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Reformationstag: Der Unbeugsame

Martin Luther war Spalter und Erneuerer. Was die Reformation verändert hat und wie sie bis heute wirkt.

Ralf Zerback, 25.09.2023
Martin Luther
Martin Luther © dpa/Peter Endig

Zum Beispiel die Sache mit dem Apfelbäumchen. „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll Martin Luther gesagt haben. Nur eine von vielen Legenden um den Reformator, die trotz mangelnder Belege mit großer Freude weitergetragen werden. Letztlich ist es wohl auch egal, ob der naturbegeisterte Luther diese Worte tatsächlich gebraucht hat. Wichtig ist, dass sie zeigen, wie sehr er die deutsche Gesellschaft ­geprägt hat. Forscher vermuten, dass dem Reformator der Ausspruch erst nach dem Zweiten Weltkrieg zugeschrieben wurde. Als die Menschen zwischen Zuversicht und Hoffnungslosigkeit lebten, fühlten sie sich an Luther erinnert. 500 Jahre nach der Veröffentlichung seiner 95 Thesen ist es wieder an der Zeit, sich mit ihm zu beschäftigen und sich vor Augen zu führen, wie stark sein Leben und Handeln bis heute nachwirken.

Wer war Martin Luther?

Martin Luther wurde 1483 in Eisleben geboren. 1505 trat er in das Augustinerkloster in Erfurt ein. Luther war ein gläubiger Christ und ein intellektuell versierter Theologe. Zunehmend zweifelte er an den Lehren der Kirche. Warum konnte man für Geld sein Seelenheil erkaufen? Warum zählte das Wort des Papstes mehr als das der Bibel? 1517, inzwischen Professor für Theologie, veröffentlichte Luther seine kirchenkritischen 95 Thesen. Anfang 1521 wurde er aus der Kirche ausgestoßen und sollte auf einem Reichstag in Worms vor Kaiser Karl V. seine Lehren widerrufen. Luther beugte sich nicht. Damals war er – auch dank der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern – bereits Bestsellerautor. Er versteckte sich auf der Wartburg und übersetzte das Neue Testament ins Deutsche. Volk und viele Fürsten übernahmen seine Lehre. Ein spezieller Punkt bei Luther war das Verhältnis zu den Juden: Zunächst hoffte er, sie „bekehren“ zu können, später wurde er zum giftigen Judenhasser. 1525 heiratete Luther die Nonne Katharina von Bora. Er starb 1546 in Eisleben.

Was bedeutet Reformation?

Die Reformation war eine Bewegung zur Erneuerung der Kirche, die fast ganz Europa erfasste und die westliche Christenheit in Protestanten und Katholiken spaltete. Es war ein vielfältiger Aufbruch: Während in Deutschland, Skandinavien und dem Baltikum Luther und seine Lehre dominierten, waren es in anderen Ländern Reformatoren wie Johannes Calvin (Frankreich/Schweiz) und Ulrich Zwingli (Schweiz), aus deren Ideen die sogenannte reformierte Konfession hervorging. In England entstand mit dem Anglikanismus eine protestantische Nationalkirche. Allen Protestanten gemeinsam waren die Ablehnung der damaligen Papstkirche, die starke Orientierung an der Bibel und die „Gnadenlehre“: Der Mensch erlangt sein Heil durch Gottes Gnade, nicht durch gute Werke. Ein Meilenstein für die Reformation war die Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers 1517. Darin griff er vor allem das Geschäft der Kirche mit Ablassbriefen an. Statt einen Sündenerlass gegen Geld zu erlangen, solle der Gläubige innere Reue zeigen, forderte Luther. In der Folgezeit spitzte sich der Konflikt zwischen der alten Kirche und den Erneuerern zu. Am Ende spalteten sich neue Konfessionen vom Katholizismus ab – durch Europa verlief fortan eine Konfessionsgrenze. Diese Teilung hat den Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 hervorgerufen und zwei getrennte Heiratskreise etabliert, denn Ehen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen waren selten. Einige Historiker und Soziologen meinen, dass die protestantische Mentalität die moderne Wirtschaftsdynamik beförderte und daher das katholische Europa zurückfiel.

Was ist der Unterschied zum Katholizismus?

