Zum Hauptinhalt springen

Israelis in Deutschland

Rund 20.000 israelische Einwanderer und Einwanderinnen leben in Deutschland. Lesen Sie hier, warum sie hier sind und wie sie hier leben. 

Ina Holev, 07.09.2020
Mauerkunst: Davidstern auf Deutschland-Fahne.
Mauerkunst: Davidstern auf Deutschland-Fahne. © iStock

Sie verstehen sich zuerst als Israelis, dann als Juden. Rund 20.000 israelische Einwander*innen leben in Deutschland. Die Anthropologin Dr. Dani Kranz hat untersucht, warum sie gekommen sind, unter anderem im Forschungsprojekt „Israelische Migration nach Deutschland seit 1990“ an der Bergischen Universität Wuppertal.

Frau Kranz, wie viele Israelis leben in Deutschland?

Der Mikrozensus geht davon aus, dass etwa 25.000 Israelis in Deutschland leben, wir gehen eher von 20.000 Einwander*innen. Denn unter diesen 25.000 sind viele Menschen, die nie in Israel waren, aber trotzdem ein Anrecht auf einen israelischen Pass haben. Wir reden also über keine massive Einwanderung. Sie ist aber durch die deutsche Geschichte mit sehr vielen Emotionen aufgeladen.

Seit wann gibt es diese Migration von Israel nach Deutschland?

Es gibt seit Anfang der 2000er eine Zunahme von israelischer Einwanderung. Da hat Einbürgerung in die EU-Länder stark zugenommen, denn mit EU-Pass sind Reisen viel leichter. Die Anzahl der Israelis in Deutschland bleibt aber relativ stabil, es gibt keine große Migration mehr. Die Anzahl von Deutsch-Israelis nimmt jedoch immer mehr zu. Es handelt sich meistens um Kinder mit deutschem und israelischem Elternteil. Etwas mehr als die Hälfte aller verheirateten Israelis sind mit deutschen Nicht-Juden verheiratet.

Wieso wollen Israelis nach Deutschland auswandern?

Oft wollen sie sich beruflich und wirtschaftlich weiterentwickeln. Der Arbeitsmarkt in Israel ist sehr eng, das Land wahnsinnig teuer. Staat und Religion sind ein ständiges Streitthema. Deswegen ist es eine ganz bestimmte Gruppe, die auswandert - nämlich säkulare Aschkenasim. Also Juden und Jüdinnen mit einem west-, oder osteuropäischen Hintergrund. Die meisten sind gut ausgebildet und haben mindestens einen Bachelor-Abschluss. Ein Drittel kommt, weil der oder die Partner*in Deutschland lebt. Und 20 Prozent der israelischen Immigrant*innen wollen nach Deutschland, weil sie die deutsche Kultur einfach gut finden. Mit einem israelischen Pass ist es recht einfach, eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Die meisten Israelis, die nach Deutschland kommen, sind außerdem mit der Politik unzufrieden und politisch eher moderat bis links eingestellt. Aber es ist eigentlich egal auf welcher Seite des Spektrums sie stehen, in Deutschland werden sie oft als eine Einheit wahrgenommen. Israelis in Deutschland sind oft eine Projektionsfläche für den Nahostkonflikt.

Dani Kranz.
Dani Kranz. © privat

Gibt es einen Unterschied zwischen den aschkenasischen Israelis und der Migration von Misrahim, also Jüdinnen und Juden mit einem nahöstlichen oder nordafrikanischen Hintergrund?

Der EU-Pass gilt in Israel als ein besonderes Statussymbol, insbesondere für die Aschkenasim. Viele machen aber die Erfahrung, dass sie auch als Jüdinnen und Juden mit einem deutschen Hintergrund einfach als israelische Immigrant*innen in Deutschland wahrgenommen werden. Die Misrahim in Deutschland sind eine viel kleinere Gruppe. Sie kommen oft wie die Aschkenasim aus der Bildungsschicht und sind sehr mobil. Viele misrachische Einwander*innen besitzen ganz andere Bezugspunkte zu Deutschland. Die meisten der Misrahim haben deutsche Partner*innen und besitzen dann durch die Familie schon ein Netzwerk in Deutschland.

Viele schätzen, dass sie in Deutschland in Ruhe leben.
Dani Kranz, Anthropologin Ben-Gurion-Universität in Be’er Scheva

Was erleben israelische Migrant*innen in Deutschland als größte Umstellung?

Viele schätzen, dass sie in Deutschland Ruhe haben. Es ist einfach viel mehr Platz in Deutschland, denn in Israel ist das Zusammenleben oft sehr eng. In Deutschland dagegen fällt vielen Israelis das Aushalten des persönlichen Raums schwer. Die Spontanität von Deutschen ist meistens auch nicht so groß und Israelis sind eher spontane Menschen.

Machen Israelis hier dann auch Erfahrungen mit Antisemitismus?

Die antisemitischen Erfahrungen werden oft als ein allgemeiner Rassismus erlebt. Viele bekommen lästige Fragen gestellt, etwa „Wo kommen sie her?“ oder „Wieso sprechen sie so seltsam Deutsch?“. Das stört viele Israelis besonders. Die Wahrnehmung von Antisemitismus ist aber eine ganz anders, als bei Jüdinnen und Juden, die länger in Deutschland leben. Immigranten nehmen vieles nicht war, da sie Deutsch meist nicht als Muttersprache sprechen.

Welche Rolle spielt dabei die deutsche Vergangenheit?

Viele rechnen zuerst gar nicht damit, aber berichten aber dann von sehr negativen Erfahrungen, etwa wenn Deutsche besonders laut werden. Die deutsche Sprache klingt in diesem Moment für einige Israelis extrem fremd und wird dann als die Sprache des Holocausts wahrgenommen. Auch wenn zum Beispiel am Bahnhof die Durchsage „Achtung, Achtung!“ kommt oder sie Güterzüge sehen, werden bei einigen Israelis Trauma getriggert. Diese Reaktion können aber nur wenige klar ausdrücken Über viele Erfahrungen schweigt man sich sicher aus. Das Thema der Vergangenheit beeinflusst unbewusst auch viele Paarbeziehungen, aber dazu wird erst noch geforscht.

In der neuen Heimat.
In der neuen Heimat. © iStock

Wie leben Israelis in Deutschland ihr Judentum?

Viele sehen sich in erster Linie als Israelis, bevor sie sich überhaupt als Jüdinnen und Juden sehen. Nur 20 Prozent sehen sich stärker als jüdisch. Im Ausland suchen sich viele Israelis gegenseitig, auch wegen der Sprache. Die lokalen Gemeinden sind für sie so weniger interessant, denn dort wird eher Deutsch oder Russisch gesprochen. Jüdische Gemeinden in Deutschland funktionieren außerdem als religiöse Zentren. Viele israelische Einwander*innen sind aber sehr säkular und gehen selten in eine Synagoge.

Wie erwarten Sie die Zukunft der israelischen Migration nach Deutschland?

Es wird in Israel immer ein Kommen und Gehen geben. Migrant*innen sind immer in einer zerbrechlichen Position, wenn sie kein berufliches Netz haben oder die Landessprache nicht sprechen. Viele wandern dann eher mit einem Partner oder einer Partnerin aus, alleine nur, wenn sie sehr mutig sind. Es wird sicher keine große Migrationsbewegung mehr geben. Die meisten Leute, die nach Deutschland wollten, sind schon hier.

© www.deutschland.de