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Tel Aviv an der Spree

Rund 15000 Israelis leben in Berlin – unter ihnen sind besonders viele junge Kreative.

06.11.2012
© Joachim Wagner

Die Gäste im Restaurant Sababa in der Kastanienallee tunken andächtig ihr Fladenbrot in den Hummusbrei, der hier, verziert mit Petersilienschnipseln, um eine kleine Ansammlung von Kichererbsen auf weißen Tellern serviert wird. Sie lauschen dem jungen, hebräisch sprechenden Personal hinter dem Tresen, kosten mit dem Hummus den Klang der ihnen unbekannten Sprache. Mit den Gästen unterhält sich die Bedienung englisch. Das geht gut in der Kastanienallee, denn hier sind überwiegend junge, weltgewandte Berliner und Touristen unterwegs. Und ins Sababa kommen auch gern die in Berlin lebenden Israelis. Im Zeitungsständer neben der Tür stecken Tageszeitungen und Magazine, ganz oben die erste Ausgabe des hebräischen Berliner Stadtmagazins mit dem Namen „Spitz“. Auf der Titelseite schwebt die Kugel des Berliner Fernsehturms neben einem weißen Wölkchen im blauen Himmel, eine Illustration wie aus einem Kinderbuch.

Die jungen Israelis in Berlin bewegen sich – wie es scheint – unbelastet von der Geschichte durch die Berliner Szeneviertel. Die Stadt, für die sie sich entschieden haben, ist jung und lässig und bietet reiche kulturelle Szenen. Die Mieten und Lebenshaltungskosten sind im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen noch immer relativ niedrig, auch wenn sie in letzter Zeit sürbar anziehen. Das macht Berlin seit Jahren für junge Leute aus der ganzen Welt attraktiv. Längst haben die Berliner, die oft auf ihre Stadt schimpfen, weil die Sommer zu nass und die Kuchen zu trocken, die Touristen zu langsam und die Radfahrer zu schnell sind, begriffen, dass hier richtig was los sein kann. Trotzdem verblüffen auf den ersten Blick die Tel-Aviv-Beach-Partys am Spree-Ufer, die Club-Nächte unter dem Label „Meschugge“, die deutsch-israelische Radiosendung „Kol Berlin“ und Szenerestaurants wie das Sababa, in denen die Berliner und die Berlinbesucher aus aller Welt „Iranian love bombs“, Rindfleischbällchen mit Tomaten und Auberginen, oder „End of the road“, eine Hummus-Variante mit Rinderhack und Zimt kennenlernen. Tel Aviv an der Spree.

Die 34-jährige Nirit Bialer ist ins Sababa gekommen. Sie lebt seit 2006 in Berlin. Nirit Bialer hat gemeinsam mit sieben Freunden Habait – was auf Hebräisch „das Haus“ heißt – ins Leben gerufen, eine Initiative, die israelische Kultur nach Deutschland bringen möchte. „Mir ist immer wieder aufgefallen, dass es in Deutschland zwar ein großes Interesse an Israel gibt, aber ein ziemlich verzerrtes Bild vom Land. Deshalb wollten wir ein Haus gründen, in das wir israelische Künstler einladen. Aber wir hatten nicht genügend Geld. Also haben wir uns eine Veranstaltungsreihe ausgedacht und sagten uns, dass wir einfach überall dort zu Hause sind, wo eine Veranstaltung stattfindet.“

Das originelle Logo von Habait , das ein handgezeichnetes Klingelschild darstellt, wurde seit 2011 schon an verschiedene Häuser Berlins geklebt – zum Zeichen, dass hier ein Habait -Event stattfindet. Zuerst wares an den Wänden des Off-Theaters DOCK 11 zu sehen. Dort las Markus Flohr aus seinem Buch „Wo samstags immer Sonntag ist: Ein deutscher Student in Israel“. Nach der Lesung gab die Sängerin Sivan Shavit ein Konzert. So ging es weiter. Habait holte den Bestsellerautor Eshkol Nevo nach Berlin, organisierte eine Begegnung mit dem Filmemacher Arnon Goldfinger und eine Performance mit dem Künstler Natan Ornan. Nicht zu vergesssen, die Tel-Aviv-Beach-Party im August 2012 mit den Gruppen Jachzen-Bachzen und Terry Poison. Das alles organisierte das achtköpfige Team in seiner Freizeit und mit wenig Budget.

Nirit Bialer kennt Berlin schon lange. 1995 kam sie zum ersten Mal. Damals war sie 17 Jahre alt und hatte in Israel schon vier Jahre lang deutsch gelernt. Warum ausgerechnet deutsch? Das hatten viele ihrer Freunde und aus ihrer Familie gefragt. Nirit Bialers Großeltern väterlicherseits waren Holocaust-Überlebende. Es waren aber gerade die Fragen nach dem Holocaust und der deutsch-jüdischen Geschichte, die Nirits Interesse an der deutschen Sprache geweckt hatten. „Damals war es in Israel gar nicht einfach, einen Deutschkurs zu finden“, erzählt sie. „Heute muss man sich an den Goethe-Instituten in Tel Aviv und Jerusalem in eine Warteliste eintragen. Das Verhältnis der Israelis zu Deutschland hat sich komplett gewandelt.“

Noch 2006 lebten etwa 3000 Israelis in Berlin. Nirit Bialer galt noch als Exotin. „Wenn ich heute in der U-Bahn hebräisch telefoniere, kann ich sicher sein, dass irgendjemand versteht, was ich sage.“ Die Israelische Botschaft schätzt die Zahl der in Berlin lebenden Israelis auf inzwischen 15000. Unter ihnen sind sehr viele, vor allem junge Kreative und Künstler, aber auch Unternehmer mit guten Ideen, Studenten oder Wissenschaftler, die es an eine der renommierten Hochschulen oder eins der Forschungsinstitute gezogen hat. Über gute und schlechte Erfahrungen in ihrer neuen Wahlheimat tauschen sich viele in der hebräischsprachigen Facebookgruppe „Israelis in Berlin“ aus. Nirit Bialer hat außerdem zusammen mit einer Freundin einen Stammtisch für Israelis in Berlin gegründet.

Ein bisschen wehmütig ist sie, dass Berlin die Melancholie verloren habe, die sie damals in den 1990er-Jahren so reizvoll fand. Sie könnte sich durchaus auch vorstellen, eines Tages wieder nach Israel zurückzugehen oder an einen anderen Ort dieser Welt. Aber vorerst bleibt sie, schließlich liebt sie einen Berliner. Mit ihrem Freund wohnt sie nicht weit vom Restaurant Sababa entfernt, mitten im beliebten Bezirk Prenzlauer Berg. In der Nacht hört sie manchmal auf der Straße die israelischen Reisegruppen, die in Clubs und Restaurants ausschwärmen. „Als ich 2006 nach Berlin zog, kündigten einige meiner Freunde an, mich niemals in Deutschland zu besuchen. Inzwischen waren sie alle schon hier.“

Kathrin Schrader