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Grenzenloser Erfolg

Neun Menschen, die in der ehemaligen DDR aufwuchsen und im wiedervereinten Deutschland Karriere machten.

Franz Josef Görtz, 19.06.2015

Jan Josef Liefers & Anna Loos

AUF VIELEN BÜHNEN ZUHAUSE

Weil Jan Josef Liefers als Wehrdienstverweigerer in der DDR kein Abitur machen durfte, begann er eine Lehre als Tischler und ging in Berlin auf die Schauspielschule. Er wurde 1987 festes Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin. Drei Jahre später, im Jahr der Deutschen Wiedervereinigung, wechselte der 1964 in Dresden geborene Schauspieler ans Thalia Theater Hamburg und machte sich schnell einem gesamtdeutschen Publikum bekannt. Den Durchbruch auf der Kino­leinwand schaffte er 1997 mit Helmut Dietls „Rossini“. Am 4. November 1989 hatte Liefers aber bereits auf dem Berliner Alexanderplatz die ­politische Weltbühne betreten: Er ergriff das Mikrofon und stimmte die Demonstranten auf das bevorstehende Ende der DDR ein.

Das Lebensgefühl in den letzten Jahren der DDR umschreibt 
Liefers gern als „Leidenschaft der Tristesse“, wie Tamara Danz, Frontfrau der populären Band „Silly“, sie zum Ausdruck brachte. Nachdem Danz 1996 an Brustkrebs gestorben war, übernahm die Schauspielerin und Sängerin Anna Loos, seit 2004 mit Liefers verheiratet, deren Job – und verhalf „Silly“ zum Comeback. Loos, 1970 in Brandenburg geboren, hatte ihre Karriere 1993 im Hamburger Schmidt Theater gestartet. Gemeinsam standen Liefers und Loos schon oft vor der Kamera – unter anderem für den Fernsehfilm „Nacht über Berlin – Der Reichstagsbrand“ aus dem Jahr 2013.

Maybrit Illner

SEKUNDANTIN MIT CHARME

Warum Maybrit Illner einen Teil ihrer Jugend während der bewegten 1980-er Jahre im „roten Kloster“ zu Leipzig verbracht hat? Solchen Fragen begegnet die 1965 in Ost-Berlin geborene Talkmasterin freundlich und mit geduldigem Verständnis dafür, dass ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik solche Chiffren dem öffentlichen Gedächtnis kaum noch vertraut sind. Gemeint war damit die 
„Sektion Journalistik“ an der Leipziger Karl-Marx-Universität, damals die einzige akademische Ausbildungsstätte für Journalisten in der DDR.

Dort hat Maybrit Illner, wie fast alle DDR-Kinder dieser Jahrgänge zuvor Mitglied des kommunistischen Jugendverbands Freie Deutsche Jugend (FDJ), nach einem Volontariat in der Sportredaktion des DDR-Fernsehens Journalistik studiert – obwohl ihre Eltern es lieber gesehen hätten, wenn die Tochter sich für Jura oder Medizin eingeschrieben hätte. Doch die selbstbewusste junge Frau blieb beim Fernsehen, wechselte im Wendejahr 1989 zunächst in die Auslandsredaktion des Deutschen Fernsehfunks (DFF), 1992 in die Politische Redaktion des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) und ein halbes Jahr danach zum westdeutschen Sender Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) – zunächst als Moderatorin, dann als Leiterin des Morgenmagazins und des Polittalks „Maybrit Illner“. „Gespitzte Lippen“ und „burschikosen Charme“ haben der „Dienstältesten ihres Metiers“ die Printmedien nachgesagt, nachdem sie in allen vier bisher die Bundestagswahlen vorbereitenden „TV-Kanzlerduellen“ unter den Sekundanten war.

Neo Rauch

DER AUS DER KÄLTE KAM

Wem nichts einfällt zu Neo Rauch, der rühmt ihn 
großzügig als „einen der bedeutendsten Maler seiner Generation“. Die umfassend aufgeklärten unter den deutschen Feuilletonisten nennen seine Bilder „naturalistisch“, wenn nicht „nahezu fotorealistisch“, entdecken darin „einen Hang zum Informellen“, gern auch ein „Faible für Cartoons und den Surrealismus“. Die Nostalgiker unter den Kunstsachverständigen dagegen feiern mit dem 1960 in Leipzig geborenen Künstler gern ein Wiedersehen mit dem „Agitprop-Stil der alten DDR-Staatskunst“. Offenbar nicht völlig frei von Bezügen zu Rauchs Herkunft ist das Aperçu seiner Entdeckerin ­Roberta Smith, die ihn 1999 in der New York Times als den „Maler, der aus der Kälte kam“ international ­bekanntmachte.

Thomas Brussig

IN VERKEHRTEN WELTEN

Die DDR lasse sich gut erzählen, hat der 1964 in 
Ost-Berlin geborene Schriftsteller Thomas Brussig 
einmal gesagt. Und zwar kontrafaktisch – gegen die 
Realitäten, im Widerspruch zum Ablauf der tatsächlichen Ereignisse. Er stellt den überschaubar real existierenden Sozialismus und die eigene reale Existenz auf den Kopf und erfindet sich und die Welt drumherum einfach neu. Ein Satiriker, der nicht alles, aber vieles besser zu wissen vorgibt und aus der historischen Wahrheit witzige Funken schlägt. Wer das zu ernst nimmt, sei mit dem Titel seines jüngsten Buchs gewarnt: 
„Das gibt’s in keinem Russenfilm“.