Die Protestanten wenden sich gegen die traditionelle Amtskirche. Dabei wird nicht nur die katholische Hierarchie mit dem Papst an der Spitze angegriffen. Vielmehr gehen Protestanten vom „Priestertum aller Gläubigen“ aus, das heißt, dass jeder Getaufte Gott unmittelbar verbunden ist und keines Beistands durch einen Priester bedarf. Der Katholizismus hat im 20. Jahrhundert diese Lehre teilweise übernommen. Die höchste Autorität ist für den Protestanten das Wort Jesu, wie es in der Bibel zu erfahren ist, während im Katholizismus noch lange Papst und Konzilien wichtiger waren. Ein weiterer Unterschied ist die Zahl der Sakramente. In der katholischen Kirche sind es sieben: Taufe, Firmung, Eucharistie (Abendmahl), Bußsakrament, Krankensalbung, Weihesakrament und Ehe, bei den Protestanten im Wesentlichen nur noch Taufe und Eucharistie. Die Bedeutung des Abendmahls ist unterschiedlich: Bei den Katholiken verwandeln sich Brot und Wein in Leib und Blut Christi, bei den Lutheranern ist Jesus lediglich anwesend. Bei den Reformierten ist das Abendmahl nur noch ein Gedenken an den Opfertod Christi. 

Wie hat die Reformation Deutschland verändert?

Die Reformation hat in Deutschland in zweierlei Hinsicht gewirkt: Zum einen wurde das Land in zwei konfessionelle Lager gespalten, während sich in vielen anderen Ländern eine Konfession mehrheitlich durchsetzte. Diese Trennung zwischen Protestanten und Katholiken hat die deutsche Geschichte lange bestimmt. Zweitens hatte der Protestantismus durch sein Denken und Handeln erhebliche Folgewirkungen. So hat Luthers Übersetzung der Bibel zu einer gemeinsamen Hochsprache beigetragen. Zugleich hat sie die Lesekultur in den protestantischen Regionen gefördert. Da die moderne Bildung vor allem eine Sache des Lesens war, hatten die protestantischen Gegenden einen Bildungsvorsprung, der bis ins 20. Jahrhundert zu spüren war. Anders sah es in der bildenden Kunst aus. Die katholische Religion war eine Bilderkultur, während in den lutherischen Kirchen Bilder eine geringere Bedeutung hatten und in der reformierten Kirche ganz verschwanden. In der Musik hat Luther starke Akzente gesetzt, da er selbst Kirchenlieder schrieb und großartige protestantische Choräle komponiert wurden. Ein eher kompliziertes Kapitel ist der Zusammenhang von Protes­tantismus und (politischer) Freiheit. Das meistgedruckte Werk im Deutschland des 16. Jahrhunderts war Luthers „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Darin geht es vor allem um die religiöse Freiheit. Als sich die deutschen Bauern zum politischen Freiheitskampf erhoben und sich auf Luther beriefen, verurteilte dieser ihr Handeln scharf. Dennoch führen von Luther und anderen Reformatoren Linien zur modernen politischen Freiheit. Mit der Bibel als höchster Autorität hatten sie das Papsttum angegriffen, doch ließen sich damit auch weltliche Herrscher attackieren. Andererseits hat sich die lutherische Kirche in enger Verbundenheit mit den Landesherrschern entwickelt, sodass bisweilen eine angebliche deutsche Untertanenmentalität mit Luther in Verbindung gebracht wird.

Wie hat die Reformation in der Welt gewirkt?

Die Reformation hat zunächst das nördliche Europa geprägt, während der Süden sowie Polen und Litauen vorwiegend katholisch blieben. Von Europa aus wurde der Protestantismus in die Welt getragen. Rund 400 Millionen Menschen weltweit gehören heute zu protestantischen Kirchen. Die Vereinigten Staaten wurden sehr stark von unterschiedlichen evangelischen Richtungen wie Baptisten, Adventisten oder Quäkern geprägt. Das bestimmte den gesellschaftlichen Alltag, aber auch die Wirtschaft. Radikale Protestanten wie die Evangelikalen fordern dort heute eine extrem konservative Politik. Die Evangelikalen sind gegenwärtig auch in den katholisch dominierten Ländern Südamerikas aktiv. In vielen Ländern in Subsahara-Afrika gibt es eine große protestantische Bevölkerung, die mit der europäischen Kolonialbewegung ihre Anfänge nahm. Das gilt etwa für den Süden des Kontinents mit Südafrika und Simbabwe, den Osten mit Tansania und Uganda und den Westen mit Ghana. In Asien gibt es zudem vergleichsweise viele Protestanten in Südkorea.

 

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