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Einheit in Vielfalt

Standpunkt: Weshalb die Außen- und Sicherheitspolitik als „Kitt“ der Europäischen Union wirken könnte, erläutern die Politikwissenschaftler Jana Puglierin und Julian Rappold.

16.03.2017
© dpa - Europe

Wenn die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 25. März 2017 zusammenkommen, um den 60. Jahrestag der Römischen Verträge zu begehen, könnte die Stimmung gedämpft sein. Seit Jahren befindet sich die EU im Würgegriff einer Vielzahl sich gegenseitig verstärkender Krisen: die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen der europäischen Währungs- und Schuldenkrise haben einen Keil zwischen nord- und südeuropäische Mitgliedsstaaten und deren Gesellschaften getrieben. Gleichzeitig ist in Folge der Flüchtlingskrise ein Graben zwischen dem Westen und Osten der EU entstanden. Die Terroranschläge in Paris, Brüssel oder Berlin haben das Sicherheitsgefühl der Europäer fundamental erschüttert. Die zwei größten historischen Erfolge der europäischen Integration – der Euro und die Abschaffung der innereuropäischen Grenzen – stehen auf dem Spiel. Vor allem aber hat das Brexit-Referendum gezeigt, dass der europäische Integrationsprozess umkehrbar ist.

Wachsender Euroskeptizismus

Das Referendum steht zudem symbolisch für einen neuen besorgniserregenden Trend in der EU: Das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat steht auf der Kippe. Die britische Entscheidung spiegelt exemplarisch den wachsenden Euroskeptizismus und Populismus in der gesamten EU wider, der die europäischen Gesellschaften spaltet, Misstrauen und Angst sät und die parteipolitischen Landschaften umpflügt. Daher ist es eine Illusion, zu glauben, dass die Briten ohnehin nie wirklich Teil der EU gewesen sind und sich nun – nach dem Ausstieg der „Bremser“ – weitere Integrationsschritte ohne größere Widerstände verwirklichen ließen. Unabhängig vom jeweiligen Wahlausgang in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland zwingen die komplexen und ineinander verwobenen Krisen die EU-27 und die Funktionsträger in Brüssel dazu, sich einzugestehen, wie sehr das europäische Projekt an Strahlkraft verloren hat.

Denn ungeachtet einiger beachtlicher Integrationsschritte als Reaktion auf die Krisen der letzten Jahre, wie zum Beispiel die Schaffung der Bankenunion, konnte keine dieser Krisen auch nur annähernd gelöst werden. Inzwischen macht sich vielmehr das Erschöpfungssyndrom breit, während die Bereitschaft der Staats- und Regierungschefs zur Findung gemeinsamer europäischer Lösungen immer weiter schwindet. Es scheint, als könne die EU momentan weder wirklich vor noch zurück – jedenfalls nicht im 27-fachen Gemeinschaftsschritt. Dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seinem Weißbuch keine konkreten Lösungen vorschlägt, sondern vielmehr Optionen diskutiert, zeugt von den deutlichen Differenzen zwischen den EU-Staaten, die sich nur schwer zusammenbringen lassen.

Mehr Transparenz, mehr Teilhabe

Ein möglicher Ausweg könnte in einer stärkeren Differenzierung des Integrationsprozesses liegen. Dies könnte bedeuten, dass die Mitgliedsstaaten, die dazu willens sind, in ausgewählten Politikbereichen ihre Zusammenarbeit vertiefen, während Nachzüglern, die doch irgendwann den nächsten Integrationsschritt wagen wollen, jederzeit die Tür dazu offen steht. Oder aber, die EU-27 als Ganzes konzentriert sich darauf, in bestimmten Politikbereichen mehr zu unternehmen, während sie ihr Engagement in anderen Gebieten zurückfährt. In jedem Fall aber wäre dafür zu sorgen, dass mit dieser Form der differenzierten Integration auch eine höhere Transparenz und Nachvollziehbarkeit einhergeht, indem der europäischen Bevölkerung und Öffentlichkeit noch mehr Teilhabe im politischen Entscheidungsprozess auf EU-Ebene geschaffen wird.

Ein Bereich der engeren Zusammenarbeit, an dem alle EU-Mitgliedsstaaten sowie deren Gesellschaften Interesse haben müssten, ist die Außen- und Sicherheitspolitik. Sie könnte der „Kitt“ sein, der die Europäer trotz aller Unterscheide zusammenbindet. Denn die Zeiten, in denen Europa so wohlhabend, so sicher, so frei wie nie war, sind längst vorbei. Ein Krisenbogen aus Staatenzerfall, blutigen Konflikten und wirtschaftlicher Not zieht sich von Nordafrika bis hin zum Kaspischen Meer und treibt immer mehr Flüchtlinge nach Europa. Darüber hinaus bröckeln mit dem Amtsantritt Donald Trumps als neuem US-Präsidenten die transatlantischen Beziehungen als Konstante der Nachkriegsordnung.

Außenpolitik als gemeinsamer Rahmen

Daher ist es gerade jetzt wichtig, dass die Mitgliedsstaaten in diesem Politikfeld zusammenstehen und sich die EU endlich zu einem starken außen- und sicherheitspolitischen Akteur entwickelt. Kein Mitgliedsstaat hat die Fähigkeiten, die Herausforderungen alleine zu bewältigen. Auch Großbritannien muss in die engere Zusammenarbeit einbezogen werden, denn die EU ist auch nach dem Brexit auf die britischen diplomatischen, militärischen und sicherheitspolitischen Fähigkeiten angewiesen. In ihrer Grundsatzrede ließ die britische Premierministerin Theresa May durchklingen, sie sehe im britischen Beitrag zur europäischen Sicherheit einen ihrer wichtigsten „Trümpfe“, um einen guten Brexit-Deal für das Vereinigte Königreich zu verhandeln. Das britische Engagement in der Außen- und Sicherheitspolitik darf aber nicht zur Verhandlungssache werden. Stattdessen müssen die EU-27 London rechtzeitig signalisieren, dass sie an einer engen Partnerschaft interessiert sind und Theresa May diese auch schmackhaft machen.

Natürlich können die Divergenzen und fehlenden Kooperations- und Integrationsimpulse der EU-Mitgliedsstaaten in anderen Politikfeldern wie der Wirtschafts- und Währungsunion dadurch nicht völlig kompensiert werden. Eine engere Kooperation in der Außen- und Sicherheitspolitik könnte aber helfen, neben dem Binnenmarkt einen weiteren gemeinsamen Rahmen für die EU-27 zu finden, innerhalb dessen sich die Mitgliedsstaaten zukünftig flexibler bewegen können. Auch den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger in der EU würde dies entsprechen und die EU-27 könnte ganz konkret den Mehrwert der EU unter Beweis stellen.

Dr. Jana Puglierin und Julian Rappold sind Wissenschaftler am Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik.

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