leistet sie einen wichtigen Beitrag, den westlichen Blick auf afrikanische Kunst zu schärfen. ▪

Clara Krug

Amadou Diallo

Che Guevara und seine Großmutter – das sind die beiden Personen, die Amadou Diallo einfallen, wenn man ihn fragt, wer seine Vorbilder sind. Dann lacht er erst mal ein bisschen und erzählt, dass er natürlich nicht die gleichen Ziele verfolge wie der marxistische Revolutionär aus Lateinamerika. Aber dass ihn dessen Energie und Kamfgeist immer beeindruckt haben. Noch viel wichtiger ist seine Großmutter, Aissatou Labé. Bei ihr hat der gebürtige Senegalese einen Großteil seiner Kindheit und Jugend verbracht. Aufgewachsen ist er in Dakar mit neun Geschwistern und seinen Eltern. Doch seitdem er zehn Jahre alt war, verbrachte er die Sommer immer im Dorf seiner Großmutter in der Region Kolda im Südwesten des Landes. Sie war die Hebamme für die Frauen im Dorf und bei allen anerkannte Schlichterin in Streitfällen.

„Meine Oma“, sagt Amadou Diallo – und „Oma“ klingt dabei fast ein bisschen rheinisch, was daran liegen mag, dass Amadou Diallo seit einigen Jahren in Bonn lebt – „meine Oma hat mir beigebracht: Wenn man sich anstrengt und bereit ist, für seine Ziele Opfer zu bringen, dann wird immer etwas Gutes daraus entstehen.“ Das hat ihn bis heute nicht losgelassen. Diallo hat gekämpft für seine Ziele und seine Träume. Der Sohn eines Schuhverkäufers hat es geschafft, zu studieren: Wirtschaftswissenschaften in Deutschland, Frankreich und den USA. Er spricht sechs Sprachen fließend und hat schließlich für den deutschen Logistikkonzern DHL erst in Marseille, später in Singapur gearbeitet. Seit 2011 ist der 52-Jährige CEO bei DHL Freight und damit zuständig für den internationalen Fracht- und Schienenverkehr – es geht um einen Umsatz von mehr als vier Milliarden Euro im Jahr. Und er ist verantwortlich für Afrika: Das Unternehmen ist dort in allen Ländern des Kontinents tätig; der überwiegende Teil der Mitarbeiter stammt aus Afrika. Er wünscht sich, dass mehr Investoren nach Afrika gehen, will Chancen vor allem für die Jugendlichen des Kontinents, hofft auf mehr Jobs für sie, mehr Bewusstsein in Europa für ihre Fähigkeiten und ihren Tatendrang. „Ich bin keine Ausnahme“, glaubt er, „es gibt viele Menschen in Afrika wie mich.“ Natürlich brauche man Ehrgeiz und Talent. „Aber auch Menschen, die an einen glauben und die einen fördern.“

Nach wie vor sind Biografien wie seine selten. In deutschen Führungsetagen trifft man auf wenige Männer und Frauen aus Afrika. „Das führt manchmal zu Hemmungen im Umgang mit mir“, beobachtet Amadou Diallo, „einfach, weil man es nicht kennt“. Er wünscht sich, dass gerade Manager die Gelegenheit nutzen, Afrika und seine Menschen durch Reisen kennenzulernen. Es gebe dort eine grundsätzlich optimistische, fröhliche Lebenseinstellung, erzählt er. Die deutsche Arbeitsmoral sagt ihm zu. Diallo will – und kann – seine Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Neben seiner Arbeit engagiert sich Diallo ehrenamtlich in mehreren NGOs – für Amref Health Germany zum Beispiel und für das Global Business School Network. Diallo träumt davon, dass eines Tages eine ganze Generation von Mädchen und Frauen im Senegal eine Schulausbildung erhält. 2011 wurde er für sein Engagement vom Wirtschaftsmagazin Africa Investor als Africa‘s Innovation Leader ausgezeichnet. Er habe auf seinem Weg viel Unterstützung erfahren – das möchte Diallo weitergeben. „Am Ende des Tages zählt eben nicht, wie viele Millioen man auf dem Konto hat“, ist Diallo überzeugt, „sondern, dass unsere Kinder und Enkel in einer besseren und sichereren Welt leben.“▪

Natascha Gillenberg

Ntagahoraho Burihabwa

Sein Vorname bedeutet auf Kirundi „Alles ändert sich“. Für Ntagahoraho Burihabwa könnte das auch das Motto seines Lebens sein. Er hat Vorurteile und Klischees widerlegt, ist in verschiedene Rollen geschlüpft, hat in unterschiedlichen Welten gelebt. Er hat selbst zu spüren bekommen, was Diskriminierung bedeutet – und wie man sich dagegen wehren kann. Aber eines ist trotzdem immer gleich geblieben: Burihabwa ist gerne Deutscher.

Dabei beginnt er sein Leben als Staatenloser. Burihabwa wird 1981 im nordrhein-westfälischen Siegen geboren, seine Eltern stammen aus Burundi. Der Weg zurück in die krisengeschüttelte Heimat ist den Burihabwas versperrt, die burundische Staatsbürgerschaft entzogen. Der Vater arbeitet als Ingenieur in Siegen. Einen deutschen Pass bekommen die Burihabwas erst später. Da sind sie schon aus Deutschland ausgereist. Ntagahoraho wächst in Kenia auf. In Nairobi besucht Gaho, wie ihn Freunde nennen, die Deutsche Schule. „Ich habe mich damals schon als Deutscher gefühlt und war stolz darauf“, erzählt Burihabwa. Erst als die Familie Anfang der 1990er-Jahre erneut Deutschland besucht, merkt er, dass er anders ist als die meisten anderen Deutschen. Die fremdenfeindlichen Anschläge von Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen halten damals die gerade erst wiedervereinte Republik in Atem. Burihabwa erlebt auch selbst Anfeindungen, er fühlt sich wie vor den Kopf gestoßen.

