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Klein-Tokyo am Rhein

In Düsseldorf lebt die größte japanische Community auf dem europäischen Kontinent.

12.11.2012
© Jonas Ratermann

Asuka hilft nach Kräften. Völlig in ihrer Arbeit versunken, kniet das dreijährige Mädchen neben dem Eimer und wringt einen Lappen aus. Ihre Mutter hat ihr soeben gezeigt, wie das geht. Um Asuka herum herrscht derweil emsige Aktivität. Mehrere Erwachsene polieren Türen und Paneele, ein Staubsauger summt. Am bevorstehenden Wochenende wird hier, im buddhistischen Tempel des EKŌ-Hauses, eine wichtige Versammlung stattfinden. Alles muss also glänzen.

Das Gebetshaus und die angrenzenden Gebäude liegen eingebettet in einem stilechten japanischen Garten, doch die Anlage selbst befindet sich in einem ganz anderen Umfeld. Denn dies ist nicht etwa Kyoto oder Osaka, sondern Düsseldorf in Deutschland, Stadtteil Niederkassel, am linken Ufer des Rheins. Sehr weit weg vom Westpazifik. Das Areal gehört dem örtlichen japanischen Kulturverein, der Tempel ist dem Shin-Buddhismus geweiht. Eine Insel gleich in mehrfachem Sinne. Über den Bäumen des Gartens spielt eine Elster mit dem Wind. Nur hundert Meter weiter rast der Verkehr über eine vierspurige Schnellstraße.

Es sind allerdings nicht nur Japaner, die hier heute Großputz machen. Auch ein deutscher Buddhist, ein hagerer Mann mit freundlichen Augen, beteiligt sich an die Arbeiten. „Wir leisten Samu“, erklärt Volker Beeh. „Dienst am Tempel und für die Allgemeinheit.“ Beeh hat sieben Jahre lang in Japan gelebt und ist Mitglied im EKŌ-Vereinsvorstand. An Freitagen leitet er zudem die Treffen einer Gruppe Zen-Buddhisten. Shin- und Zen-Buddhisten sind sich nicht immer grün, so ähnlich wie Katholiken und Protestanten, sagt Beeh. Aber hier im EKŌ-Haus gebe es solche Animositäten nicht. Wahrhaftig ein Ort des Friedens und der Harmonie.

Neben dem Tempel und dem Garten umfassen die EKŌ-Einrichtungen auch ein Gästehaus, Veranstaltungsräume, einen internationalen Kindergarten und eine reich ausgestattete Bibliothek, und bilden so eines der wichtigsten Zentren japanischer Kultur in Europa. Dasselbe gilt, in weiter gefasstem Sinne, für Düsseldorf. Rund 6500 Japaner leben zurzeit in der 590000 Einwohner-Metropole am Rhein. Zusätzlich haben ungefähr 1600 japanische Staatsbürger in umliegenden Gemeinden ihren Wohnsitz. Die Geschichte dieser Kolonie reicht zurück bis in die Fünfziger Jahre. Damals, zu Beginn des deutschen „Wirtschaftswunders“, entstanden verstärkt Handelsbeziehungen zwischen Japan und der noch jungen Bundesrepublik. Rheinland und Ruhrgebiet waren das industrielle Herz Westdeutschlands. Mitsubishi eröffnete bereits 1955 eine Niederlassung in Düsseldorf, weitere japanische Firmen folgten bald. Heute sind in der Region etwa 500 solcher Unternehmen aktiv. Und schicken viele ihrer Mitarbeiter hierher.

Ein Großteil der japanischen Familien bleibt gleichwohl nur ein paar Jahre in Deutschland. Die spätere Rückkehr in die Heimat bereitete den Kindern früher oft Schwierigkeiten. Sie fanden sich nur schwer wieder im Schulsystem zurecht. Um diesem Problem entgegen zu treten wurde 1973, nur zwei Straßen vom EKŌ-Haus entfernt, die Japanische Internationale Schule (JISD) Düsseldorf gebaut. „Die Schule an sich hat in Japan einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland“, erklärt Alf Simanowski, der an der JISD Sprachen unterrichtet und hier gleichzeitig als Referent für Internationale Austauschaktivitäten arbeitet. „Schule ist Mittelpunkt des Lebens, nicht nur für die Schüler, sondern auch für die Lehrer.“ Die japanischen Eltern sind ebenfalls stark mit der Schule verbunden, betont Simanowski. Besonders die Mütter. Somit erfüllt die Lehranstalt auch eine zentrale soziale Funktion für die Gemeinschaft. Sprachlehrer Simanowski bedauert allerdings, dass viele japanische Schüler hierzulande nur rudimentär Deutsch lernen. „Die kulturelle Offenheit ist nicht so gegeben, wie das vielleicht wünschenswert wäre.“

