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Sehnsucht nach Grün

Gärtnern heißt das neue Hobby in Deutschland. Wer keinen eigenen Garten hat, kann sich im Urban Gardening versuchen.

Constanze Kleis, 25.09.2015

Modemacher Wolfgang Joop hat einen in Potsdam, in dem er exzessiv Kopfsalat, Kürbis, Zucchini und alte Tomatensorten wie die Schlesische Himbeere anpflanzt; auch Dieter Kosslick, Leiter der Berliner Filmfestspiele, züchtet in seinem kleinen Stadtgarten Tomaten und fürs Auge Phlox, die wunderschöne und hauchzarte Flammenblume. Johann Lafer sagt, er hätte auch gut ein Gärtner sein können, wäre er nicht Spitzenkoch geworden, und frönt seiner zweiten großen Leidenschaft mit einer beeindruckenden Kübelpflanzensammlung. Auch für Schriftsteller Wladimir Kaminer, Eishockeyspieler Sven Felski und Schauspieler und Komiker Dieter Hallervorden hängt der siebente Himmel nicht voller Geigen, sondern voller Setzlinge. Wie überhaupt halb Deutschland derzeit in Liebe zum Gärtnern entbrannt ist und das Land einen ungeahnten Gartenboom erlebt. Die Hände tief in der Erde, den Rücken gebeugt, aber innerlich mit hoch erhobenem Haupt, stolz auf all das, was man da ganz allein zum Blühen gebracht hat.

Vor allem in Deutschlands Metropolen treibt die Liebe zum Grün prachtvolle Blüten. Berlin ist dabei nicht nur die politische, sondern auch die Hauptstadt des „Urban Gardening“, wie städtisches Gärtnern Neudeutsch heißt. In Dutzenden von Projekten, die „Grüne Weiten“ heißen, „Prachttomate“, oder „Spree­acker“ werkelt der Städter an Hochbeeten oder beim „Rooftop Farming“, baut sich das, was ihm daheim auf den Tisch kommt, selbst an. Päppelt Kohlrabi, kämpft gegen Nacktschnecken, Dickmaulrüssler, Kaninchen und Blattläuse, hegt sensible Kräuter, übt sich in Bokashi-, Terra-Preta- und Kompostherstellung, lernt viel Neues über Mischkulturen und Fruchtwechsel, Pilzzucht und Bienen und über die unendliche Großzügigkeit der Natur. „Ich wusste vieles gar nicht, bevor ich hier ­anfing. Für mich gab es Salbei und Salbei, inzwischen kenne ich unendlich viele Sorten und ich kann sie inzwischen auch unterscheiden. Darauf bin ich ganz stolz“, so Katja, 51, eine der Hobbygärtnerinnen vom „Allmende-Kontor“ Allmende = Gemeingut) auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof, wo geschätzte 500 „Mitgärtnerinnen“ an 250 Hochbeeten der Landlust frönen. Allein in Berlin wird die 
Zahl der Gartenprojekte auf über 200 vermutet. Fast 500 urbane Gemeinschaftsgärten soll es im gesamten Bundesgebiet geben.

Dazu kommt noch die Urform des Urban Gardening: der Schrebergarten. Namensgeber der Kleingärten ist der Arzt und Pädagoge Daniel Gottlieb Moritz Schreber, der seinerzeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts die revolutionäre Forderung nach öffentlichen Spielplätzen für Kinder stellte. Ein Verein wurde gegründet und neben dem Spielplatz legten die Pädagogen zusammen mit den Kindern kleine Beete an, die sie später umzäunten. So entstanden die ersten „Schrebergärten“, das deutsche Äquivalent der russischen Datscha.

Lange Zeit galt diese urdeutsche Selbstversorgerinstitution für den Stadtmenschen wegen ihres streng reglementierten Kleingartenvereinswesens, dem „Bundeskleingartengesetz“, das Höhe 
der Hecken, Größe der Laube und praktisch auch sonst alles vorschrieb, als ­Inbegriff der Spießigkeit und entsprechend vom Aussterben bedroht. Doch nun spricht ­eine aktuelle Studie des Bundesministe­riums für Verkehr und ­digitale Infrastruktur schon von einem „Generationenwechsel“. Immer mehr junge Familien nutzen die Fläche und bauen dort ihr ­eigenes Obst und Gemüse an. Bei der wachsenden Begeisterung 
für die eigene Scholle spielt auch das immer größere Misstrauen gegenüber der Lebensmittelindustrie eine Rolle, dem man mit Selbstgezogenem als Gegen­modell zum Vor­gefertigten, Behandelten, Verwandelten entrinnen will. Aber es ist ja nicht alles Gemüse oder Obst. Auch Blumen, Gräser und Büsche schmücken die eigene Parzelle und nähren wie ihre nützlichen Artgenossen die hoch emotionalen Qualitäten, die dem Gärtnern innewohnen.

Von ihnen schreibt auch Jakob Augstein, „Spiegel“-Erbe, Sohn von Martin Walser und als Herausgeber der Ost-West-Wochenzeitung „Der Freitag“ längst selbst eine publizistische Größe in seinem herrlichen Buch „Die Tage des Gärtners“ (Hanser Verlag). Ebenso von den philosophischen, poetischen wie erzieherischen Dimensionen der nie ganz gebändigten Natur. „Mit noch so viel Arbeit können Sie den Prozess im Garten nicht beschleunigen, es liegt nicht in Ihrer Hand. Die Pflanze braucht eben so lange, bis sie wächst.“ Ihm gefällt es vor allem „ein Gleichgewicht herzustellen zwischen dem eigenen Kontrollwunsch und den äußeren Umständen, den klimatischen Bedingungen, dem Charakter der Pflanzen und des Bodens.“ („Cicero“)

Und so gedeihen ja nicht bloß Kräuter, Nutz- und Zierpflanzen, vor allem der Mensch wächst am Garten, so die Botschaft. Gerade weil einen die Natur Demut lehrt. Es muss also Liebe sein und dazu gehören durchaus auch erotische Komponenten. Das Ackern in der Erde, der Duft, der Geschmack der ersten selbst geernteten Minze. Und sei es nur aus den Kübeln auf dem Balkon – Gärtnern sei der neue Sex, so die Gartenarchitektin Gabriella Pape, die gemeinsam mit ihrer Partnerin in Berlin die ehemalige königliche Garten-Lehranstalt gekauft und mit ihr daraus ein „Zentrum zur Förderung der Gartenkultur und der Gartenkunst in Deutschland“ („Die Zeit“) gemacht hat. Nebenbei wird das Gärtnern zunehmend ein sozialpolitisches Instrument. So wie auf einem Gelände in Eisenach-Nord. Dort bauen seit einiger Zeit Einheimische und Flüchtlinge gemeinsam Gemüse, Obst und Blumen an. So wachsen mit der Gartenlust in Deutschland vor allem Bodenhaftung, Freundschaften, Verwurzelung und Gemeinschaftssinn. Und die sind garantiert nicht nur winterhart – dem können auch weder Blattläuse, Schnecken oder Kaninchen und nicht einmal das Bundeskleingartengesetz etwas anhaben. ▪