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Gesprächsbereit in Politik, Wissenschaft und Kultur

Konrad-Adenauer-Stiftung, DAAD und Goethe-Institut führen einen europäischen Dialog mit Russland.

19.10.2014
© picture alliance/dpa - DAAD

Zum Dialog gehört das Streiten. Das steht für Claudia Crawford außer Frage: „Bei unseren Veranstaltungen geht es oft auch emotional und diskussionsstark zu“, sagt die Leiterin des Moskauer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Aber es gehört zu unserem Diskussionsverständnis, dass man gerade dann zuhört, wenn man große Differenzen mit seinem Gegenüber hat.“ Dabei betont Crawford, dass die Gesprächspartner der Stiftung in Moskau eine sehr heterogene Gruppe sind. „Wir arbeiten genauso mit Leuten zusammen, die sich stark am Westen orientieren, wie mit Leuten, denen die Wertvorstellungen der EU und unser Integrationsmodell unverständlich erscheinen.“ Um Antworten ist Claudia Crawford in solchen Situationen nicht verlegen: „Die EU steht für Frieden in Europa. Ich wüsste nicht, was erfolgreicher hätte sein können, als die Wege, die wir in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegangen sind.“

Für die Konrad-Adenauer-Stiftung ist Europa vor allem eine Wertegemeinschaft, die seit mehr als 60 Jahren Frieden, Freiheit und Wohlstand auf dem Kontinent sichert. Namensgeber der Stiftung ist der erste deutsche Bundeskanzler, der zugleich zu den Gründervätern der Europäischen Union zählte. Stiftungsvorsitzender ist Hans-Gert Pöttering, ehemaliger Präsident des Europaparlaments. So verwundert es nicht, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem „EU-Russland-Dialog“ ein Format des Austauschs auch in politischen Krisenzeiten stärkt. Erst im Juli und im August 2014 thematisierte das Forum wirtschaftliche und politische Konsequenzen der Ukraine-Krise für die EU-Russland-Beziehungen auf Seminaren im italienischen Cadenabbia.

Das Moskauer Büro lud für Anfang Oktober junge deutsche und russische Außenpolitiker zu einer Fachkonferenz ein, bei der über die geopolitischen Veränderungen der letzten Jahre ebenso diskutiert wurde wie über die Konkurrenz von Integrationsprojekten. Claudia Crawford betont das Verbindende zwischen Europa und Russland: „Wir teilen unter anderem das christliche Wertefundament und es gibt in Russland großes Interesse an der von Deutschland geprägten sozialen Marktwirtschaft und an einer zunehmenden gesellschaftlichen Liberalität.“ Veränderungen bräuchten aber Zeit: „Auch in den heutigen EU-Mitgliedsstaaten wurde vor 20, 30 Jahren vieles anders gesehen als heute – und es sind erst gut 20 Jahre seit dem Ende der Sowjetunion vergangen.“

Nationale Anstrengungen für einen europäisch-russischen Dialog

Wenn Benedikt Brisch über den europäisch-russischen Austausch spricht, dann spielt das Erbe der Sowjetunion eine ambivalente Rolle. „Russland hat großen Nachholbedarf, was die Internationalisierung der Wissenschaft anbelangt“, sagt Brisch, der als Gruppenleiter beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) die Kontakte zu Osteuropa und den ehemaligen Sowjetstaaten federführend betreut. „Andererseits gab es früher einen sehr intensiven akademischen Austausch zwischen der Sowjetunion und der DDR. An dieses große Interesse auf beiden Seiten würden wir gerne noch stärker anknüpfen.“ Zwar zieht es zahlreiche russische Studierende nach Deutschland; das Interesse deutscher Studierender an der Russischen Föderation ist aber noch ausbaufähig, weshalb der DAAD unter anderem mit dem Programm „go east“ intensiv wirbt und Sommerschulen wie Studienaufenthalte ermöglicht.