Aber er lässt sich nicht entmutigen. Nach dem Abitur meldet er sich freiwillig zur Bundeswehr. Viele seiner Bekannten raten ihm von seinen Plänen ab. Aber Burihabwa hört nicht auf sie. Anfang September 2000 tritt er seinen Wehrdienst im rheinland-pfälzischen Montabaur an. Burihabwa ist zunächst misstrauisch, wählt sich das Bett in der Kaserne aus, von dem er glaubt, die Sechsmannstube am besten überblicken zu können.

Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe erlebt er jedoch kaum, er fühlt sich aufgehoben bei der Bundeswehr. Er studiert Pädagogik und Geschichtswissenschaft, macht seinen Abschluss mit Bestnoten und wird später Gruppenleiter an der Bundeswehruniversität Hamburg. Aber: Wie in Deutschland über Integration geredet wird, ärgert ihn. Im Jahr 2010 wird der Volkswirt Thilo Sarrazin mit der Behauptung bekannt, Migranten in Deutschland seien mehrheitlich ungebildet und arbeitslos. Als Reaktion auf Sarrazins populistische Thesen gründet Burihabwa den Verein „Deutscher Soldat e.V“, in dem sich Soldaten mit Migrationshintergrund organisieren. Die 120 Vereinsmitglieder setzen sich unter anderem dafür ein, dass derjenige als Deutscher gilt, der sich als solcher fühlt. Inzwischen hat Burihabwa die Bundeswehr verlassen, bleibt ihr aber als Reserveoffizier verbunden. Auch in seinem neuen Beruf beschäftigen ihn Fragen von Krieg und Frieden. Seit 2015 arbeitet er in New York bei den Vereinten Nationen in der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze. ▪

Julia Egleder

Musa Bala Darboe

Als Musa Bala Darboe 2010 in Deutschland ankam, dachte er keine Sekunde daran, längere Zeit zu bleiben. Der Jugendliche war alleine aus Gambia geflüchtet, weil er sich für die Menschenrechte in seinem Land stark gemacht hatte und deswegen verfolgt wurde. Er vermisste seine Familie und Freunde. Und im Alltag fiel es ihm schwer, sich zu verständigen, weil er mit Englisch oft nicht weit kam. „Ich musste wieder bei Null anfangen“, erzählt Darboe. „Am Anfang dachte ich deshalb: Dieses Land ist nichts für mich.“

Heute denkt er anders darüber: „Meine Perspektive sehe ich hier in Deutschland.“ Das liegt zum einen an der Unterstützung, die er erhielt – zum Beispiel von Mitarbeitern beim Jugendamt Düsseldorf, beim Psychosozialen Zentrum Düsseldorf oder bei der Hans-Böckler-Stiftung. Und es liegt auch daran, dass er hart arbeitete. Er lernte innerhalb weniger Monate Deutsch, ging kurze Zeit später auf ein Gymnasium. Schon drei Jahre nach seiner Ankunft hatte er das Fachabitur in der Tasche. Nach einem Jahrespraktikum bei der Zukunftsstiftung Entwicklung der GLS Bank studiert er nun Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Informatik.

Darboe ist ein Mensch, der sein Leben selbst in die Hand nimmt. Und so verwundert es nicht, dass er sich nach dem Studium selbständig machen möchte. Bereits jetzt tauscht er sich mit anderen Gründern darüber aus, worauf man beim Start in die Selbständigkeit achten muss.

Der Kerngedanke für sein zukünftiges Unternehmen: Er möchte anderen ermöglichen, ihre Fähigkeiten bestmöglich einzubringen. Faire Arbeitsbedingungen statt maximaler Profit, das ist sein Credo. Die Potenziale von Menschen zu fördern – darum geht es Darboe auch bei seiner ehrenamtlichen Arbeit für die Organisation „Jugendliche ohne Grenzen“. Seit 2014 engagiert er sich bei dem bundesweiten Zusammenschluss jugendlicher Flüchtlinge. „Uns geht es darum, Flüchtlingen eine eigene Stimme zu geben, die sie auch bei Diskussionen, die sie betreffen, einbringen können.“ Seine Mitstreiter und er nehmen deshalb an Veranstaltungen teil, bei denen es um Themen wie Migration, Asyl oder Flucht geht. So diskutierte Darboe zum Beispiel vor Kurzem bei einer Veranstaltung mit anderen Teilnehmern über die Gesundheitskarte für Flüchtlinge.

Damit Geflüchteten die Teilhabe am Leben in Deutschland leichter fällt, organisiert „Jugendliche ohne Grenzen“ auch Deutschkurse. Und um Brücken zwischen ihnen und anderen Menschen in Deutschland zu bauen, veranstaltet die Organisation beispielsweise Nachbarschaftstreffen mit Rezepten und Speisen aus ihrer Heimat. „Wir wollen dabei auch Vorurteile abbauen und den Menschen klar machen: Wir wollen genauso wie sie arbeiten, Steuern zahlen und die Gesellschaft mitgestalten.“ Mit seinem Engagement und seinen Ideen zeigt Musa Bala Darboe, wie das aussehen kann. ▪

Hendrik Bensch