„Netzwerk der Netzwerke“
Ein Gespräch mit Benita Ferrero-Waldner, Präsidentin der EU-LAK-Stiftung, über die Arbeit der neuen bi-regionalen Institution.

Frau Ferrero-Waldner, die EU-Lateinamerika-/Karibik-Stiftung hat ihre Arbeit im November 2011 in Hamburg aufgenommen. Was war der Grund dafür, diese neue Institution zu gründen?
1999, beim ersten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs beider Regionen in Rio de Janeiro, riefen diese die strategische Partnerschaft zwischen der EU und den Ländern Lateinamerikas und der Karibik ins Leben. So ist über die Jahre ein solides Netz von Institutionen entstanden, welches die Bedeutung und Lebendigkeit dieser Beziehungen widerspiegelt. Die EU-LAK Stiftung ist allerdings einmalig, da sie als einzige wirklich bi-regionale Institution alle 60 Länder der strategischen Partnerschaft gleichermaßen mit einbezieht. Sie versteht sich die ausdrücklich als Brückenorganisation zwischen staatlichen, beziehungsweise Regierungs- und nichtstaatlichen Akteuren. Aufgrund ihrer breiten Verankerung und ihres hohen politischen Prestiges kann sie als „Netzwerk der Netzwerke“ fungieren.
Wie ist die Stiftung organisatorisch aufgestellt und in welchen Bereichen ist sie vorwiegend tätig?
Die EU-LAK Stiftung wurde im Mai 2010 auf dem sechsten EU-LAK Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Madrid gegründet. Teilhaber sind die Regierungen der Länder Lateinamerikas, der Karibik und der EU sowie die EU-Institutionen. Ich habe die Ehre, der Stiftung ad honorem als Präsidentin vorzusitzen, die unter der Leitung von Jorge Valdez Carrillo, ehemaligem EU-Botschafter von Peru, steht. Wir arbeiten mit vier strategischen Partnerorganisationen zusammen: dem Institut des Amériques in Paris, der Regionalregierung der Lombardei in Italien, der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen in Santiago de Chile und der Globalen Stiftung Demokratie und Entwicklung „FUNGLODE“ in der Dominikanischen Republik. Unser Auftrag besteht darin, die bi-regionalen Beziehungen auf allen Ebenen zu stärken und in der Welt sichtbarer zu machen.
Wie beurteilen Sie die gegenwärtigen Beziehungen zwischen den beiden Regionen? Und wo liegen die Herausforderungen der Zusammenarbeit?
Die in der Erklärung von Rio de Janeiro ins Leben gerufene strategische Partnerschaft umfasst drei Dimensionen: den politischen Dialog, die Wirtschaftsbeziehungen sowie die Entwicklungszusammenarbeit in einer Vielzahl von Bereichen, Bildung, Wissenschaft, Technologie und Kultur mit eingeschlossen. Die EU trug damit dem tief greifenden demokratischen Wandel Rechnung, der sich in Lateinamerika vollzogen hatte. Aus wirtschaftlicher Perspektive war der EU daran gelegen, neue Märkte zu erschließen und auch im Hinblick auf Konkurrenz aus den USA, die europäische Präsenz in der Region zu konsolidieren. Seit dem ersten Gipfeltreffen in Rio de Janeiro hat sich der Kontext der EU-LAK-Partnerschaft allerdings grundlegend gewandelt. Neue Kraftzentren sind entstanden, und Lateinamerika zeichnet sich heute auch durch ein gestiegenes politisches Selbstbewusstsein aus. Diese Verschiebungen wirken sich auch auf die bi-regionalen Beziehungen aus: Die traditionellen Asymmetrien zwischen beiden Regionen sind im Wandel. Momentan steht die globale Wirtschafts- und Finanzkrise im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Während der Euroraum eine existentielle Krise durchläuft, haben Lateinamerika und die Karibik als Region der Krise gut standgehalten. Allerdings können wir die Herausforderungen der Globalisierung nur gemeinsam meistern. Darin liegt die große Herausforderung für die Zukunft der strategischen Partnerschaft.
Welche Rolle kann die Stiftung künftig übernehmen, wenn es darum geht, die Partnerschaft jenseits von Politik und Wirtschaft zu stärken?
Die Stiftung hat es sich explizit zum Ziel gesetzt, die Nicht-Regierungs-Sektoren Europas, Lateinamerikas und der Karibik untereinander enger mit der Regierungsagenda beider Regionen, zu verknüpfen und einen intensiven Dialog mit der Zivilgesellschaft zu führen. Dieses Ziel trägt einer noch immer weit verbreiteten Wahrnehmung Rechnung, dass eine Kluft zwischen der politischen und der gesellschaftlichen Dimension der Beziehungen besteht. Besonderes Augenmerk schenken wir den Themen sozialer Zusammenhalt und Inklusion, einschließlich der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Bekämpfung von Armut, nachhaltige Entwicklung, Klimawandel, Integration, Handel und Interkonnektivität, Wissenschaft, Technologie und Bildung, mit Schwerpunkt auf der Rolle kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Was macht Hamburg als Sitz der Stiftung so attraktiv für Ihre Arbeit?
Die Entscheidung für Hamburg als Sitz der EU-LAK Stiftung wurde in Brüssel vom Rat der Hohen Beamten der EU und der Staaten Lateinamerikas und der Karibik auf einer gemeinsamen Sitzung getroffen. Die Hansestadt als „Tor zur Welt“ mit einer Tradition enger Kontakte in die Region ist eine optimale Heimat für uns. Hamburg ist bereits Sitz des Instituts für Lateinamerika-Studien und des Lateinamerikavereins der deutschen Wirtschaft. Für das finanzielle Engagement der Bundesregierung und den persönlichen Einsatz von Außenminister Guido Westerwelle sowie die Großzügigkeit der Hansestadt Hamburg, die die Räumlichkeiten für unsere Stiftung stellt, sind wir ausgesprochen dankbar. Die Finanzierungsbeiträge der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission finden auf freiwilliger Basis statt. Ganz besonders freuen wir uns über die Mitte Mai 2012 formalisierte erste Zuwendung aus der Gesamtsumme von 4,5 Millionen Euro der Europäischen Kommission, die unsere Aktivitäten mittelfristig auf eine solide Grundlage stellt. Abgesehen von öffentlichen Geldern schauen wir uns übrigens auch intensiv nach Sponsoren aus der Privatwirtschaft um, die uns unterstützen möchten.
Der nächste EU-LAK-Gipfel findet im Januar 2013 in Chile statt. Welche Erwartungen haben Sie an das Treffen und wie wird sich die Stiftung einbringen?
Wir werden aktiv in die Vorbereitung des Gipfels in Santiago de Chile involviert sein. Das Thema nachhaltiger und insofern qualitativ hochwertiger Investitionen und das Motto einer „Allianz für nachhaltige Entwicklung“ halten wir insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Lage der Weltwirtschaft für absolut entscheidend. Unsere Stiftung beschäftigt sich mit dem Thema des Gipfels “Investitionen sozialer und umweltverträglicher Qualität“ in besonderer Weise, indem die klein- und mittelständigen Betriebe eine stärkere Beachtung finden, und vor allem die Fragen der Produktivität, der Wettbewerbsfähigkeit und der Rechtssicherheit wichtig sind. Ich erwarte mir, dass von dieser Konferenz ein besonderer Impuls für die Zusammenarbeit, auch auf der Ebene der Unternehmen zwischen Europa und Lateinamerika sowie der Karibik ausgeht. ▪
Interview: Oliver Sefrin