Niederkassel ist eines der beliebtesten Wohnviertel der japanischen Gäste, doch nicht nur dort prägen sie Düsseldorf mit. Weiter östlich, im Stadtzentrum, an der Immermannstraße und in den angrenzenden Häuserblocks, trifft man auf Karaoke-Bars, japanische Restaurants, japanische Läden, japanische Hotels und japanische Reisebüros. Die Düsseldorfer nennen dieses Viertel nahe des Hauptbahnhofs auch „Klein-Tokio“. Mittendrin: der „Shochiku Supermarkt“ mit seinem riesigen Angebot an typisch ostasiatischen Lebensmitteln und Spezialitäten. In einer Kühltheke glänzen zartrote Thunfischfilets, sortiert nach Fettgehalt, daneben Steinbutt, Wolfsbarsch, marinierter Aal. Circa 80 Prozent der Kundschaft ist japanisch, berichtet Richard Jansen. Die Käufer schätzen die hohe Qualität der Waren. Direktimport eben. „Wir bekommen eigene Container“, sagt Jansen stolz. Er selbst ist gelernter Jurist, arbeitet jedoch im „Shochiku“ als Assistent der Geschäftsführung. Mit Begeisterung. „Ich mag die Herzlichkeit der Menschen und das Essen. Wir essen immer zusammen, die Atmosphäre ist sehr familiär.“

Inhaberin des Geschäfts ist Frau Park. Die elegante koreanische Dame hat den Supermarkt vor 30 Jahren an diesem Standort gegründet und ist noch immer jeden Tag präsent. Ansonsten arbeiten im „Shochiku“ Menschen unterschiedlichster Nationalitäten zusammen. Lagerchef Maso Hara ist Japaner und kam in den Neunzigern nach Düsseldorf, die Geburtsstadt seiner Ehefrau. Hara hat sie ursprünglich in New York kennengelernt. Er war dort für ein Fischhandelsunternehmen tätig, seine Frau Touristin. Heute hat das Paar zwei erwachsene Kinder. Der Fischverkäufer des „Shochiku“ indes stammt aus Myanmar, und an der Kasse sitzt Joanna Jedrysiok, eine herzliche Polin. „Natürlich spreche ich Japanisch“, sagt sie lachend. „Das ist gar nicht schwer zu lernen, wenn man hier arbeitet.“

Wer an der Immermannstraße eine schnörkellose aber schmackhafte, typisch japanische Mahlzeit zu sich nehmen möchte ist im Restaurant „Takumki“ genau richtig. Man nimmt an schlichten Holztischen Platz, aus der offenen Küche schweben wunderbare Düfte herbei. Hitomi Kuribayashi bringt die Speisekarte. Die junge Frau ist erst vor wenigen Wochen in Düsseldorf angekommen und spricht noch kein Deutsch, dafür aber perfekt Englisch. Kein Wunder, denn sie hat in Long Beach, Kalifornien, die Gastronomie-Fachschule erfolgreich absolviert. Kuribayashi ist völlig alleine nach Deutschland gezogen und möchte ein bis zwei Jahren bleiben. Sie will das Leben in Europa kennenlernen. Was ist ihr bislang am meisten aufgefallen? „Die Menschen hier sind überaus höflich, sehr ähnlich wie die Japaner. Sie warten sogar an roten Fußgängerampeln, ganz anders als die Amerikaner. Und die Deutschen lieben es offensichtlich, draußen zu essen, auf Terrassen.“ Mit der deutschen Küche hat Hitomi Kuribayashi noch nicht so viele Erfahrungen gemacht. Am besten hat ihr die Currywurst, bestreut mit Gewürzmischung und getunkt in den typischen Ketchup, gefallen. Bisher.

Die Dunkelheit bricht herein und der Regen in Strömen vom Himmel. In der Karaoke-Bar „Highway“ an der Bismarckstraße sind die meisten Sitzplätze noch leer. Es ist ja noch früh. Auf der Bühne singt ein Mann „Dancing Queen“ von Abba, nicht schön oder melodisch, aber dafür um so ausgelassener. Die Krawatte hängt locker um seinen Hals, das Jackett hat er längst ausgezogen. Seine Begleiterin lächelt – verlegen, verliebt oder beides. An der Tür klingelt es. Weitere adrett gekleidete Herren treten ein und werden am Empfang von Frau Lee wie gute Bekannte begrüßt. Es verspricht ein vergnüglicher Abend zu werden.

Kurt de Swaaf