Zum Hauptinhalt springen

„Israelis und Deutsche begegnen sich immer offener“

Deutschland und Israel begehen 2015 den 50. Jahrestag ihrer Beziehungen. Ein Gespräch mit dem deutschen Botschafter Andreas Michaelis.

17.03.2015
© Omri Meron
Herr Botschafter, das Jubiläumsjahr 2015 läuft auf seinen Höhepunkt im Mai zu. Welche Veranstaltungen legen Sie an Deutschland interessierten Israelis besonders ans Herz legen? 
Empfehlen kann ich die Filmserie 50-50-50, die in den Cinematheken Sderot, Jerusalem, Haifa, Tel Aviv und Holon läuft. Zu sehen sind 50 deutsche Filme aus 50 Jahren von 50 Regisseuren, wie Alexander Kluge über Werner Herzog bis zu Tom Tykwer und Fatih Akin. Die Filmreihe blättert die gesellschaftlichen Themen, die Stimmungen und die Filmästhetik der vergangenen 50 Jahre in Deutschland auf. Im Mai haben wir viele spannende Projekte, darunter ein Fotoprojekt in Tel Aviv: Deutsche und israelische Fotografie- und Grafikstudenten arbeiten zu dem Thema „Zehn Gebote“. Die Werke werden im Alltag an Bushaltestellen zu sehen sein. Für Juni hat sich das Ensemble Modern, der wohl berühmteste Klangkörper für zeitgenössische Musik, in Jerusalem angekündigt. 
 
Das Jubiläumsprogramm scheint so facettenreich wie die Beziehungen selbst. Wo sehen Sie dennoch weiteres Potenzial in der Zusammenarbeit?
Wir sollten den Schwung aus 2015 in die kommenden Jahre mitnehmen. Ich würde mich über möglichst viele neue Projekte freuen. Dabei geht es um die Vertiefung bestehender und neuer Felder der Kooperation. Im Februar fand in Tel Aviv ein hochkarätig besetztes Symposium des Weizmann-Instituts, der Max-Planck-Gesellschaft, und der israelischen Akademie der Wissenschaften statt. Eine großartige Veranstaltung, die viele neue Denkanstöße geben konnte. Bei unserer bereits sehr dichten Wissenschaftskooperation geht es zum Beispiel darum, dass wir auch verstärkt Fragen der angewandten Forschung gemeinsam angehen. Zugleich stellt sich die Frage, wie wir unsere Forschungskooperation mit dem Potenzial des hoch dynamischen und innovativen privaten Hightech-Sektor in Israel verbinden können. Das Phänomen der israelischen „Start-up-Nation“ zieht immer mehr Delegationen aus Deutschland an. Hier liegt ein großes Potenzial für neue Felder der Zusammenarbeit.
 
Es ist Zufall, dass 2015 auch der 25. Jahrestag der Deutschen Einheit gefeiert wird. Israel stand der Wiedervereinigung damals zum Teil kritisch gegenüber. Heute scheint das Deutschlandbild gewandelt: Eine Umfrage Ende 2014 ergab, dass 68 Prozent der Israelis eine positive Haltung zu Deutschland zu haben. Wie erklären Sie sich das?
Es ist nicht zu übersehen, dass sehr viel Vertrauen in unseren Beziehungen gewachsen ist. Dazu haben die unendlich vielen Begegnungen zwischen Deutschen und Israelis in den vergangenen 50 Jahren beigetragen. Jeder vierte Israeli hat Deutschland besucht. Wir Deutsche haben uns Schritt für Schritt den Verbrechen der Shoa gestellt. Die deutsche Nachkriegsdemokratie hat sich bemüht, eine Antwort zu formulieren. Und diese Antwort heißt Verantwortung. Nicht nur in schönen Worten, sondern auch im Handeln. Auch und gerade gegenüber Israel. Auf der israelischen Seite hat man zugehört und sehr genau beobachtet. Offenbar hat man sich davon überzeugt, dass wir es damit ernst meinen. Israel begegnet heute einem in sich und seinen Werten ruhenden Deutschland. Diese Entwicklung sieht man hier sehr positiv. 
 
