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Wie hilfsbereit ist Deutschland?

Machen Sie mit bei der Umfrage des „Basel Insitute of Commons and Economics“.

25.09.2013
© dpa/McPHOTO - social climate index

Es gibt einen Geschäftsklimaindex, einen Konsumklimaindex – warum nicht auch einen Sozialklimaindex, fragt Alexander Dill, Gründer des „Basel Insitute of Commons and Economics“. Der Soziologe, der sich mit alternativer Wirtschaftsforschung und Geschenkeökonomie beschäftigt, hat eine Umfrage entwickelt. Er möchte zu möglichst genauen Angaben über die Qualität des Sozialklimas an einzelnen Orten in Deutschland und der Welt kommen.

Herr Dill, was macht ein gutes Sozialklima aus?
Ein gutes Sozialklima zeichnet sich dadurch aus, dass die Menschen Vertrauen zueinander haben, dass sie hilfsbereit und gastfreundlich sind.

Haben Sie eine Vermutung, welche Orte beim Sozialklimaindex am Ende ganz oben stehen werden?
In unseren Tests in Nepal, São Paulo, München und Basel haben wir jedenfalls festgestellt, dass das Sozialklima in ärmeren Gegenden besser ist als in reichen.

Gibt es dafür eine Erklärung?
Wir haben erste Ideen. Nehmen Sie zum Beispiel München: In den ärmeren Stadtteilen ist der Austausch untereinander viel stärker. In Bezirken, in denen überwiegend Wohlhabende leben, haben die Menschen dagegen wenig Kontakt miteinander, Gastfreundlichkeit oder Hilfsbereitschaft werden gar nicht erst abgefragt.

Deutschland ist Ihrer Einschätzung nach also dort besonders sozial, wo es ökonomisch die größten Probleme gibt?
Das ist die Tendenz, ja. Schauen wir aufs Ruhrgebiet. Es fällt auf, dass die Hilfsbereitschaft dort besonders stark ausgeprägt ist – übrigens auch bei gut verdienenden Einwohnern. Ergebnis unserer Umfrage könnte also sein, dass die Gleichsetzung von Lebensglück mit Wohlstand und hohem Pro-Kopf-Einkommen überhaupt nicht gerechtfertigt ist.

Wem könnten diese Ergebnisse nutzen? Sie sehen das Sozialklima als Standortfaktor, aber gerade die Wirtschaft interessiert sich doch eher für harte Faktoren, oder?
Das stimmt, und genau deshalb haben wir in Deutschland diese Ungleichgewichte. In mancher Großstadt können Menschen, die weniger verdienen, mit ihren Familien kaum mehr leben. Wenn das Sozialklima ein stärkeres Kriterium wäre für Investitionen und bei der  Entscheidung, wo man baut und wohnt, käme es zu einer besseren Verteilung. Das könnte die Situation entspannen, statt die Preise in den wenigen Boomregionen immer weiter anzutreiben. Deshalb finde ich es wichtig, auch nicht-materielle Faktoren zu erheben und nicht nur das Bruttosozialprodukt. Dadurch identifizieren wir versteckte Werte.

Ihre Erhebung basiert ausschließlich auf persönlichen Einschätzungen. Wie valide ist das?
Wir stellen fest, dass kaum jemand das Sozialklima völlig anders einschätzt als sein Nachbar. Unabhängig voneinander werden ehrliche Antworten gegeben. Wenn das Sozialklima gut ist, sagen es alle, und wenn es schlecht ist, auch. Deshalb ist der Sozialklimaindex objektiv – und ein Ansporn.

Was können Kommunen tun, um das Sozialklima zu verbessern?
Sie könnten zum Beispiel ihre Innenstädte beleben. Man merkt als Reisender sehr schnell, ob in einer Stadt ein gutes Sozialklima herrscht – daran, ob Ortskerne bevölkert oder ausgestorben sind. Sich in die Öffentlichkeit zu begeben, schon das verbessert das Sozialklima. Das ist auch der Grund, warum wir Deutschen immer nach Italien fahren wollten: Wir wollten auf der Piazza sitzen. Dort ist ständig was los, dort herrscht ein gutes Sozialklima. Danach hatten wir Sehnsucht. Jetzt geht es darum, die Piazza bei uns selbst zu inszenieren. Tourismus oder Reisen ist ja nichts anderes als die Hoffnung, sich in ein anderes, positives Sozialklima zu begeben.

Apropos Reisen: Wie bewerten Auswärtige das Sozialklima in Deutschland?
Besser als wir selbst. Diese Differenz gibt es in allen Staaten, aber in Deutschland ist sie besonders groß.

Wo haben Sie persönlich bislang das beste Sozialklima erlebt?
Ich habe eine Studie unter nepalesischen Bergbauern gemacht. Sie wurden gefragt, was sie anderen schenken – außerhalb der Familie, ohne Erwartung einer Gegenleistung. Zu 99 Prozent haben sie geantwortet: Essen und Trinken. Das ist erstaunlich, denn Nahrungsmittel sind ihr einziges Wirtschaftsgut. Das ist so, als würde in Deutschland jemand Autos verschenken.

Wie schätzen Sie das Sozialklima in Deutschland ein? Hier geht es zur Umfrage.