Im Rampenlicht
Im neu gewählten Deutschen Bundestag sitzen mehrere türkischstämmige Abgeordnete. Ein Blick auf vier politische Debüts.

Sie hat sich selbst einmal als „ein politisch-strategisches Signal“ bezeichnet. Cemile Giousouf ist jung, weiblich, muslimisch – und sitzt für die Christlich-Demokratische Union (CDU) im 18. Deutschen Bundestag. Sie ist die erste türkischstämmige Abgeordnete der Union in Deutschland überhaupt.
Die 35 Jahre alte Giousouf ist zur integrationspolitischen Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag gewählt worden. Seit sechs Monaten pendelt sie zwischen ihrem Wahlkreis Hagen in Nordrhein-Westfalen und Berlin, wo sie seit einigen Monaten eine kleine Wohnung gemietet hat. Giousouf soll das junge, moderne Gesicht der Union verkörpern, konservativ und weltoffen zugleich. Eine Muslimin in einer christlichen Partei.
„Die CDU hat in den vergangenen Jahren viel für Muslime getan“, sagt Cemile Giousouf. „Gemeinsam mit sieben weiteren Kollegen mit Zuwanderungsgeschichte ist das Thema Migration nun sichtbar in der Fraktion besetzt. Ich würde mir zudem wünschen, dass sich auch verstärkt Muslime mit der CDU identifizieren können und merken: ,Okay, in dieser Partei haben wir einen Platz‘“, sagt sie. „Ansonsten unterscheidet mich nichts von den anderen Abgeordneten. Christliche Werte respektiere ich genauso wie islamische.“
Mit wenigen Deutschkenntnissen kamen Giousoufs Eltern einst aus Griechenland, wo sie Teil der türkischen Minderheit waren. Giousouf ging in Leverkusen zur Schule, studierte später in Bonn Politik. Bildung sieht sie als großes Thema der Zukunft. Im Februar hat sie ihre erste Bundestagsrede gehalten, in der sie eine stärkere Beteiligung der Länder am Bundesausbildungsförderungsgesetz BAföG fordert, eine Art staatlicher zinsloser Kredit für Studierende. Sie ist zufrieden: „Ich denke, meine erste Rede war ganz gut“.
Giousouf will sich für eine stärkere Unterstützung der Studierenden einsetzen, die während ihres Studiums eine Familie gründen wollen. „Mit einer früheren Familiengründung kann man die Zeitspanne zwischen 30 und 40 Jahren entschleunigen, in der alles geregelt werden muss: Familie, Ausbildung und Beruf“, sagt sie. Über die Begabtenförderung und das deutsch-türkische Wissenschaftsjahr 2014 muss sie im Bildungsausschuss Bericht erstatten, außerdem über das Anerkennungsgesetz, das ausländische Berufsabschlüsse in Deutschland vereinheitlichen soll. Momentan sitzt sie eigentlich jeden Abend vor einem Berg von Akten.
Cemile Giousouf ist eine von insgesamt elf Abgeordneten mit türkischer Zuwanderungsgeschichte, die seit der jüngsten Wahl im Deutschen Bundestag sitzen. Nach langwierigen Koalitionsverhandlungen hatte das Parlament Mitte Dezember 2013 seine Arbeit aufgenommen.