Und umgekehrt: Wie schätzen Sie das Interesse der Deutschen an Israel ein? 
Es kommt auf den Blickwinkel und die Erfahrung an. Wer sich Israel als Deutscher aus der besonderen historischen Perspektive nähert, zeigt Verständnis für die Schwierigkeiten und Gefahren, mit denen das Land umgehen muss. Wer Israel und seine Menschen persönlich kennengelernt hat, zeigt oft große Sympathie. Wer sich Israel aus dem Blickwinkel des Nahostkonflikts nähert, neigt zunehmend zu kritischen Urteilen. Diese Tendenz hat eine gerade veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung erneut belegt.
 
Sind Sie besorgt über wachsende kritische Stimmen?
Ich habe in vielen Diskussionen erlebt: Man ist erschöpft und empört über die vielen Bilder der Gewalt, die uns aus dem Nahen Osten erreichen. Manchmal ist es dann nur ein kleiner Schritt und Israel wird hierfür pauschal in die Verantwortung genommen. In dieser Weise wird man der sehr komplizierten politischen Lage jedoch nicht gerecht. Gerade für uns Deutsche kommt es darauf an, über Fragen des Nahostkonflikts präzise und abgewogen zu diskutieren. Und ich füge hinzu: ich halte es für richtig, wenn wir dabei eine Grundhaltung der Solidarität mit Israel einnehmen. Manchen in Deutschland wird überraschen, dass es oft Israelis sind, die daran erinnern, dass man auch als Deutscher nicht mit jeder israelischen Politik einverstanden sein muss. Gerade diese Stimmen erwarten von uns aber auch Aufrichtigkeit und Fairness im Urteil. Ich mache mir keine Sorgen wegen des Befunds zunehmender kritischer Fragen in Deutschland. Darauf gibt es gute Antworten. Unser Dialog ist lebendig und breit. Ich bin mir sicher, dass wir in diesem besonderen Verhältnis nie in falschen Antworten erstarren werden. 
 
Die letzten Zeitzeugen des Holocaust sind inzwischen schon im Greisenalter. Wie wird sich die wachsende historische Distanz zum Nationalsozialismus Ihrer Meinung nach auf die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen auswirken? 
Die wachsende historische Distanz bewirkt für sich genommen wenig. Es liegt im Lauf der Zeit, dass die Verbrechen der Shoah in Zukunft weiter und weiter zurückliegen, aber das ändert nichts an ihrer historischen Gegenwärtigkeit. Bundespräsident Gauck hat dies am 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz auf den Punkt gebracht: Es gibt keine deutsche Identität ohne Ausschwitz. Es wird weiter darum gehen, wie wir gedenken und wie wir Erinnerung und Mahnung aufrechterhalten.
 
„Ich bin ein Berliner Israeli“ hat vor kurzem ein junger Mann in einem TV-Interview gesagt. In Israel wird die Berlin-Begeisterung zum Teil kritisch aufgenommen – können Sie das nachvollziehen?
Natürlich ist es nachvollziehbar, dass es Juden und Israelis gibt, denen Deutschland nicht geheuer ist. Auch in diesen Tagen. Gleichzeitig kann Israel auf seine jungen Menschen stolz sein, die so begabt und so weltläufig sind, dass sie erfolgreich in Berlin arbeiten und dort das Leben der Stadt mitprägen. Für Berlin ist es eine Bereicherung. Und auch für Deutschland ist es ein Gewinn. 
 
Was wünschen Sie den Beziehungen für die kommenden 50 Jahre?
Ein Wort, das ich immer wieder im Zusammenhang mit dem Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen höre, lautet Freundschaft. Das wäre noch vor wenigen Jahren unmöglich gewesen. Mein Eindruck ist, dass sich Israelis und Deutsche immer offener begegnen. Unsere Freundschaft wächst. ▪
 
Interview: Janet Schayan