Kathrin Menges

EINE FRAU FÜR MEHR VIELFALT

Der Düsseldorfer Klebstoff- und Waschmittelhersteller Henkel besteht seit 1876 und ist ein Unternehmen, wie es in Deutschland kein zweites gibt. Bei ihm arbeiten fast 50 000 Angestellte, annähernd ein Drittel der 9000 übertariflich bezahlten Mitarbeiter ist weiblich – ein seltener Sonderfall in den Chefetagen deutscher Industrieunternehmen. In der Managementspitze, also in den obersten drei Führungsetagen, sollen es in naher Zukunft an die 20 Prozent werden, sagt Kathrin Menges. Seit dem 1. Oktober 2011 gehört sie zum Vorstand des Konzerns – als erste Frau im obersten Führungsgremium seit der Firmengründung vor 139 Jahren.

Kathrin Menges, 1964 im brandenburgischen Pritzwalk geboren, hat an der Universität Potsdam Erziehungswissenschaften studiert und arbeitet seit 1999 bei 
Henkel. Zunächst für dessen Kosmetik-Marke Schwarzkopf in Hamburg. 2005 wechselte sie in die Unternehmenszentrale nach Düsseldorf und stieg 2009 zur Personalchefin auf.

Karamba Diaby

ZWISCHEN LAUBE UND NATION

Mit dem 1961 in Senegal geborenen Karamba Diaby ist 2013 der erste Subsahara-Afrikaner in den Deutschen Bundestag eingezogen. Diaby hatte zunächst die Universität in Dakar besucht und war Mitte der achtziger Jahre mit einem Stipendium in die DDR gekommen, um an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Chemie zu studieren.

Seit 14 Jahren ist er deutscher Staatsbürger, seit 2008 besitzt er ein Parteibuch der Sozialdemokraten, seit 2009 ist er Mitglied des Stadtrats in Halle/Saale. An der dortigen Universität hat Diaby dann auch promoviert – über die Schadstoffbelastung von Kleingärten übrigens. Kein Wunder also, dass er für seinen persönlichen Wahlkampf 2013 gemeinsam mit einigen Parteifreunden und etlichen Helfern durch die ihm bestens vertraute Schrebergarten-Szene im Ort zog und 
Dutzende von Gesprächen führte – gewissermaßen von Nachbar zu Nachbar und über den Gartenzaun hinweg. So dass sehr bald eine neue und überaus einprägsame Wortschöpfung Eingang in das Vokabular deutscher Politiker fand: der Begriff vom „Laube-zu-Laube-Wahlkampf“ nämlich.

Toni Kroos

DIE WELT ZU FÜSSEN

Toni Kroos sei „fußballerisch das Beste, was ich seit Jahren im Nachwuchsbereich gesehen habe“, hat sich sein ehemaliger Vereinskollege Oliver Kahn 2007 vernehmen lassen. Der gebürtige Greifswalder Kroos, der 2006 von der Jugend des FC Hansa Rostock zum FC Bayern München gewechselt war, wurde mit 16 Jahren der jüngste Bundes­ligadebütant in der Vereinsgeschichte des Rekordmeisters: Rasch beförderte die Sportpresse das „Wunderkind“ zum „Leistungsträger“ und kürte ihn zweimal hintereinander zum „Fußballer des Monats“.

Bemerkenswert ist seine Karriere allemal: 2014 gewann er, heute bei Real Madrid unter Vertrag, mit der Nationalmannschaft den Weltmeistertitel. Als erster und einziger deutscher Fußballer, der in der DDR geboren wurde – am 4. Januar 1990 nämlich. Auf dem Gymnasium stach Kroos nicht hervor – zumindest nicht als Musterschüler. Aber als ein fairer Sportsfreund. Auf dem Platz spielte er Fußball mit nackten Füßen, damit den Kameraden zumindest eine theoretische Chance blieb.

Leander Haußmann

UNSTETER GESCHICHTENERZÄHLER

Leander Haußmann sei ein Nachfahre des deutschen Dichters ­Friedrich Hölderlin, glauben einzelne Quellen zu wissen. Die meisten ­erwähnen nur, dass er der Sohn eines Schauspielers und einer ­Kostümbildnerin ist und seine Großmutter väterlicherseits in erster Ehe mit Hermann Hesse verheiratet gewesen sei, während einer ­seiner Urgroßväter sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts als ­Fabrikant des ­legendären Schweizer Armeemessers einen Namen gemacht habe. Verbürgt ist jedenfalls, dass Haußmann 1959 in ­Quedlinburg im Harz ­geboren wurde, nach dem Abitur eine Druckerlehre absolviert und von 1982 bis 1986 an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Ost-Berlin ­studiert hat.

Seine Arbeit als Schauspieler und Regisseur – unter anderem am Nationaltheater Weimar und am Berliner Schillertheater – krönte die Intendanz am Bochumer Schauspielhaus von 1995 bis 2000, auch wenn sein Vertrag dort wegen Zuschauerschwunds und nach einer heftigen Kantinenprügelei nicht verlängert wurde. 
Einen großen Triumph feierte Haußmann dann 1999 mit seinem Kinodebüt 
„Sonnenallee“, einer Komödie über die ostdeutsche Jugend in den 1970er Jahren.