Der jüngste aller Abgeordneten ist der 26-jährige Mahmut Özdemir von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD); er ist Mitglied im Innenausschuss des Parlaments. „Ich bin direkt am Puls der Zeit“, sagt Özdemir. „Der politische Arbeitsalltag hat mich voll ergriffen.“ Anfang Februar hat er seine erste Rede gehalten und eine Karenzzeit von einem Jahr empfohlen für ehemalige Regierungsmitglieder, die in die Wirtschaft wechseln wollen. „Viel Glück“ hatte ihm die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth gewünscht, als Özdemir zum Pult schritt – das hatte er offensichtlich gar nicht gebraucht: „Ich hatte die volle Unterstützung meiner Fraktion und habe mit durchgedrücktem Rücken gleich die maximale Redezeit von zehn Minuten ausgeschöpft“, berichtet er. Mahmut Özdemir pendelt nun zwischen seinem Wahlkreis Duisburg und Berlin. „In den Sitzungswochen mache ich mich am Freitagabend langsam auf den Weg in die Heimat, um meine Wochenendtermine wahrzunehmen“, sagt er. Als gläubiger Muslim trennt er persönlich Politik und Religion. Dass es seit kurzem in der SPD einen Arbeitskreis Muslime gibt, findet Özdemir dennoch gut. „Dass es nun analog zu den Christen in der SPD einen Arbeitskreis Muslime gibt, begrüße ich“, sagt er. „Es gibt viele Themen bei denen die religiöse Perspektive anregend sein kann.“
Im politischen Alltag macht Özcan Mutlu aus seiner Religion kein Thema. In Deutschland ist er seit langem bekannt. Seit 24 Jahren ist er Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, lange war er als Bildungspolitiker für die Partei im Berliner Abgeordnetenhaus aktiv. Mit 45 Jahren zog er nun in den Bundestag ein. Als er Ende Oktober 2013 zum ersten Mal unter der gläsernen Kuppel des Reichstagsgebäudes im Plenarsaal Platz nahm, hatte er auch seine Eltern eingeladen, die aus der Türkei einwanderten, als er fünf Jahre alt war. „Es war mir ein Bedürfnis, meinen Eltern dieses Geschenk zu machen“, sagt Mutlu. „Sie kamen als Gastarbeiter, wir sind eine klassische Arbeiterfamilie und ich bin stolz auf meine Wurzeln. Meine Frau und meine Eltern saßen in der konstituierenden Sitzung des 18. Bundestages neben dem Bundespräsidenten Joachim Gauck. Es war ein unglaublich schöner Moment.“
Mutlu ist im Bezirk Kreuzberg sozusagen an der Berliner Mauer aufgewachsen, in einer der größten türkischen Gemeinden außerhalb der Türkei. „1989 war ich Beobachter der friedlichen Revolution. Die deutsche Wiedervereinigung hat mich derart beeindruckt, dass ich auch politische Verantwortung für unsere neue Heimat übernehmen wollte.“
Nun hat Mutlu sein Büro auf dem Berliner Boulevard „Unter den Linden“. „Früher war ich mein eigener Sprecher, mein eigener Redenschreiber. Jetzt habe ich plötzlich Personal, wissenschaftliche Mitarbeiter, Berater, das ist ein großer Luxus.“ Auch Mutlus Herzensthema ist Bildung. „Bildung ist die Integrationspolitik per se; wer gebildet ist, kann sich viel leichter integrieren.“ Eine Migrantenquote lehnt er grundsätzlich ab. Er will nicht auf seine Herkunft reduziert werden.
Özcan Mutlu will viel Sozialarbeit an den Schulen, ein gutes Ganztagsschulprogramm. „Ich kämpfe daher gegen das Kooperationsverbot“, sagt er. 2006 hat die Föderalismusreform den Ländern das Monopol für die Bildungspolitik zugesprochen. Das Kooperationsverbot untersagt dem Bund, auf Länderebene dauerhaft in die Bildung zu investieren. Um es zu lockern, müsste das Grundgesetz geändert werden.
Gemeinsam lernen, unabhängig vom sozialen Status der Familie und ihrem Bildungsniveau – das ist auch ein politisches Ziel der 1950 in der Türkei geborenen Azize Tank von der Partei „Die Linke“, die nun ebenfalls im Bundestag debütiert. In ihrer ersten Rede forderte sie eine „Bildungsrevolution“. Applaus bekam sie gleich nach ihrem ersten Satz: „Ich finde es gut, dass ich als Migrantin, die vor 40 Jahren als sogenannte Gastarbeiterin nach Deutschland kam, heute hier stehe“, sagte sie.
Ihr Thema ist vor allem das Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland. Im Familienausschuss will sie außerdem die Interessen der Senioren vertreten. „Meine Utopie: Das Leben auch im Alter durch eine gesellschaftliche ,Altersrevolte‘ lebenswert zu machen, neue Formen des Zusammenlebens von Generationen, Kulturen und Religionen zu finden“, sagt Tank. Lange war sie als Sozialarbeiterin auf Berliner Straßen unterwegs und Migrationsbeauftrage des Bezirks Charlottenburg, bevor sie in den Bundestag gewählt wurde. „Ich war und bin in der Frauen- und Friedensbewegung, gegen die Rente ab 67 Jahren, gegen Krieg und militärische Auslandseinsätze aktiv.“ Azize Tank will sich für eine neue, größere europäische Integration einsetzen. Sie selbst ist ein gutes Beispiel, dass diese bereits jetzt bisweilen gelingt. ▪
Freia Peters