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Eine europäisch-türkische Perspektive

Die Stiftung Mercator aus Essen verknüpft ihr Engagement für Europa und die Türkei.

19.10.2014
© Deutsch-Türkische Jugendbrücke gGmbH - Stiftung

Öngün Eryılmaz wurde in Istanbul geboren, migrierte als Dreijährige mit ihren Eltern nach Deutschland und wuchs in Düsseldorf auf. Sie nahm an einem Schüleraustausch teil und lebte eine Zeit lang in Frankreich. Später koordinierte sie als Kulturmanagerin internationale Projekte, unter anderem in Marokko. Beruflich konzentrierte sich die heute 32-Jährige lange auf den französischen Sprachraum; nunmehr ist sie als Projektmanagerin bei der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke (DTJB) tätig.

Die Jugendbrücke soll den Austausch junger Menschen zwischen Deutschland und der Türkei intensivieren und die Beziehungen zwischen beiden Ländern langfristig stärken. Initiiert worden ist die Jugendbrücke von der Stiftung Mercator, um – ihrem Leitbild entsprechend – „die Verständigung und den Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen zu unterstützen und für ein geeintes Europa einzutreten“. Schon seit vielen Jahren fördert die in Essen ansässige Stiftung unterschiedliche Programme mit Türkei-Bezug. Das erklärt die Stiftung so: „Tragfähige Beziehungen von Deutschland und Europa zur Türkei sind nach unserer Überzeugung wichtig für ein handlungsfähiges Europa.“

Das Gleiche gilt für europäisch-weltoffene Biografien wie die von Jugendbrücke-Managerin Öngün Eryılmaz. „Der Jugendaustausch trägt zum Perspektivwechsel bei“, sagt sie. Auch aus eigener Erfahrung wisse sie, dass solche Begegnungen ganze Lebenswege prägen können und eine enorme Bereicherung sind.

Die Jugendbrücke kooperiert in der Türkei unter anderem mit der privaten Jugendorganisation Toplum Gönüllüleri Vakfı (TOG, Stiftung für ehrenamtliches Engagement) – und füllt eine Lücke. Denn es gibt zwar in Deutschland und in der Türkei einige Projekte und Initiativen, die sich dem Austausch von Jugendlichen aus beiden Ländern widmen; das Angebot entspricht, so Eryılmaz, aber bei Weitem nicht dem vorhandenen Potenzial. Und so ist die Projektmitarbeiterin derzeit viel unterwegs, um etwa auf Netzwerktreffen von Jugendorganisationen über die Arbeit der DTJB zu informieren, die sie so zusammenfasst: Akteure beraten, qualifizieren und vernetzen sowie Programme fördern und auch Impulse für neue Austauschprojekte geben.

Begegnungen ermöglichen, den Dialog fördern sowie Forschung und Wissenstransfer initiieren: Dazu trägt die Stiftung Mercator auf unterschiedlichen Ebenen bei. Die Türkei gehört zu den Ländern, auf denen ein Schwerpunkt ihres Engagements liegt. Seit vielen Jahren unterstützen zahlreiche Programme etwa den Austausch von Journalisten, Pädagogen und Wissenschaftlern, hinzu kommen Konferenzreihen wie auch langfristig angelegte Forschungsvorhaben mit Fokus auf der Türkei im europäischen Kontext.

Die Stiftung Mercator bündelt ihre Aktivitäten in vier Themenclustern. Zu Integration, Klimawandel und Kultureller Bildung ist seit Kurzem das Cluster Europa hinzugekommen, das seit Längerem etablierte, vielfältige Aktivitäten zusammenfasst. Und dabei offen für thematische Verflechtungen bleibt: „Die Türkei ist für uns ein Teil von Europa, unabhängig von der konkreten Frage eines EU-Beitritts. Daraus ergibt sich eine enge Verknüpfung unseres Türkei- und unseres Europa-Engagements“, formuliert die Stiftung.

Die Brücke zwischen „Europa“ und „Klimawandel“ schlägt derzeit der Politikberater Jörn Richert als Mercator-IPC(Istanbul Policy Center)-Fellow. Am IPC, von der Stiftung Mercator und der Sabanci-Universität 2012 ins Leben gerufen, forscht er über den Klimawandel im Mittelmeerraum und die Möglichkeiten einer europäisch-türkischen Energiepolitik. „Die Türkei ist im europäischem Kontext für die Zukunft der Energiepolitik wichtig, weil sie ein aufstrebendes Land mit steigendem Energiebedarf ist“, erklärt der Wissenschaftler. Er arbeite an Handlungsempfehlungen, damit die Energiepolitik auf Herausforderungen wie Klimaveränderung und Klimaschäden reagieren könne.

Ein weiteres von der Stiftung unterstütztes Projekt ist die 2012 initiierte Reihe „Global Turkey in Europe“. Dabei handelt es sich um Konferenzen, die mehrmals im Jahr stattfinden und sich mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei befassen. Zuletzt trafen sich im April Türkei-Experten aus ganz Europa in Berlin, um Fragen zu Migration, Bürgerschaft und Zivilgesellschaft zu erörtern. Die Expertisen und Analysen aus bisherigen ersten Konferenzen sind in zwei Sammelbänden veröffentlicht und online abrufbar. Für die Reihe „Global Turkey in Europe“ kooperiert die Stiftung Mercator mit dem privaten Forschungszentrum Istituto Affari Internationali (IAI), das seinen Hauptsitz in Rom hat.

Neue Blickwinkel und ein differenziertes Türkeibild soll auch das „Forschungsprojekt zeitgenössische Türkei“ ermöglichen. Hierfür initiierte die Stiftung Mercator 2013 eine Ausschreibung für Wissenschaftler in Deutschland. Fünf der 39 eingereichten Projekte werden seit Anfang 2014 für drei Jahre mit insgesamt 1,5 Millionen Euro unterstützt. Dazu zählt die Forschung an der Universität Bremen zur Frauenbewegung in der Türkei ebenso wie die Analyse der türkischen Verfassungspolitik, für die sich die Humboldt-Universität zu Berlin beworben hatte.

Die Stiftung Mercator fördert aber nicht nur große Projekte, sondern auch kleinere Initiativen. Und sie beteiligt sich immer wieder an Programmen anderer Partner. Auch im Rahmen des Projekts „Tandem“ fördert sie den Austausch zwischen der EU und der Türkei und finanzierte unlängst etwa gemeinsame Auftritte des Sulukule Jugendorchesters, das aus einer Gruppe von Roma aus Istanbul besteht, und einer Tanzgruppe junger Roma aus Ungarn.

Einen gemeinsamen Auftritt hatten unlängst auch Jugendliche aus Deutschland und der Türkei, die sich im Rahmen des ersten, von der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke initiierten und vom Auswärtigen Amt finanzierten Austauschprogramms „Youth Cultures Exchange between Germany and Turkey“ formiert hatten. Die Hip-Hop-Gruppe tanzte im Juni auf der Auftaktfeier für die Jugendbrücke in Istanbul. Dort gab Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier den offiziellen Startschuss für die Deutsch-Türkische Jugendbrücke als gemeinnützige Gesellschaft, die bereits seit 2012 vorbereitet wurde. Das Auswärtige Amt hat die Stiftung Mercator beim Aufbau der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke von Anfang an unterstützt. Steinmeier sagte in Istanbul: „Die Jugendbrücke hat das Potenzial, ein weiteres Leuchtturmprojekt in unseren Beziehungen mit der Türkei zu werden.“ ▪

Canan Topçu