Pro & Contra
Raus aufs Land?
Das Häuschen im Grünen ist für viele ein Lebenstraum. Andere tragen die Großstadt im Herzen. Hier kommen eine Dorfbewohnerin und ein Berlin-Fan zu Wort.

Lebt es sich besser auf dem Land?

Auf dem Land hat man automatisch mehr Lebensqualität: Weniger Verkehr, mehr Kontakt zur Natur, alles ist entschleunigt und stressfreier. Zudem gibt es mehr bezahlbaren Wohnraum. Die wichtigsten Dinge wie Supermarkt, Apotheke, eine Schule oder ein nettes Café sind meist zumindest in der Nähe. Brauchen wir die große Auswahl an Freizeit- und Konsummöglichkeiten wirklich? Durch die Reduktion auf das Wesentliche lädt das Landleben zum viel propagierten „Slow Life“ ein, das sich Menschen aus der Stadt durch Retreats oder Ähnliches erst erkaufen wollen.

Ich werde immer wieder gefragt, ob ich mir ein Leben auf dem Land oder in einer kleineren Stadt mit Haus und Garten vorstellen könnte. Ja, ich mag die Idee – Natur, Ruhe, Weite –, aber sobald ich länger darüber nachdenke, merke ich, dass ich ein Stadtkind bin. Ich liebe die Abwechslung und freue mich immer über Zeit und Ruhe in der Natur, bin dann aber auch wieder glücklich, im sehr lebhaften Berlin-Friedrichshain durch die Straßen zu schlendern. Ich mag einfach das pralle Leben direkt vor der Haustür, die Mischung aus Bewegung, Möglichkeiten, Rückzug und Vielfalt.
Auf dem Land kennt jeder jeden, heißt es. Eine schöne Vorstellung?

Der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl, auch durch das bunte Vereinsleben, sind auf dem Land größer als in der Stadt. Man hilft einander ganz unkompliziert. Anonymität lädt eher zu Kriminalität ein, deshalb fühle ich mich auf dem Land sicherer. Wer raubt schon jemanden aus, den er am nächsten Tag im Supermarkt treffen könnte? Natürlich kann die Nähe auch Nachteile haben, etwa wenn man nicht möchte, dass die Nachbarschaft jede Veränderung im eigenen Leben mitbekommt. Trotzdem überwiegen für mich die guten Seiten.

Das kann sicherlich sehr verbindend sein, aber man muss es schon mögen, überall erkannt und gegrüßt zu werden. Manchmal finde ich die Anonymität in Berlin schwierig, gleichzeitig gibt es genug Möglichkeiten, sich zu vernetzen. Wenn ich mit meinem Hund unterwegs bin, gibt es eigentlich kaum eine Runde ohne ein kurzes Gespräch. In der Großstadt hat man die Freiheit, Kontakte aktiv zu wählen, man kann anonym bleiben oder sich gezielt einbringen. Die Auswahl ist riesig und diese Wahlfreiheit empfinde ich als absolute Bereicherung.
Weniger Lärm, bessere Luft – müsste nicht jeder aufs Land ziehen, dem seine Gesundheit lieb ist?

Natürlich haben viele Faktoren Einfluss auf die Gesundheit. Wer auf dem Land lebt, aber generell einen ungesunden Lebenswandel hat, profitiert kaum von den Vorteilen. Doch das Landleben bietet vieles, was in der Stadt erst gesucht oder künstlich geschaffen werden muss – Ruhe, gute Luft, Kontakt zur Natur und Tierwelt. Das tut nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele gut.

Zweifellos ist die Luftqualität auf dem Land besser und das Leben gesünder. Aber auch in den Städten, insbesondere in Berlin als einer der grünsten Großstädte Europas, gibt es zahlreiche Rückzugsorte wie Parks, Wälder, Uferwege und Seen – zwar nicht mit ganz so viel Ruhe und ganz so guter Luft, aber es gibt diese Orte. Es kommt auf die Balance an. Ich gehe regelmäßig raus, habe den Volkspark Friedrichshain direkt um die Ecke und fahre oft mit dem Rad nach Brandenburg. Ich habe gelernt, meine Ruheinseln zu finden – und davon gibt es hier mehr, als man denkt.
Der Bus kommt nur einmal in der Stunde, die nächste Bäckerei ist kilometerweit entfernt – die Infrastruktur auf dem Land macht es einem nicht leicht, oder?

Ja, man muss bei gewissen Dingen auf Komfort verzichten. Gleichzeitig bieten viele Kommunen praktische Lösungen, die manche Lücke schließen: Ruftaxis etwa oder von Bauern befüllte Essensautomaten. Wenn man sich daran gewöhnt, nicht rund um die Uhr alles zur Verfügung zu haben, lädt das zur bewussten Planung und Verbindlichkeit ein. Wenn der Bus nur einmal pro Stunde fährt, legt man sich bei Verabredungen zwangsläufig fest.

Genau das ist der Punkt, warum ich das Leben in der Großstadt so schätze. Wenn ich Berlin verlasse, muss ich mich meistens an eine schlechtere Infrastruktur gewöhnen. In Berlin bin ich mobil, auch ohne Auto. Alles fährt regelmäßig, zum Teil im Fünf-Minuten-Takt und rund um die Uhr. Alles ist immer verfügbar. Ob das wirklich so erstrebenswert ist, sei mal dahingestellt, aber ich mag es einfach. Die berühmten „Spätis“ haben bis tief in die Nacht geöffnet, zahlreiche Lieferdienste machen das Leben einfacher.
Kino, Theater, Museen – das kulturelle Leben spielt sich hauptsächlich in den Großstädten ab. Spricht das nicht sehr für das Leben dort?

Die Antwort ist hier nicht der komplette Verzicht, sondern die zwangsläufige Anpassung der Frequenz. Für ein besonderes Konzert oder Theaterstück kann man immer noch in die Stadt fahren. Natürlich bedeutet das einen gewissen Aufwand. Aber gehen Menschen in der Stadt wirklich jede Woche ins Museum? Oft wird trotz ständiger Verfügbarkeit letzten Endes gar nichts genutzt. Das Überangebot führt zu Entscheidungslähmung. Das seltenere kulturelle Erlebnis wird für Menschen vom Land hingegen zum Ereignis. Außerdem gibt es in vielen Dörfern die besten Feste!

Ich liebe es, alles an einem Ort zu haben. In Berlin ist das kulturelle Angebot außergewöhnlich breit gefächert – von internationalen Ausstellungen bis zu kleinen Bühnen, von Konzerten bis zu Lesungen. Kultur ist hier keine Ausnahme, sondern Teil des Alltags. Für viele Berliner ist genau das der Grund, hier zu leben.