Seit 1987 nimmt der DAAD die Aufgaben einer Nationalen Agentur für die EU-Programme im Hochschulbereich wahr, die seit 2014 unter der Überschrift „Erasmus+“ gebündelt werden. „Natürlich wollen wir in diesem Rahmen die Zusammenarbeit mit Russland fortführen“, sagt Benedikt Brisch. Zugleich betont er, dass es nicht genüge, die Zusammenarbeit auf EU-Ebene zu pflegen. „Es muss ergänzend nationale Anstrengungen geben.“ Brisch verweist auch auf das erfolgreiche EU-Hochschulkooperationsprogramm TEMPUS, das nun in Erasmus+ aufgegangen ist: „Dieser Erfolg beruhte auch auf den guten Kontakten Deutschlands und des DAAD nach Russland.“ Dass diese Kontakte sogar in Krisenzeiten Außergewöhnliches ermöglichen, machte Anfang September 2014 die Eröffnung des ambitionierten „German-Russian Institute of Advanced Technologies (GRIAT)“ in Kasan deutlich; der DAAD hat das Kooperationsprojekt zwischen stark anwendungsorientiert forschenden deutschen Hochschulen und der renommierten Nationalen Tupolew-Universität von Anfang an beratend begleitet und aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Für Brisch ist das GRIAT auch aufgrund seiner wertvollen Impulse für den deutsch-russischen akademischen Austausch von zentraler Bedeutung: „Wir glauben, dass es ein wichtiger Bestandteil des zivilgesellschaftlichen Dialogs ist, dass Studierende ein anderes Land, seine Sprache, Kultur und Politik besser kennenlernen. Denn anders werden wir auch europäische Konflikte wie gegenwärtig in der Ukraine nicht überwinden können.“

Werben für Werte und Vielfalt

„Wir wollen Menschen zusammenbringen und über den kulturellen Dialog auch die Verständigung der Zivilgesellschaften unterstützen“, sagt Rüdiger Bolz, Leiter des Goethe-Instituts Moskau und der Region Osteuropa/Zentralasien. Die kulturelle Vielfalt Europas sollte gerade jetzt, in Zeiten der politischen Krise, in den Mittelpunkt gestellt werden. Dazu passt das derzeit in beiden Ländern stattfindende Deutsch-Russische Jahr der Sprache und Literatur: „Man sollte im Moment die Chance nicht verpassen, sich mit der russischen Sprache und der, oft auch sehr kritischen, Literatur des Landes zu beschäftigen“, unterstreicht Bolz.

Die gemeinsame europäische Geschichte spielt für das Goethe-Institut bei seiner Arbeit in Russland immer eine zentrale Rolle. Mitte Oktober veranstaltet das Goethe-Institut Moskau zusammen mit seinen europäischen Partnerinstituten die Konferenz „Dealing with the past“. Russland und Vertreter aus neun weiteren Ländern diskutieren über die Herausforderungen der Erinnerungskultur – eine besondere Aufgabe im Gedenkjahr 2014, das an den Ausbruch von Erstem und Zweitem Weltkrieg wie an den Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren erinnert. Mit dem multimedialen Format „Künstler im Krieg: Eine Begegnung 1914 – 2014“ thematisiert das Goethe-Institut die kunsthistorische Entwicklung der Avantgarde in Frankreich, Deutschland und Russland und begleitet zudem zeitgenössische Künstler mit der Kamera auf ihrer Spurensuche in den drei Ländern; von November 2014 an werden die Videoreportagen in Online-Dossiers präsentiert. „Für uns ist das Werben für die Vielfalt mit das Wichtigste, wenn wir von Europa, seiner Kultur und seinen Werten sprechen“, sagt Rüdiger Bolz.

Die Vielfalt Europas steht in einem weiteren, etablierten Veranstaltungsformat des Goethe-Instituts im Mittelpunkt. 2005 startete „Jugend debattiert international“ in Tschechien; 2009 kam Russland mit den Standorten Moskau und St. Petersburg hinzu. Heute beteiligen sich acht osteuropäische Länder, von Estland bis zur Ukraine, an dem Wettbewerb, in dem sich jedes Jahr rund 2000 Schüler in Debattenkultur und deutscher Sprache üben. Rüdiger Bolz betont, dass gerade in Krisenzeiten möglichst alle Kommunikationskanäle offen bleiben sollten: „Das Einüben von Streitkultur und konstruktiver Auseinandersetzung ist eine ideale Basis, um Dialoge aufrechtzuerhalten oder neu aufzunehmen.“ ▪

Johannes Göbel