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Delikatesse und Wirtschaftsgut

Die russische Regierung hat das Kaviar-Importverbot gelockert. Ziel ist, die organisierte Kriminalität in der Fischerei besser in den Griff zu bekommen.

Флориан Виллерсхаузен, 13.08.2012
© ICC/Anastasia Kapluggin

Schwarzer Kaviar ist in Russland ein lukullisches Luxusprodukt par excellence. Schon Zar Peter der Große, als Feinschmecker bekannt, soll den anthrazitfarben glänzenden Rogen kiloweise verzehrt haben. Russischen Quellen zufolge beschäftigte er bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Wolga-Delta mehr als 50 Fischer, die für stetigen Kaviar-Nachschub am Zarenhof in Sankt Petersburg sorgten.

Auch heute rankt sich um Kaviar ein Kult – der Nimbus des kulinarischen Statussymbols. Indes, an guten Kaviar zu kommen, ist selbst in Russland seit einigen Jahren nicht ganz einfach. Um dem Raubbau der schwindenden Stör-Bestände im Kaspischen Meer vorzubeugen, hat die russische Regierung im Jahr 2003 den Handel mit wildem Kaviar des Beluga-Störs offiziell verboten. Der Umschlag von Eiern anderer Störsorten ist streng reguliert.

Trotzdem wird in Moskau nach Recherchen des russischen Magazins „Itogi“ täglich eine halbe Tonne schwarzen Wildkaviars illegal angeliefert. Um des Kaviar-Schmuggels Herr zu werden, lockert die russische Regierung seit Herbst 2010 das Importverbot und gibt verstärkt Lizenzen für den legalen Import von Zuchtkaviar heraus. Wenn die illegalen Händler den Druck des Wettbewerbs spüren, so das Kalkül, werde ihr Einfluss im Delikatessenhandel schwinden.

Nun wagen sich neue Händler auf den russischen Kaviar-Markt, darunter auch deutsche Unternehmen. Die weltweit größte überdachte Störfarm im vorpommerschen Demmin setzt nach der Insolvenz des ehemaligen Betreibers Caviar Creator auf russische Unterstützung: Der Moskauer Investor „Russian Sturgeon“ hat die Farm übernommen. Das Unternehmen, das in den südrussischen Regionen Adygien und Krasnodar bereits zwei Zuchtfarmen betreibt, will künftig auch von Deutschland aus den Heimatmarkt beliefern. Das Zuchtkonzept von Caviar Creator soll dazu überarbeitet werden.

Dass die Kaviar-Zucht voller Tücken steckt, weiß Dirk Schmelz, der für die International Caviar Corporation (ICC) in der Oberpfalz Störe züchtet und deren Rogen vor allem nach Russ-land verkauft. Die ICC züchtet, anders als in den üblichen Aquakultur-Farmen wie in Demmin, unter naturähnlichen Bedingungen. Statt die Temperatur zu regulieren, überlässt Schmelz seine Fische den Launen der Natur: Wenn die Teiche im Winter zufrieren, müssen die Fische damit leben.

„Unser Ziel ist die globale Marktführerschaft als Produzent von Natur-Kaviar“, sagt Roland Schröder, Sprecher der Aktionärsversammlung der ICC. „In der Oberpfalz wird seit Jahrzehnten auf nachhaltige und umweltbewusste Störzucht Wert gelegt“, betont er, „davon profitieren wir auch mit unserem Standort.“ Hauptstandort der ICC ist allerdings Magesti in Westrumänien, wo ebenfalls auf naturnahe Zucht Wert gelegt wird. So nutzt der Betrieb etwa Quellwasser, das direkt auf seinem Gelände entspringt.

Trotz der hohen Preise ist die Kaviarproduktion kein Geschäft fürs schnelle Geld, denn der Stör schert sich nicht um Produktivitätsansprüche seiner Züchter: Nur alle zwei bis drei Jahre tragen Stör-Weibchen Eier. Und bis sie überhaupt geschlechtsreif sind, vergehen mindestens drei Jahre. Dann müssen die Fischer per Ultraschall feststellen, welches Geschlecht die Tiere haben: Für das bloße Auge sind Störe ein lebendiges Fossil, eine 250 Millionen Jahre alte Fischart, die wie ein Überbleibsel der Steinzeit wirkt.

Der Stör würde träge, wenn die Temperatur immer gleich bliebe, begründet Dirk Schmelz sein unübliches Zuchtkonzept. Die Fische setzen Fett an, der Kaviar schmeckt muffig. „Wir gehen das Risiko ein, dass es auch einmal zu schlechten Ernten kommt“, sagt Schmelz, „aber die Qualität des Rogens ist immer erstklassig.“ Im Herbst 2010 war die Ernte in der Oberpfalz hervorragend: Mehr als 500 Kilogramm schwarzen Kaviars stehen zum Verkauf, dazu 100 Kilo vom Rogen des seltenen weißen Albino-Sterlets, den ICC als „Zarenkaviar“ für rund 17 000 Euro pro Kilo verkauft.

Um den Export nach Russland kümmert sich ICC-Co-Gesellschafter Stephan Fittkau, der mit Unterstützung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Genehmigung für den Kaviar-Export eingeholt hat. Fittkau lebt seit drei Jahren in Russland und kennt die High Society der russischen Metropole. Irgendwann hat der 44-Jährige festgestellt, dass „den Russen der russische Kaviar nicht mehr so richtig schmeckt“. Als im vorigen Herbst die Importbeschränkungen für Kaviar gelockert wurden, gründete Fittkau in Moskau die ICC-Schwestergesellschaft Imperskaja Ikra Russia (IIR), die für den Vertrieb der oberpfälzischen Fischeier zuständig ist.

„Der Stör ist ein Ferkel“, erklärt Fittkau bei Degustationen, „er frisst alles, was ihm in den Kiefer kommt.“ Deswegen sei Wildkaviar aus dem verschmutzten Kaspischen Meer nicht zwingend besser als Zuchtkaviar. Mittlerweile hat Fittkaus Kaviar-Marketing Erfolg: Fünf-Sterne-Hotels wie das Kempinski Baltschug bestellen ihren Kaviar bereits bei IIR.

Den Deutschen kommt zupass, dass der Zuchtkaviar mittlerweile salonfähig ist, allein die First-Class-Passagiere der Lufthansa verzehrten 2009 achteinhalb Tonnen eines italienischen Produzenten. Auch in der Moskauer Top-Gastronomie ist er akzeptiert. Nico Giovanoli, Director Food and Beverages im Kempinski Baltschug, kennt die unterschiedliche Qualität bei Kaviar von wilden Stören. Konsistenz und Zustand der Eier seien unterschiedlich, je nachdem in welchem Bereich des Eierstocks sie sich befinden, erklärt der Gourmet. Natürlich gebe es auch bei Zuchtkaviar Qualitätsunterschiede, aber „meistens ist er geschmacklich näher dran an den Wünschen der Kunden“, sagt Giovanoli, der es für einen Mythos hält, dass wilder Kaviar generell besser schmeckt als jener aus europäischen Zuchtbetrieben.